Samstag, 21. Mai 2011

Der Freundschaftsspielgegner aus dem Kommunismus

Es war wie so oft. Ich zögerte. Soll ich oder soll ich nicht? Schließlich saß ich über einer Rezension zu Herta Müllers Essay Cristina und ihre Attrappe oder Was (nicht) in den Akten der Securitate steht. Ich legte den Bleistift nieder und schaute zum Himmel. Vielleicht kommt ja ein Gewitter. Dann bleibt man zu Hause. Noch ein Satz. Aber eine Nationalmannschaft kommt nicht jeden Tag nach Ingolstadt.

Nun kennt meine Frau ihren Pappenheimer. Hier, 30 Euro, und hau endlich ab. Mach ich. Der alte Drahtesel wird aus der Garage geholt. Ich steige auf. Dann fahre ich durch ein ruhiges Stadtviertel, kaum Autos unterwegs. Mein Weg führt weiter durch ein sehr belebtes Werbegebiet. Viele Menschen sind hier unterwegs an diesem sonnigen Maisamstagnachmittag.

Komisch. Da ist das pralle Leben. Viele Farben, Reklameschilder, frohe und geschäftige Menschen wohin man schaut. Und gerade jetzt denke ich an Herta Müllers Essay. Ich bin auf dem Weg zum ersten Testspiel der deutschen Frauen-Fußballnationalmannschaft  vor der WM, und zwar gegen die Mannschaft aus der Demokratischen Volksrepublik Korea. Der Freundschaftsspielgegner aus dem Kommunismus. Herta Müllers immer wieder bis zur Obsession angeprangerte Gesellschaftsordnung lebt – und ist nirgends leibhaftiger als in diesem asiatischen Land, von dem sich Ceauşescu in den 70er Jahren so viel Unseliges abgeschaut hatte. 

Man weiß das auch in Deutschland. Der DONAUKURIER titelt heute: „Kein Kommentar – Nordkoreas Fußballerinnen sind in Ingolstadt eingetroffen, mauern aber eisern.“ Nicht fußballerisch, sondern menschlich ist das gemeint. Die Zeitung zitiert Claudia Roth (Die Grünen) mit der Aussage: „Ich hoffe, dass über ein solches Spiel Begegnungen möglich sind, wo sonst Schweigen herrscht.“ Damit wird Sport zum Politikum und zum Hoffnungsträger für eine demokratische Welt.

Sie haben gut gespielt, diese quirligen Spielerinnen aus Asien. Aber die Deutschen haben sich schließlich dank ihrer Routine und körperlichen Überlegenheit durchgesetzt. Deutschland – Korea DVR 2:0. Das geht voll in Ordnung. Die Ingolstädter haben eine stimmungsvolle Kulisse für dieses Freundschaftsspiel abgegeben. Der Stadionsprecher war bemüht, ja keinen Fehler zu machen. Er sprach nie von Korea, sondern immer von der Demokratischen Volksrepublik Korea. 


Ein Bus verlässt das Stadion. Sofort nach dem Spiel. In ihm sitzen die koreanischen Spielerinnen. Er fährt den gleichen Weg, den ich gekommen bin. Was werden diese Mädchen und jungen Frauen sich jetzt denken, was werden sie fühlen, wenn ihre Blicke diese frohen, Schals und Fahnen schwingenden Menschen auf dem Heimweg vom Fußball sehen? Werden ihre Gedanken in die trostlose nordkoreanische Heimat fliegen? Spüren sie das Bedürfnis, mehr von dieser Welt, durch die sie, abgeschirmt von koreanischen Funktionären, gekarrt werden? Entstehen in dem einen oder anderen Kopf vielleicht sogar Fluchtgedanken?

Im koreanischen Kader stehen 21 Spielerinnen. Davon sind fünf Debütantinnen und weitere neun haben weniger als 10 Einsätze in der Nationalmannschaft absolviert. Das muss eine blutjunge Mannschaft sein - bestimmt auch besser zu behüten.

Fußballdeutschland beginnt langsam, der Frauen-WM (26. Juni – 17. Juli) entgegenzufiebern. Es werden auch Spielerinnen auflaufen, die mit Sicherheit mehr als nur Siege aus unserem demokratischen Deutschland mit nach Hause nehmen. Das werden Eindrücke sein. Da können noch so viele Aufpasser mitreisen, die Welt von draußen wird durch Busscheiben und Hotelwände dringen. Sie wird sich in den Köpfen der jungen Menschen einnisten und sie ein Leben lang begleiten; auch wenn Stefan König im DONAUKURIER auf die Feststellung Claudia Roths, dass diese Frauen „nicht mehr dieselben sein werden, wenn sie wieder heimkehren“, folgerichtig schlussfolgert: „Kann schon sein. Erfahren wird es aber niemand.“

Ich wende mich wieder Herta Müllers Essay zu und wage zu behaupten: Irgendwann werden auch die koreanischen Akten geöffnet. Dann verlassen die gespeicherten Eindrücke die Köpfe und tragen dazu bei, dass auch die letzten Reste dieser gescheiterten Gesellschaftsordnung, des Kommunismus, verschwinden.
Anton Potche

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen