Was die rumänische Politik
zurzeit liefert ist für unser westeuropäisches Demokratieverständnis kaum
nachvollziehbar. Seit dem 29. Juli sind drei Wochen ins Land gegangen und die
Rumänen haben noch immer zwei Präsidenten und trotzdem keinen: einen
suspendierten und einen interimistischen. Dabei ist die Gesetzeslage klar. Ein
Präsident kann vom Volk nur bei einer Wahlbeteiligung von 50 Prozent plus einer
Stimme der Wahlberechtigten aus seinem Amt gekippt werden. In Rumänien lag am
letzten Julisonntag die Wahlbeteiligung zur Amtsenthebung des Staatschefs
bekanntlich aber nur bei knapp über 46 Prozent. Das heißt laut rumänischer
Gesetzeslage, der Präsident bleibt im Amt, auch wenn mehr als 85 Prozent der
Wahlbeteiligten ihn abgewählt haben. Für Traian
Băsescu ist das eine klare
Bestätigung seines Kurses: Ich bin auch weiterhin der Präsident Rumäniens.
Ganz anders sehen das die
Befürworter einer Amtsenthebung, vor allem Regierungschef Victor Ponta (PSD) und
Übergangspräsident Crin Antonescu (PNL).
Hier haben sich ein Sozialliberaler und ein Nationalliberaler gefunden, um mit
allen erdenklichen und nach westeuropäischen Maßstäben unerdenklichen Mitteln
den Schiffskapitän Traian Băsescu („Ich habe als jüngster
Kapitän, das größte Frachtschiff Rumäniens gesteuert.“) zum Kentern zu bringen.
Dass dabei auch das Land in eine gefährliche Schieflage geraten ist, scheint
sie nicht zu interessieren. Andererseits ist das Wort Rücktritt für Băsescu ein Fremdwort.
Die Hitzewelle schlägt
Kapriolen. Temperaturen weit über 30° C, und das seit Wochen, große Dürre in
weiten Landesteilen und eine stark überhitzte politische Atmosphäre. Den
Kampfhähnen ist die Hitze zu Kopf gestiegen. Sie traktieren sich gegenseitig
mit Invektiven. Wrack und Strohpuppe gehören dabei zu den gemäßigteren
Äußerungen. Lanciert werden die Angriffe und Gegenangriffe über eine parteilich
zweigeteilte Medienlandschaft. Da gibt es wahre Hetzsender, deren Talkshows an
Propagandafilme aus dem Dritten Reich erinnern.
Jetzt wollen Ponta, Antonescu & Co. alle Wahllisten auf Gültigkeit überprüfen
lassen. Wohlgemerkt: die Listen, nicht die abgegebenen Stimmen. Und das nach
der Wahl, nicht vor der Wahl. Und die Listen sollen „aktualisiert“ ans
Verfassungsgericht geschickt werden. In diesen Listen könnten viel zu viele
Bürger eingetragen sein. Die Zeitung EVENIMENTUL ZILEI hat gestern eine Reihe von Personengruppen veröffentlicht, die laut Angaben der oppositionellen Liberaldemokratischen Partei (PDL) aus den
Wählerlisten – ich wiederhole: „nachträglich“ – gestrichen werden sollen: 1.)
von Verwandten oder Nachbarn gemeldete Verstorbene – „ohne einen Todesschein
vorzulegen“, 2.) von Verwandten oder Nachbarn gemeldete Personen, die ihren
Wohnsitz nicht mehr im Ausland haben – „ohne einen Akt vorzulegen, der einen
Wohnwechsel bescheinigt“, 3.) alle Personen, deren Personalausweis abgelaufen
ist, 4.) alle Personen, die nach Angaben von Verwandten oder Nachbarn ihren
Namen wegen Heirat, Scheidung oder aus anderen Gründen gewechselt haben – „ohne
Beweisakten beizulegen“.
Da werden Denunziationen
von unliebsamen Verwandten oder Nachbarn alle nur erdenklichen Türen und Tore
geöffnet. Diese „aktualisierten“ Listen sollten gemäß einer Anforderung des
Verfassungsgerichts bis zum 31. August eingereicht werden. Erst dann wollten die höchsten Richter des Landes
über eine Gültigkeit des Plebiszits vom 29. Juli entscheiden. Jetzt haben die
Robenträger sich aber doch zu einer frühzeitigen Rückkehr aus dem
wohlverdienten Sommerurlaub entschieden, um ihr Urteil bereits am kommenden
Dienstag zu fällen. Dafür müssen die „korrigierten“ Wählerlisten bis übermorgen,
dem 21. August 2012, beim Verfassungsgericht vorliegen. Das heißt, an diesem
Wochenende wird gestrichen, was das Zeug hergibt. Auf diese Art und Weise könnten am 29. Juli
2012 in Rumänien bis zu 2,5 Millionen weniger Wahlberechtigte existiert haben. Wenn
in den bisherigen Wahllisten über 18 Millionen Bürger verzeichnet waren, dürfte
das Verhältnis Wähler zu Wahlberechtigten zugunsten der Băsescu-Gegner über 50%
steigen. Und so mancher patriotischer Bürger könnte den Behörden etwas
Liebenswürdiges über seinen Nachbarn oder Verwandten erzählt haben.
Nach diesem überhitzten
Wochenende wird sich in Rumänien nicht nur die Frage nach dem Demokratieverständnis
der politischen Klasse, sondern auch nach dem Rechtsempfinden des höchsten
Gerichts stellen. Nachfrisierte Wählerlisten passen nun mal in kein EU-Rechtssystem.
Regen ist nach den jüngsten Wetterprognosen in Rumänien nicht in Sicht.
Anton Potche
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