Mittwoch, 6. November 2013

Kurz reinschauen - Urlaubseindrücke I

Wir wollten eigentlich nur kurz vorbeischauen, denn „das dürft ihr euch nicht entgehen lassen“, hatte mein Freund Ignaz gesagt, als er erfuhr, dass wir beabsichtigen in Thüringen Urlaub zu machen. Mit einigen günstigen Tipps ausgestattet – ohne Geld kommst du halt nirgends rein -, haben wir dann an jeweils drei goldigen Oktobertagen unser Urlaubsdomizil in Oberhof verlassen und uns auf den Weg in Städte gemacht, in denen im 18. und 19. Jahrhundert der Deutschen Kulturherz am heftigsten Schlug.

Du kommst in Weimar und Eisenach an drei Namen einfach nicht vorbei: Goethe, Schiller und Bach. Also in Weimar, der Stadt mit den meisten UNESCO-Kulturerbe-Sehenswürdigkeiten der Welt (laut Stadtführerin), müsste eine Stadtführung das Mindeste sein, das sich ein informationsdurstiger Tourist leisten sollte. Das scheint sich herumgesprochen zu haben, denn da eine Stadtführungsgruppe nicht mehr als 25 bis 30 Teilnehmer haben sollte, musste an jenem Tag ein zweiter Stadtführer von zu Hause bestellt werden.

Es hat sich mehr als gelohnt, nicht nur, weil von den eingeplanten zwei Stunden drei wurden, sondern vor allem wegen der sehr charmanten und mit ihrem Wissen fesselnden Stadtführerin. Natürlich ging es um Goethe und Schiller. Aber nicht nur, denn deren Leben bedeutete außer Literatur auch Politik und Gesellschaftsleben in allen damaligen Facetten. Nur mit Einem konnte die rührige Führerin nicht dienen: einem Auerbach-Keller. Den gäbe es leider nur in Leipzig. Ein Kaffee und Kuchen mundete uns anschließend aber trotzdem in einem Altstadtkaffee.

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Eisenach ist ohne die Wartburg nicht denkbar. Die Menschenmassen haben mich an Neuschwanstein erinnert. Nur waren es hier weniger ausländische Touristen. Abends im Hotel sagte eine Tischnachbarin zu ihrer Enkelin: „Da müssen wir auch wieder mal hin. Es ist schon ein paar Jahre her seit unserem letzten Besuch.“ Oma und Leonie kamen aus Sachsen. Das klang fast nach mitteldeutscher Wallfahrt. Wen wundert’s? Sie steht, nein, sie thront seit knapp einem Millennium über dem Thüringer Wald.

Und wer hat nicht alles in ihren Räumen mit den dicken Wänden übernachtet? Natürlich Goethe. Er hat sie sogar gezeichnet. Auch Luther. Nicht ganz freiwillig als Bruder Jörg. Und Massen stürmten schon 1817 die Burg. Doch nicht Touristen, sondern freiheitsliebende Studenten. „Ehre – Freiheit – Vaterland“. Wir ernten heute die Früchte ihrer Saat. Danke!

Irgendwann steigt man wieder hinab. Wir, meine bessere Hälfte und ich, konsultierten unsere Uhren und vereinbarten ein Treffen vor dem Bachhaus - wie das sich bei scheidenden Wegen gehört. Hier also wurde er geboren: Johann Sebastian Bach. Nur zwei Stunden hatte ich Zeit, Zeit zum Lesen und Hören. Ein modernes Museum bildet mit dem Geburtshaus Bachs eine geglückte Symbiose. Hier lebt sie in modernem Gewande fort: die Zeit des Barock. Doch nicht ohne direkte Tuchfühlung in die Klangwelt jener Zeit. Herr Michael Meißner versteht es hervorragend, den Museumsbesucher auf die Reise in eine 250 Jahre zurückliegende Zeit mitzunehmen. Er bedient sich dazu eines Orgelpositivs (Baujahr um 1750), eines gebundenen Clavichords (1770), Cembalos (1705), Querspinetts (1765) sowie eines Orgelpositivs mit Blasebalg (1650), den ein Besucher bedienen darf. Natürlich spielt er nach Noten von Johann Sebastian Bach.

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Gotha hatten wir uns als Zugabe aufgehoben, mal eine Stadt, die nicht so extrem auf gewisse Berühmtheiten fixiert ist. Kein Goethe, kein Schiller, kein Bach, kein Luther usw. Aber nicht weniger anschauenswert. Imposant dieses im Neorenaissancestil erbaute Schloss  in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Schloss Friedenstein.

Doch war unsere Neugierde mehr auf das dem Schloss gegenüberliegende Herzogliche Museum gerichtet. Es wurde erst vor zwei Tagen nach zweijähriger Restaurierungszeit neu eröffnet, mit der entsprechenden landesweiten Werbung in den Medien. Das entgeht natürlich auch einem Urlauber im Thüringer Wald nicht. Ein Museum, das dir Raum zum Atmen lässt. Nicht die Zahl der Kunstwerke soll Eindruck erwecken, sondern lediglich deren Qualität. Das Konzept geht auf. Dieser Besuch hat sich wahrlich gelohnt.

Zurück in die Altstadt. Es ging auch hier bergab. Die warme Herbstsonne schien auf die Gäste vor den Kaffeehäusern. Und sie fiel am Hauptmarkt auf ein Firmenschild: Bücherstube Hannah Höch. Da waren sie plötzlich wieder: die Bücher meiner Jugend aus DDR-Verlagen. Das gibt’s im Westen Deutschlands nur noch sehr selten: Buchhändler, die sowohl mit neuen als auch mit antiquarischen Büchern handeln. Während ich die Bücherreihen überflog, vernahm ich, wie meine Frau mit dem freundlichen Mann im Laden ins Gespräch kam. Ja, er kannte Siebenbürgen und hatte auch schon vom Banat gehört. Ich wollte doch nichts kaufen, nur schauen, schmökern, in Erinnerung schwelgen. Dann verließ ich die Bücherstube wirklich ohne Goethe und Schiller – aber mit zwei Büchern aus dem Kriterion Verlag Bukarest: Alexander Tiez: Märchen und Sagen aus dem Banater Bergland und Arthur und Albert Schott: Rumänische Volkserzählungen aus dem Banat. Erschienen sind beide 1978/79. Lang, lang ist’s her. Kurz Reinschauen kann so nutzbringend sein.

Aber siehe da: Damit war der Erinnerungen gar nicht genug. Beim Schlendern durch die Stadt – wir hatten wieder die Uhren abgestimmt - stand ich plötzlich vor dem Löffler-, nein, nicht –Palais, sondern vor dem Löfflerhaus. Nicht so imposant wie das in „eklektizistischem Stil mit Barock- und Jugendstilelementen der Wiener Sezession gestaltete“ (Wikipedia) Palais in meiner Erinnerung, aber daher um fast 100 Jahre älter und einem wohltätigen Zweck zugeführt: Im Jahre 1800 wurde im Gothaer Löfflerhaus eine „Freischule für bedürftige Kinder eröffnet“. Heute beherbergt das Gebäude einen Handwerkerhof. Ob die Gothaer und Temeswarer Löffler-Familien verwandt waren, entzieht sich meiner Kenntnis. 
Anton Potche

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