Mittwoch, 13. November 2013

Ungemütlicher Rennsteig - Urlaubseindrücke II

Ich will es ihnen ja gerne glauben, dem Karl Müller, genannt Kaschi, und dem Herbert Roth; schon aus Respekt vor dem Alter, denn ihr Wanderlied ist älter als ich. Und die erste Zeile spricht mir wirklich aus dem Herzen: „Ich wand're ja so gerne“. Aber an diesem Oktobertag wollte sich von der Botschaft des Rennsteigliedes so gut wie nichts erfüllen, zumindest was die äußeren Umstände anbelangt. „Vöglein sangen [keine] Lieder“ und vom Rasten, „wenn die Sonne / So glutrot untergeht“, konnte keine Rede sein. Ein hartnäckiger Nebel wollte uns zeigen, dass der Rennsteig nicht nur ein Wanderliedgesicht hat.

Und trotzdem kann ich Texter und Komponist verstehen, wenn sie vom „schönsten Plätzchen dieser Welt“ schwärmen. Wir hatten den historischen Sprungschanzenweg über die Oberhofer Bobbahn genommen, weil auch die Sportschihalle auf diesem Weg lag, und waren am Grenzadler auf den Rennsteig gestoßen. Fast 170 km lang ist dieser Kammweg von Eisenach nach Blankenstein. Und wenn es heißt, er wäre der meist bewanderte Weg Deutschlands, dann will ich das gerne glauben: Die Strecke, die wir bewältigten (weniger als 170 km), hatte einen parkartigen Weg, es gibt keine steilen Anhöhen und die Ruhe in diesen gefühlt unendlichen Wäldern, generiert ein Gefühl des Einswerdens mit der Natur – auch wenn ein Oktobertag nicht vom Golde verwöhnt ist.

Dass dieser Weg schon seit Menschengedenken, als man von touristischer Erschließung noch nichts wusste, von Einheimischen rege genutzt wurde, beweisen die zahlreichen Steine, denen man begegnet. Grenzsteine sollen sie gewesen sein. Es gab nun mal jene Zeiten, in denen in unserer deutschen Lande viele, viele eigene Süppchen gekocht wurden.

Natürlich ist auf so einem Weg auch viel passiert, Lustiges und Bedauernswertes. Der Rennsteig hat seine geschichtlichen und literarischen Helden. Man trifft auf Tafeln, die von Geschehnissen vergangener Zeiten berichten. Und wenn man sich die Zeit nimmt und sie liest, spürt man nicht nur den Wind in den Wipfeln sondern auch den Hauch der Geschichte, der über das Mittelgebirge weht. Der Dietzel von Geba wurde hier hingerichtet. Er hat einen Weinhändler überfallen. „Drauf nächtlicher Weise im Waldesgewirr, / da fand man den Fuhrmann mit Karrn und Geschirr; / der Dietzel von Geba, das Fässchen im Schoß, / lag schnarchend und sinnlos berauscht im Moos.“ (Heinrich Jäger) Anno 1498 soll es gewesen sein.

Taten, große Taten, zeitgeschichtliche Taten sind aus der Urzeit der SBZ (Sowjetische Besatzungszone) überliefert. An einem Denkmal am Wegesrand kann man lesen: „Dieses Denkmal wurde 1981 zu ehren zehntausender Waldarbeiterinnen und Waldarbeiter, freiwilliger Helfer sowie sowjetischer Soldaten errichtet, die nach dem Windbruch von 1946 und den Borkenkäferjahren 1947–49 den mittleren Thüringer Wald retteten.“

Auch so manches Naturdenkmal säumt den Rennsteig. Ein sehr sehenswertes ist der Rennsteiggarten bei Oberhof. Wer Pflanzen aus anderen Regionen der Erde sehen will, sollte hier vorbeischauen. In Reisebroschüren wird er als „artenreichster Alpingarten Deutschlands“ gepriesen.
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Wer nun den Eindruck gewonnen haben sollte, dass der Thüringer Wald ein und derselbe mit dem Rennsteig ist, der liegt zum Glück falsch. Zwei Tage später zeigte sich der Herbst wieder von seiner goldenen Seite. Wir schnürten die Wanderschuhe, schulterten den Rucksack und brachen auf: Die Ohratalsperre wollten wir sehen, ein riesiges Trinkwasserreservoire, von dem ca. 400.000 Menschen leben. Gebaut wurde sie in den 1960er Jahren: DDR-Zeit. Ob es Widerstände aus der Bevölkerung gab, konnte ich nicht in Erfahrung bringen. 20 Wohnhäuser, ein Sägewerk und eine Kesselschmiede vielen der in mehrere Seitentäler verzweigten Talsperre zum Opfer. Ein jähes Ende am Wasser fand dann auch die Straße von Oberhof nach Luisenthal.

Auf dieser ehemaligen Straße, der man noch ansieht, dass sie in vergangenen Zeiten von privilegierten Gesellschaftsschichten frequentiert wurde, marschierten wir heimwärts. Oberforstrat Ernst Julius Theodor Salzmann und Oberforstmeister Hermann von Minckwitz könnten bestimmt viel Interessantes über diese Straße durch den Thüringer Wald berichten - wenn sie denn noch leben würden.

Hingegen legen in Oberhof Händeabdrücke von noch lebenden Helden des Sports Zeugnis vom gelungenen Wandel eines herzogtümlichen Luftkurorts zu einem modernen Wintersportzentrum ab. Es lohnt sich allenthalben, hier mal vorbeizuschauen. Man kann ein schönes Stück Heimat erleben, auch wenn man in Berlin, München, Hamburg oder wo auch immer in Deutschland lebt – oder vielleicht gerade darum.

Anton Potche


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