Mittwoch, 22. Januar 2014

Ein Ingolstädter Beispiel von Inklusion

Zu einer meiner Lieblingsgewohnheiten gehört seit vielen Jahren der Besuch in der Ingolstädter Stadtbibliothek. Dieser Besuch im altehrwürdigen Herzogskasten gilt den vielen Zeitungen und Büchern, in denen man dort (meistens) ungestört schmökern kann. Oft ist das auch bei einer Tasse Kaffee oder Tee möglich und auch einer kleinen Süßigkeit darf man dabei erliegen oder sich einen Snack gönnen. Ja sogar ein warmes Mittagessen bieten die stets netten Damen im insel-café, das ins Lesefoyer inkludiert, also eingeschlossen ist, den Leseratten an. Die Lesesäle sind in den oberen Stockwerken untergebracht.

Bücherei im Herzogskasten
Ich saß auch an diesem Freitagnachmittag an einem der Tische und sah die Tageszeitungen durch. Eine Tasse Kaffee hatte ich mir auch gegönnt. Also wie immer, könnte man sagen. Und doch nicht. Das wurde mir bewusst, als eine nette Dame plötzlich mit einem Tablett neben mir stand und mir verführerisch aussehende Snacks anbot. Natürlich konnte ich nicht widerstehen, griff zu und fragte nach der Ursache. Hier findet gleich eine Vernissage statt, klärte die Frau mich auf. Ich fühlte mich (angenehm) überrumpelt und lief nicht weg. Zum Glück hatte ich meinen Fotoapparat auch dabei. Die Bilder an den Wänden wurden ausgewechselt, erfuhr ich. Ja, wirklich. Vor einer Woche hingen noch andere da. Ich schämte mich fast, das nicht bemerkt zu haben, wo ich doch schon oft vor dem einen oder anderen dort ausgestellten Bild stand und es betrachtete. Dieses Lesefoyer dient nämlich schon seit Jahren auch als Ausstellungsraum.

Fotos: Anton Delagiarmata 
Kunst. Naiv. Tiefgründig. Unergründbar. Kindlich. An große Meister erinnernd. Anstoßend. Anziehend. Zum Nachdenken anrührend. Bilder gemahlt von psychisch Kranken Menschen, Menschen wie die aus dem insel-café, die mir seit Jahren freundlich einen Kaffee kredenzen und mir meine Schmökerleidenschaft versüßen. Sie alle, Cafépersonal und Künstler, sind Menschen, die vom insel - Förderverein für psychisch kranke Menschen e.V. durchs Leben begleitet werden.

Dieser Verein wurde laut eigener Homepage 1987 „von Angehörigen, Betroffenen und Profis“ gegründet und hat „sich zur Aufgabe gemacht Anstöße zur Verbesserung der Lebensqualität psychisch kranker Menschen in Ingolstadt und der Region zu geben.“ Der Verein wird von einem Vorstand geleitet, dem Frau Inge Kunze Bechstädt vorsteht. Er hat „Betreutes Wohnen als pauschale Leistung mit unterschiedlich intensiven Betreuungsschlüsseln“, eine „Tagesstätte mit zwei Häusern“ und „die Möglichkeit zur Teilhabe am Arbeitsleben“ im Angebot.

Und noch viel mehr. Das hat diese Vernissage gezeigt: nämlich die Teilnahme psychisch kranker Menschen am öffentlichen Leben mittels der Kunst. Herr Robert M. Bechstätd, der die neue Ausstellungsserie vorstellte– sie wird vierteljährlich gewechselt –, wusste von der Freude zu berichten, die auch psychisch kranke Künstler empfinden, wenn ihnen gewahr wird, dass ihre Arbeiten ein dankbares Publikum finden. Was hier geschehe, sei ein Akt der Inklusion, des Teilhabens am gesellschaftlichen Leben. Das hat natürlich auch einen praktischen Aspekt: Man kann diese Bilder erwerben und trägt so zu einem Stückchen Normalität im Leben dieser gehandikapten Künstler bei. Näheres dazu erfährt man bei den Angestellten es insel-cafés.

Man kann eine Stadtbibliothek eigentlich nur mit Gewinn verlassen. (Es sei denn man sucht etwas Bestimmtes und findet es nicht, was auf einen Schmöker ja nicht zutrifft.) An diesem Freitagnachmittag des schneelosen Januars 2014, draußen war es schon dunkel, verließ ich die Stadtbibliothek Ingolstadt mit doppeltem Gewinn.

Anton Potche

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