Mittwoch, 26. März 2014

Carmen-Francesca Banciu in Ingolstadt

Carmen-Francesca Banciu
Foto: Delagiarmata
Auf Einladung des Rumänischen Freundeskreises Ingolstadt e. V. hielt die in Berlin lebende Schriftstellerin Carmen- Francesca Banciu eine Lesung im Altstadttheater der Donaustadt. 24 Erwachsene, mittlere und ältere Semester, und ein Mädchen waren zu der Lesung gekommen. Und sie sollten es nicht bereuen, obwohl es übertrieben wäre, von einer spektakulären Veranstaltung zu reden. Die Lesung und folgende Diskussion gingen eher sachlich, intellektuell aber durchaus anspruchsvoll über die Bühne. Ramona Trufin, die Vorsitzende des veranstaltenden Vereins, stellte die aus dem Banat stammende Schriftstellerin mit einer sehr reichen und vielseitigen literarischen Aktivität kurz vor und überlies der Autorin dann das Mikrofon.

Was das Auditorium zu hören bekam, mag sprachlich zwar für jedermann ansprechend gewesen sein, thematisch aber doch nicht zur leichteren Kost gezählt haben. Carmen- Francesca Banciu hat aus den Romanen Vaterflucht und Das Lied der traurigen Mutter sowie aus dem Manuskript mit dem Arbeitstitel Lebt wohl ihr Genossen und Geliebten gelesen. Die drei Werke stehen zwar selbstständig für sich, können aber auch als Trilogie wahrgenommen werden.

Vaterflucht ist 1998 entstanden. Und bereits die ersten Sätze deuten auf ein schwieriges Vater-Tochter-Verhältnis hin. „Mein Vater lebt in Rumänien und glaubt an die Zukunft des Sozialismus. […] Nach vierundzwanzig Stunden Zugfahrt schleppe ich mich wie ein betrunkener Hund hinter meinem Vater her. Bin wieder das Kind. Das brave. Das demnächst rebellieren wird.“ Dass hier viel im Argen liegt, ist eindeutig. Und dass es um mehr als um eine persönliche Beziehung geht, wird von Seite zu Seite deutlicher. Systemzwang, Entmündigung, Beschädigungen aller Art werden zu Tage gefördert. So ähnlich geht es auch im zweiten Roman zu. Nur dort ist es die Mutter, die die Kommunismuskeule schwingt. Selbst kurz vor dem Aufbruch ins Jenseits noch. In Deutschland wurden irgendwann mal Bücher verbrannt. Im Roman Das Lied der traurigen Mutter (erschienen 2007) verbrennt die „traurige Mutter“, die Puppen ihrer Tochter Marie-Marie, doch nicht im nationalsozialistischen Deutschland, sondern im kommunistischen Rumänien. Die Folge solcher Vernichtungsideologie kann nur eine sein: Die Tochter geht. Und zwar in das Land, in dem man der Bücherverbrennung gedenkt, damit sie ewig Geschichte bleibe. Ob sie, Marie-Marie, das Kind mit den verbrannten Puppen im Kopf, aber auch wirklich ankommt? Der Arbeitstitel des letzten Bandes der Trilogie stimmt auf jeden Fall zuversichtlich: Lebt wohl ihr Genossen und Geliebten.

Es gibt längere Lesungen, keine Frage. Aber mit dem Ende muss ja noch nicht Schluss sein. So war es auch hier. Die Autorin stellte sich zur Diskussion und die Zuhörerschaft machte rege Gebrauch davon. Die Fragen, die Autorinnen und Autoren über sich ergehen lassen – ob müssen oder nicht, bleibt dahingestellt –, ähneln sich weitgehend. Hier wollte schon die erste neugierige Zuhörerin wissen: „Sind sie verheiratet?“ „Gewesen“, war die knappe Antwort. Und so ging es eine ganze Weile weiter mit mehr oder weniger Bekanntem: „Wie viel Fiktion, wie viel Realität, waren das Ihre Eltern, welche Rolle spielt Ihr Migrationshintergrund, (Den will und kann ich nicht verdrängen.), kommt bei Ihnen beim Denk- und Schreibprozess auch ein Übersetzungsprozess aus dem Rumänischen hinzu (Nein, ich bin längst eine Deutsche.)?“, u.s.w.. Und dann, die Fragen schienen auszugehen, kam diese klare Mädchenstimme. Wie alt mag sie sein? Zwölf, dreizehn? Da hat jemand ganz genau zugehört. Die Fragen kamen präzise formuliert – man konnte sich jedes Komma bildlich vorstellen – und bezogen sich auf konkrete vorgetragene Textstellen. An dem sich schnell anbahnenden Dialog hätten sogar Leute wie Maxim Biller und andere Kritiker der Onkel-Tom-Literatur ihre Freude gehabt. Oder auch nicht, denn zumindest einer der Gesprächspartner hatte ja in diesem Gespräch auch einen Migrationshintergrund: die Autorin.

Auf jeden Fall scheint die Zukunft der deutschen Literatur nicht allzu düster zu sein. Denn wer in diesem zarten Alter solche Fragen zu einem literarischen Text stellt, der wird mit großer Wahrscheinlichkeit auch früher oder später zur Feder greifen, falls er/sie nicht schon der Schreibsucht verfallen ist. Auf jeden Fall ging diese gelungene Lesung mit einem unerwarteten Höhepunkt zu Ende. Andererseits soll nicht verschwiegen werden, dass der Literaturabend mehr Aufmerksamkeit verdient hätte. Vielleicht kommt ein Hinweis in der Lokalpresse am Tag der Veranstaltung doch ein wenig zu spät. Werbung ist und bleibt das Salz jeden Geschäfts. Auch im Literaturbetrieb, denn auch hier wird eine Ware zum Verkauf feilgeboten: das Buch. Und das gilt auch für die Romane Carmen-Francesca Bancius.

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