Montag, 19. Mai 2014

Seppi und Peppi unterhalten sich über Internetanonymus

Kurz nach mir betraten Seppi und Peppi unser Bahnhofscafé. Und ich wurde unfreiwillig Zeuge, warum sie ausnahmsweise nicht an ihrem Stammtisch Platz nahmen.

- Halt, hier, sitzen wir uns an diesen Tisch.
- Warum nicht an unseren?
- Der ist doch besetzt.
- Von wo weißt du das? Es steht kein Kärtchen auf dem Tisch. Das würde unser Wirt nie machen.
- Dort sitzt doch schon jemand.
- Wie bitte?
- Ja, dort sitzt einer.
- Ich seh’ niemand.
- Doch, das ist Internetanonymus.
- Sag mal ...
- Ja, ja, der sitzt dort.
- Wo?
- Na dort, an unserem Stammtisch. Er ist gesichts- und körperlos. Darum kannst du ihn nicht sehen.
- Aha. Und was macht er dort?
- Nichts. Wie immer.
- Vielleicht denkt er nach über dies und das.
- Geht nicht. Er ist auch gehirnlos. Natürlich meine ich das rein anatomisch und nicht figurativ. Wo soll das Gehirn denn sein, wenn er keinen Körper hat? Selbst ein Spatzenhirn braucht einen Spatz, um existieren zu können. Hast du unsere Anatomiestunden mit Frau Belgrasch schon vergessen? Oder hast mal wieder gepennt?
- Mensch, das ist ja schon eine Ewigkeit her. Aber gut, deine Argumentation leuchtet mir ein. Von wo kennst du diesen Internetanonymus eigentlich?
- Er wohnt im Internetgebirge.
- Warst du dort?
- Ja, wir haben heuer dort Urlaub gemacht. Er lebt hoch oben, ganz oben, wo kein normal Sterblicher hinkommt. Er jagt Yetis und fischt Nessis.
- Du warst aber so weit oben und hast Internetanonymus dort kennengelernt?
- Nein. Das geht doch nicht, weil’s ihn gar nicht gibt.
- Also ist unser Stammplatz dort drüben doch frei.
- Nein, Internetanonymus ist auch da, wo’s ihn gar nicht gibt.
- Aber warum gehst du nicht rüber und vertreibst ihn? Das ist doch unser Stammplatz, seit Jahren.
- Das kann ich nicht, er tut mir leid. Körper-, gesichts- und hirnlos durchs Leben zu gehen, ist eigentlich Strafe genug. Wie soll ich ihn da auch noch vertreiben. Das wäre so, als ob du einen Bettler schlagen würdest, statt ihm ein Almosen, wie klein auch immer, zu geben.
- Also lassen wir ihn dort unbehelligt sitzen.
- Ja.
- Willst du was trinken?
- Ja, etwas Warmes. Schau, die Kalte Sophie. Sie sitzt sich zu Internetanonymus an den Tisch.
- Bedienung, bitte zwei Tassen Tee mit je einem guten Schuss Rum.

Was ist denn los mit diesen Eisheiligen? Haben die denn kein Zuhause?

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