Montag, 8. Juni 2015

In trautem Kreise

Genau genommen, ist auch ein Literaturverband nur ein Verein mit allen spezifischen Eigenheiten. Dazu gehört natürlich, dass man sich ab und zu gegenseitig belobigt und mit entsprechenden Medaillen, Titeln und auch Preisen auszeichnet. Dass so etwas nicht immer gut ankommt und lediglich sogar mit Vetternwirtschaft abgeurteilt wird, hat etwas mit dem Image der betreffenden Institution zu tun, die dann doch etwas mehr als ein stinknormaler Verein sein will. Ein solcher Verein ist auch der Rumänische Schriftstellerverband. Der stand allerdings schon öfter in der Kritik. Und immer mit einer anderen Geschichte.

Die letzte dieser Geschichten geht so: Jährlich wird in Botoşani, Hauptstadt des Verwaltungskreises, in dem Ipoteşti, der Geburtsort des rumänischen Dichters – die Rumänen sprechen gerne vom Nationaldichter – Mihai Eminescu liegt, der Mihai-Eminescu-Gedichte-Nationalpreis (Premiul Naţional de Poezie „Mihai Eminescu“) vergeben. Die Preisverleihung findet in der Januarmitte statt und zählt zu den literarischen Höhepunkten des rumänischen Literaturlebens, gilt Mihai Eminescu (*15. Januar 1850, Botoşani; †15. Juni 1889, Bukarest) doch nach wie vor als größter Dichter der Rumänen. Der Preis wird laut Vergaberichtlinie einem zeitgenössischen rumänischen Dichter für sein Lebenswerk vergeben.

Viele bekannte Namen der Literaturszene haben ihn schon bekommen: Mihai Ursachi,  Gellu Naum, Ana Blandiana, Ştefan Augustin Doinaş, Şerban Foarţă – um nur einige zu nennen. Kritiker zählen gerne auch die auf, die ihn verdient hätten, aber nicht bekommen haben wie etwa Geo Dumitrecu, Marin Sorescu, Dan Laurenţiu oder Ioanid Romanescu.

Heuer standen sieben Namen auf der Shortlist. Der bekannteste unter ihnen, im deutschen Sprachraum der wohl einzig bekannte, war Mircea Cărtărescu, Preisträger der letzten Leipziger Buchmesse. Über den Preis freuen konnte sich allerdings wie immer nur einer, und der hieß heuer Gabriel Chifu.

Und an diesem Preisträger scheiden sich die Geister. Das Preisgericht hat mit 4:3 Stimmen entschieden. Eine Gruppe von 32 Literaten, meist aus der jüngeren Generation, bezweifelt in einem Internetauftritt die Objektivität der heurigen Juryentscheidung. Ihre Kritik richtet sich vorwiegend gegen Nicolae Manolescu, Vorsitzender des Rumänischen Schriftstellerverbandes und Jurymitglied. Den Vorsitz der Jury hatte der Literaturkritiker und Essayist Mircea Martin inne.

Das Problem liegt darin, dass Gabriel Chifu zwar auch Gedichte schreibt, aber auch stellvertretender Vorsitzender des Rumänischen Schriftstellerverbandes ist. Da scheint für viele ein Interessenkonflikt, um nicht Mauschelei zu sagen, vorzuliegen, der nicht nur den 32 Unterzeichnern des Internetprotestes übel aufgestoßen ist. Auch andere, bekanntere, Persönlichkeiten des rumänischen Literaturbetriebs haben sich zu Wort gemeldet. Emilian Galaicu-Păun, Schriftsteller aus der Republik Moldau – was eine gewisse Neutralität zulässt -, spricht von einem „Preis, der mehr einer Funktion als einem Dichter“ verliehen wurde. Die Protestwelle richtet sich nicht gegen den Preisträger, sondern nur gegen den Literaturkritiker Nicolae Manolescu. Der soll die anderen Jurymitglieder unter Druck gesetzt haben, um seinem Favoriten zum Preis zu verhelfen. Der Dichter, Essayist und Übersetzer Radu Vancu findet für den Preisträger sogar Worte des Bedauerns: „Die unüberlegte und unmoralische Beharrlichkeit Nicolae Manolescus, Gabriel Chifu in Botoşani den Vorrang vor anderen hervorragenden Dichtern zu geben, hat eine traurige Tatsache bewirkt: Sie hat aus dem Dichter und bescheidenen Menschen Gabriel Chifu einen Betrüger gemacht.“

Das mag ein wenig zu hart formuliert sein, wirft aber einen Blick auf die Befindlichkeiten des rumänischen Literaturbetriebs – worin der sich allerdings nicht wesentlich von der Literaturlandschaft anderer Länder unterscheidet. Wie auch immer, Herr Manolescu hat bei seiner umstrittenen Literaturgeschmacksdemonstration auch ein humanitäres Werk vollbracht, ist der Mihai-Eminescu-Gedichte-Nationalpreis doch auch dotiert, und zwar mit 20.000 Lei. Das sind immerhin knapp 5000 Euro, und wer kann in Rumänien auf die schon verzichten. Literaten aller Couleur wohl am wenigsten.

Anton Potche

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