Montag, 21. September 2015

Klassik zum Nulltarif vom GKO

Das gibt’s nicht nur bei Open-Air-Konzerten. In Ingolstadt stehen seit mehr als zwei Jahrzehnten die OrgelMatinee um Zwölf für derartige Geschenkkonzerte und seit einigen Jahren auch die Konzerte im Klenzepark im Rahmen der Audi-Sommerkonzerte. Deren hervorragende Resonanz beim Publikum ist längst Normalität in der Stadt an der Donau. Dass der Nulltarif auch dafür verantwortlich ist, wird wohl niemand bezweifeln. Wichtig aber ist, dass das musikalische Niveau, man könnte auch sagen die Seriosität dieser Darbietungen, nicht leidet.

Foto: Andi Frank
An diese Tradition hat das GKO - Georgisches Kammerorchester Ingolstadt (Foto) angeknüpft und ein Gratiskonzert für seine Fans und andere Klassikliebhaber gegeben. Anlass dazu gab die Heimatfindung dieses georgischen Klangkörpers in der Donaustadt. Nur für eine Übergangszeit wollten die Georgier in Ingolstadt eine Bleibe finden. In ihrer Heimat tobte ein Bürgerkrieg. Mittlerweile sind 25 Jahre ins Land gegangen und die Georgier sind immer noch da. Nicht alle. Einige haben das Orchester altersbedingt verlassen und sind heimgekehrt. Dafür sind jüngere Musiker zum Orchester gestoßen. Heute gibt es einen Freundeskreis des GKO und die Musiker sind fester Bestandteil des städtischen und regionalen Musiklebens. Grund genug, Jubiläum zu feiern für gelungene Integration.

Dass die Kulturseite des DONAUKURIER dann gerade am Tag dieses Jubiläumskonzertes von einem wohl „lieblos absolvierten Pflichttermin“ schrieb und die Ingolstädter Jahre des GKO mit dem „Abstieg in die Zweitklassigkeit“ apostrophierte, schien dann doch dem einen oder anderen bitter aufgestoßen zu sein. Das klang am Abend vor Konzertbeginn ziemlich deutlich in der Ansprache des Freundeskreisvorsitzenden Manfred Schumann an. Wie auch immer, der Saal war voll und die Worte des Altoberbürgermeisters Peter Schnell, in dessen Amtszeit die Sesshaftwerdung der Georgier eingeläutet wurde, und die kurzen Statements der Musiker Igor Loboda (Foto: 8. v. l.)und Alexander Konjaev (Foto: 9. v. l.) ließen das Publikum die emotionale Seite dieses Konzertes spüren. Schließlich waren diese verklungenen 25 Jahre nicht nur eine Erfolgsgeschichte. Das zeigt schon die Anzahl der Dirigenten. Der jetzige, Ruben Gazarian (Foto: 10. v. l.), ist der sechste. Sein Vorgänger, Benjamin Shwartz, stand an diesem Abend am Pult. Diesen Platz nahmen vor ihm als Chefdirigenten des GKO noch Lavard Skou Larsen (eine ziemlich lieblose Geschichte), Ariel Zuckermann, Markus Poschner und nicht zuletzt die weltberühmte Geigerin und Dirigentin Liana Issakadze, auf deren Initiative die Georgier im Sommer 1990 nicht mehr die Heimreise antraten, sondern nach Vermittlung des damaligen Audi-PR-Chefs Karl-Heinz Rumpf in Ingolstadt strandeten, ein.

Emotionalität. Die ist bei den georgischen Musikern sowieso immer angesagt und ihrem Temperament geschuldet. Das spürt man nicht nur, sondern sieht es, wie sie ihre Instrumente regelrecht liebkosen, um schon im nächsten Augenblick auf sie einzudreschen wie Besessene. Musikbesessene. Das sind wohl auch die meisten von ihnen. Von „Zweitklassigkeit“ war an diesem Abend nichts zu spüren und zu hören. Dass es sich bei der mangelnden Rezeption des Orchesters vielleicht um ein Managementproblem handelt, wie auch der DONAUKURIER anklingen ließ, konnte mit diesem Konzert nicht beantwortet werden. Deutliche war aber erkennbar, dass es nicht an der Qualität des Orchesters liegen kann. Und dass man dazu „kein wirkliches Hauptwerk und keinen namhaften Solisten“ benötigt, wie im gleichen Artikel bemängelt, umso mehr.

Dem Publikum war dieser eher politische Aspekt des Jubiläums spätestens bei den ersten Tönen von Franz Schuberts (1797 – 1828) Streichquartett Nr. 12Quartettsatz“ in c-Moll D 703 sowieso schnuppe. Ein leiser Einstieg. Pianissimo. Die ersten zwei Takte – sechzehntel im 6/8 Takt, Allegro assai - gehören den ersten Geigen, dann kommen die zweiten Geigen, nach weiteren zwei Takten die Violen und nach ebenso vielen die Celli. Es baut sich ein Tremolo-Fundament auf, das fast beängstigend klingt. Aber Symmetrie führt zu Harmonie. Benjamin Shwartz dirigierte eine Bearbeitung für Streichorchester. Der Kontrabass tut dem 1820 komponierten Stück gut, ohne dass er den lyrischen Gesamtklang der hohen Streicher beeinträchtigt. Die sich auf diesem Untergrund aufbauenden Themen haben die Gabe, zu entführen, hinaus aus dem Alltag.

Was folgte, war eine angenehme Überraschung, zumindest für mich. Konzert für Violine und Kammerorchester op. 126, I In modo di recitativo, II Largo man non troppo, III Allegro agitato. Der Komponist sitzt im Orchester und ist derselbe, der zuvor von seinem Vater und dessen Haft in Dachau eine Gänsehautgeschichte erzählte: Igor Loboda (*1956). Den Solopart hatte Irakli Tsadaia (Foto: 3. v. l.), Konzertmeister des GKO, übernommen. Sein Vater, David Tsadaia (Foto: 1. v. l.), zupft den Kontrabass, also sprechen wir schon von der zweiten Generation Georgier in Ingolstadt. Und wie der Filius spielte! Das Konzert ist sehr anspruchsvoll, technisch schwierig, mit langen Solos und trotzdem ansprechenden (schon fast ohrwurmtauglichen) Melodien. Das Zusammenspiel mit dem Orchester grenzte an Perfektion, falls es so etwas in der Musik überhaupt gibt. Die folgende Pause hatten sich Solist und Orchester wohlverdient.

Es folgten im zweiten Teil des Abends das Divertimento D-Dur KV 136 von Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791) und von Felix Mendelssohn Bartholdy (1881 – 1847) die Sinfonia I C-Dur. Klar, die Georgier spielten bei ihrem Jubiläumskonzert nur Stücke, die ihnen liegen, die sie gerne spielen. Jeder, der schon einmal in einem Orchester musiziert hat, wird das nachvollziehen können. Das gerade solche Werke dann CD-reif sind, ist der positive Nebeneffekt dieses Verhaltensmusters. So war es auch diesmal. Die zwei kurzen Dreisatzstücke klangen aus den Resonanzkästen wie aus einer hochkarätigen Musikanlage, ja besser, denn Livemusik ist und bleibt unersetzbar. Salzburger Symphonie Nr. 1 (es gibt noch zwei weitere) nannte Mozart sein nur etwa 12 Minuten dauerndes Stück für zwei Violinen, Viola und Bass. Er war gerade mal 16 Jahre alt, als er es schrieb. Dementsprechend leicht, ja beflügelt klingt es auch. F. M. Bartholdy war sogar noch ein Jahr jünger, als er seine hier gespielte Komposition zu Papier brachte. Vielleicht war diese Programmfolge ja auch eine Hommage an jugendliche Genialität. Angekommen ist sie beim Publikum auf jeden Fall.

Das kann man getrost auch vom letzten Stück sagen: Rumänische Tänze von Béla Bartók (1881 – 1945). Diese Tanzminiaturen zünden in der Regel nicht nur sofort beim Publikum sondern auch bei den Musikern. Und bei den Georgiern anscheinend ganz besonders. Das mag an der Charakterähnlichkeit mit der Musik ihrer Heimat Georgien liegen. Von dieser Nähe konnte man sich überzeugen, als die Musiker als frenetisch geforderte Zugabe die Georgischen Miniaturen von Sulkhan Tsintsadze (1925 – 1991) anstimmten. Dieses kleine Tonwunder ist in Ingolstadt schon ein Schlager. Ja, auch das gibt es in der Klassik. Benjamin Shwartz hat bei diesem Stück das Dirigentenpodest verlassen und dem Orchester abseits stehend zugehört. Bestimmt auch ein Genuss für ihn. Die dann noch als Rausschmeißer dargebotene Zugabe mit Rufeinlagen der Musiker machte die Lockerheit, die den ganzen Abend über diesem Konzert schwebte, nur noch deutlicher. Dass der Bär steppte, wäre vielleicht ein bisschen übertrieben, aber dass ein Glücksgefühl vielen Konzertbesuchern beim verlassen des Saales im Gesicht geschrieben stand, war nur schwer zu übersehen. Das war auch den ganzen Abend über keine schwer verdauliche musikalische Kost gewesen, aber dafür umso schönere klassische Musik. Ob allerdings damit der Weg zurück in die klassische „Erstklassigkeit“ bewältigt werden kann, mag ich nicht zu prognostizieren.
Anton Potche

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