Montag, 15. Februar 2016

Eine skurrile Heimkehr

Catalin Dorian Florescu: Der blinde Masseur, Roman; Pendo Verlag, München und Zürich, 2006; ISBN 3-86612-079-6; 272 Seiten, Hardcover; € 17,90 [D], € 18,40 [A]

„Die Perle der Westkarpaten“ wird Moneasa im rumänischen Landkreis Arad genannt. Dorthin hat es auch den Ich-Erzähler, Teodor Moldovan, verschlagen, ein in der Schweiz lebender Rumäne, den die Nostalgie – das Heimweh? – zurück in die Heimat trieb, auf die Suche nach der verlassenen Jugendliebe.

Wie ein solches Unterfangen in eine verheerende Sackgasse führen kann, erzählt Catalin Dorian Florescu, der 1967 in Temeswar (Rumänien) und seit 1982 in der Schweiz lebende Schriftsteller. Sein Roman Der blinde Masseur ist eine gelungene Mischung aus Gesellschafts-, Bildungs- und magischem Realismusroman.

Der Luftkurort Moneasa, in dem sogar Kaiserin Maria Theresia geweilt haben soll, ist ein von der Welt vergessenes Nest mit einem Sanatorium, in dem die Opfer des real existierenden Sozialismus ihre Leiden über die Tage retten; viele von ihnen unter den Händen des blinden Masseurs, der sich vorstellt als „Ion Palatinus, Masseur und Philosoph, Besitzer einer Hündin, eines Blindenstocks und von dreißigtausend Büchern darunter viele Perlen.“

Alles was dem Heimkehrer aus der Schweiz widerfährt, scheint aus der Zeit gefallen zu sein. Und doch ist alles so real, aber so, wie es eben nur in einer postkommunistischen Gesellschaft Südosteuropas sein kann. Vieles in diesem Buch wird einem Westeuropäer fantastisch, aus den Hirngespinsten eines literarischen Magiers geboren, vorkommen. Wer aber aus dieser Welt kommt, wird sich immer wieder mittels seiner eigenen Kopfgeburten an die eigene Vergangenheit erinnern. So funktioniert nun mal der magische Realismus.

Catalin Dorian Florescu arbeitet mit Rückblenden, Einschüben von Wörtern und kurzen Sätzen aus dem Rumänischen und flüchtigen Andeutungen. Das Ganze ist in einem gleichmäßigen Erzählfluss untergebracht und mäandert von Höhepunkt zu Höhepunkt wie ein bereits im Tal angekommener Strom. Man hat das Gefühl, dass dieser Stil sehr gut zu einer Rückkehrgeschichte passt. Zumal der Autor wirklich sprachgewandt ist, nicht nur in der Schrift – das können Besucher seiner Lesungen bestätigen -, aber besonders dort: „Ich war einer von dort und zugleich einer von hier. Ich trug die Fremdheit an mir. Sie kleidete meinen Körper, füllte meine Geldbörse, gab mir das gewisse Extra. Aber die Fremdheit sprach ihre Sprache.“

So schön und trotzdem schmerzlich kann man über nichterfüllte Erwartungen schreiben. Der blinde Masseur, der sich seine Bücher von seinen Patienten auf Tonband vorlesen lässt, hält mehrere dieser fundamentalen Lebensweisheiten parat. Das tat nämlich Teodor in seiner Jugend auch: Erzählungen von Leuten aus der Einsamkeit der Berge auf Tonspuren bannen. Kann man so die Zeit in ihrem unermüdlichen Lauf bannen? Oder ist alles nur Selbstbetrug? Auch dieser hervorragende Roman liefert keine Antwort auf diese Fragen. Fest steht nur, dass er mit einem großen Betrug endet.

Doch nicht, bevor ein letztes Abendmahl, sprich, Fress- und Sauforgie, in der Ruine der Villa Nufărul (die Seerose) über die Bühne geht. Über eben diese Villa schrieb vor sechs Jahren eine rumänische Zeitung, dass sie zu ihrer Blütezeit im Besitz eines Grafen Weincheim (wahrscheinlich Weinheim) gewesen sein soll und dessen Nachkommen jetzt über eine Restaurierung nachdenken.

Sollte es eines Tages doch noch einen Weg aus C. D. Florescus Roman in eine andere, geordnetere, sauberere Welt, mit weniger Korruption, Lug und Betrug geben? Das allerdings impliziert auch die Frage: Worüber soll oder kann man dann noch gute Romane schreiben?

Anton Potche

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