Dienstag, 28. Februar 2017

Februar 2017 – Giarmata in den Medien

Aus einer Nachrichtenquelle vor Ort
aus InfoGiarmata.ro, Giarmata / Jahrmarkt, Februar 2017
- (01.02.2017) Das Rathaus hat die Verantwortung für Wasser & Kanal an die Firma AQUATIM abgegeben. Alle Reklamationen und Probleme müssen ab sofort bei dieser Firma eingereicht werden. Entsprechend werden auch die Preise steigen, kann man auf der Homepage lesen.
- (11.02.2017) Unbekannte haben gleich bei der Einfahrt in die Gemeinde eine Bushaltestelle zerstört. Kein einziger von den Kunststoffsitzen hat überlebt. Der Sitebetreiber ruft die Bevölkerung zu Wachsamkeit auf und erwartet von der Polizei und der Rathausverwaltung energische Maßnahmen. + + + Dazu muss man die Burschen erst mal dingfest machen. Und wie schwer das ist, lesen wir fast täglich auch in deutschen Medien. + + +
- (21.02.2017) Fotos auf der Homepage zeigen einen Feldweg, der nur bei trockenem Wetter befahrbar ist. Es handelt sich um die Strada Soarelui – Sonnenstraße. Natürlich sind die Anwohner sauer. + + + Die Stroß is hinner der Hinnereih un aah dort scheint die Sunn net immer. + + +
- (22.02.2017) Um die vierzig Häuser in verschiedenen Bauphasen stehen in dem neuen Wohnviertel in Giarmata und 60 Bauanträge wurden im Rathaus gestellt. Vergeben wurden aber viel mehr Baugrundstücke. Die Vergabebedingungen sehen vor, dass die Flächen nach einem Jahr bebaut werden müssen oder zumindest ein Bauantrag gestellt werden muss. Weil das in vielen Fällen aber nicht der Fall ist, könnten einige Interessenten ihre bereits zugeteilten Grundstücke wieder einbüßen.
- (23.02.2017) Ein Haus in Cerneteaz ist fast ganz abgebrannt.
- In Giarmata sollen alle Häuser einheitliche Hausnummern bekommen. Der Vorschlag für diese Maßnahme stammt von Gemeinderat Alexandru Bront.
- (25.02.2017) Der kanadische Autozulieferer Litens Automotive Group will in Giarmata eine Produktionsstätte hochziehen. Der weltweit aktive Konzern würde bei einer Realisierung 250 Arbeitsplätze schaffen. In den Artikel ist auch ein Werbevideo integriert.

Die Handballmädchen aus Giarmata sind die Besten
aus SportTim.ro, Timişoara / Temeswar; 01.02.2017
Die im Turniermodus ausgetragene Kreismeisterschaft der Handballjuniorinnen der Gruppe IV, Altersgruppe 2004 / 2005 und jünger, ist nach sieben Spieltagen in verschiedenen Ortschaften zu Ende gegangen. Die Mannschaft von CS Leu Giarmata hat in 14 Partien nur einmal unentschieden gespielt und 13-mal gewonnen. Damit kann sie sich Kreismeisterin nennen und wird zusammen mit den Temescher Mannschaften von HC Jimbolia, LPS Banatul und AS Cîtu an einer Zonenmeisterschaft mit Gruppierungen aus den Kreisen Caraș-Severin und Hunedoara teilnehmen. Beim letzten Turnier in Sânnicolau Mare / Großsanktnikolaus haben die Mädchen aus Giarmata folgende Ergebnisse erzielt:
CS Leu Giarmata – HC Jimbolia  18:11 (9:4)
CS Leu Giarmata – LPS Banatul II  24:10 (11:5)
CS Leu Giarmata -
Juniorinnen IV -
Kreismeister 2016-2017

Fotoquelle: SportTim.ro
Trainerin Doina Picu, mit internationaler Handballerfahrung, spricht von einem „Wunder in Giarmata“. Sie versucht den Mädchen, diese Sportart so zu vermitteln, dass die den Handball „mit einem Lächeln auf den Lippen“ praktizieren wollen. Dieser Erfolg wurde mit folgenden Spielerinnen erzielt: Melissa Rus, Andreea Nistor, Andreea Gorban – Torfrauen; Beatrice Dascălu, Carina Conia, Monica Cobzariu, Andreea Mici, Daria Beghină, Ana Marin, Bianca Cojocariu, Ionela Miculescu, Alexandra Popovici, Denisa Giorgovean, Dariana Vasilescu und Lorena Gajac.
+ + + Als Altjahrmarkter und ehemaliger Handballtorwart – wenn auch nicht bei Jahrmarkt, sondern bei 1. Iunie Temeswar – kann ich mich über solche Nachrichten natürlich nur freuen und den Mädchen weiterhin viel Spaß mit dieser schönen Sportart wünschen. + + +

Brand in Giarmata
aus TION.ro, Timișoara / Temeswar, 17.02.2017
Ein Haus, in dem herrenlose Hunde untergebracht waren, ist in Giarmata abgebrannt. Die Tiere konnten alle gerettet werden.

aus ADZ.ro – BANATER ZEITUNG, Timișoara / Temeswar, 23.02.2017
In der Zeitung ist ein ausführlicher Bericht über die Gemeinde Jahrmarkt erschienen. Ein Textabschnitt geht so: „Laut Vizebürgermeister Claudiu Mihălceanu, möchte man im Rahmen des vorgenannten Gemeindeprojekts auch an diesen wertvollen Schatz, das warme Thermalwasser, das hier zur Genüge in etwa 800 Meter Tiefe sprudelt, denken. Der Plan ist folgender: Mit Geldern aus dem Gemeindehaushalt soll ein neues Thermalbad und womöglich, wenn das Geld reicht, auch ein Spa eingerichtet werden. Im Rahmen dieses Großplans, der für eine Gemeindeverwaltung aufs erste etwas zu ehrgeizig aussieht, soll das gesamte Gemeindezentrum umgestaltet werden. Hier plant man, um den genannten Prinz-Eugen-Brunnen eine große Parkanlage anzulegen. Die Gemeinde möchte in dieser Zone auch ein ehemaliges schwäbisches Haus ankaufen und dort ein banatschwäbisches Dorfmuseum einrichten. Hinzu kommt - so der Plan - ein Kinderspielplatz, eine Freilichtbühne, eine Sportstätte mit Skateboard, Fitness-Ecke, ein Platz für Basketball. Als Hauptattraktion und als Unikum in der gesamten Gegend um Temeswar möchte man auf einer Strecke von 1,5 Kilometern eine Schmalspurbahn mit mehreren Haltestellen, mit Lok und Zug für die Kleinsten anlegen.“
+ + + Ich hun mei Fraa gfroot, was e Spa is. No hot’s gsaat, dass des so is, wie wann ehns, asso mei Ongetrauti, mer mit ooner waacher Berscht in der Batwann de Buckl reibt, dass mei Wenichkeit sich gut fielt. Aha! + + +

Umleitung durch die Ortschaft
aus TION.ro, Timișoara / Temeswar, 28.02.2017
Ein Betonmischer hat sich auf der Landstraße bei Giarmata bei einem Unfall quergestellt und den Verkehr zum Erliegen gebracht. Die Auffahrt zur Westautobahn war nur durch die Ortschaft erreichbar.
+ + + Des war in der Neigass bestimmt mol e echte Autobahnverkehr. + + +

Fünf kurze Artikel
aus FOAIA de GIARMATA, Timişoara / Temeswar; Februar 2017
Thematisiert wird in jeweils wenigen Sätzen der Mädchenhandball in der Gemeinde, der „Strand“ und das erhoffte Thermalbad, eine neue Schulleitung, die Fertigstellung neuer Sozialwohnungen und ein kurzer Rückblick auf die Gemeinde zur Zeit der „români și șvab“, die den Grundstein dafür gelegt haben, dass Giarmata „sicher auch in Zukunft eine wichtige Rolle in der Geschichte des Kreises spielen wird“.

Montag, 20. Februar 2017

Ein Grund neugierig zu sein

Heinz Czechowski: Die Pole der Erinnerung – Autobiographie – mit einem Nachwort von Sascha Kirchner; Grupello Verlag, Düsseldorf, 2006; ISBN 3-89978-046-9; 282 Seiten, Hardcover;  22,90 EUR

Ich hatte den Namen nie oder nur flüchtig gehört: Heinz Czechowski. Und doch bestellte ich eines Tages seine Autobiografie, den selbstreflektierten Lebenslauf eines 2009 verstorbenen Dichters aus Dresden. Ein guter Teil seiner Schaffensperiode deckt sich also mit der DDR-Zeit. So eine Überlappung ist für mich eigentlich immer ein Grund neugierig zu sein. Bis zum Erwerb eines Buches ist es ab da allerdings noch ein gutes Stück des Weges. Die Strecke bewältigte ich, als ich in einem meiner Ordner eine Artikelserie aus der NEUEN BANATER ZEITUNG / Temeswar aus dem Jahre 1978 durchblätterte. Darin wird die 70-jährige Geschichte der damals im deutschgeprägten Dorf Jahrmarkt im rumänischen Banat aktiven Loris-Blaskapelle erzählt. In einer Fortsetzungsfolge las ich, dass im Jahre 1970 der DDR-Schriftsteller Heinz Czechowski in Jahrmarkt einem Konzert dieser Blaskapelle beiwohnte und dem Kapellmeister Mathias Loris eines seiner Gedichtbände überreichte. Ob und wie der 70-jährige Autobiograf (er schrieb seine Autobiographie im Jahre 2005) sich an diese Episode seines wahrlich abenteuerlichen Lebens erinnerte, wollte ich – als geborener Jahrmarkter, der schon darum nicht alle Konzerte dieses Blasorchesters besuchte, weil er in einer konkurrierenden Kapelle spielte – wissen.

Also habe ich gelesen …, um bis zur letzten Seite keine einzige Erwähnung dieses Dorfereignisses zu finden. Für meine Enttäuschung wurde ich aber anderweitig reichlich entschädigt: Ich las in knapp drei Tagen – für einen wie mich, der nicht zu den Schnellüberfliegern gehört, eine erhebliche Leistung – eine Autobiografie, die nichts mit einem chronologischen Lebenslauf zu tun hat, sondern von mir eher als eine in brillantem Deutsch verfasste Abrechnung mit den eigenen Unzulänglichkeiten wahrgenommen wurde.

Natürlich gehören auch zu dieser Biografie Großereignisse der deutschen Geschichte. Wie anders könnte es bei einem 1935 in Dresden geborenen und dort pubertierenden Jungen sein: Drittes Reich, DDR und BRD. Heinz Czechowski hat auch das mittlere Glied dieser deutschen Geschichtskette ohne öffentlichkeitswirksame Dissidentschaft und trotzdem opponierend überlebt. Aber zu welchem Preis?

Die familiären Erschütterungen dieses Autors ermöglichen auch Einblicke in die tiefen Abgründe der Literaturszene des deutschen Vasallenstaates der großen Sowjetunion: Ehen, Scheidungen, Affären, Nervenzusammenbrüche und natürlich Bespitzelungen noch und nöcher. Ein unruhiges Leben, das eher Stoff für einen autobiografischen Roman als für eine genregetreue Autobiografie liefert.

Und das wurde es dann auch: ein von fesselnder Subjektivität kolorierter selbstbezogener Roman oder eine romanhafte Biografie, so als wäre sie von einem veritablen Romancier und nicht von einem Dichter verfasst. Aber ohne offenkundige Larmoyanz. Nur selten sind die Anderen schuld an den vielen seelischen Beschädigungen. Meistens outet Czechowski sich selber als Ursache allen Übels: „Ich hatte es nach meiner ersten Scheidung eigentlich immer nur zu einer Lebensweise gebracht, die durch Unstetigkeit und Improvisation gekennzeichnet war.“

Ich raste ungestüm durch die vielen tiefen und wenigen Höhen dieses deutschen – zu Beginn ostdeutschen – Dichterlebens der Gegenwart, um dann kurz vor Schluss doch noch den Atem anzuhalten. Viermal erwähnt Heinz Czechowski seinen „damaligen Lektor Werner Söllner“ vom Ammann-Verlag als seinen „Freund“. Zusammen haben sie an Czechowskis letztem bei Ammann erschienenen Gedichtband Wüste Mark Kolmen gearbeitet, ein Buch, zu dem der Dichter ein besonderes Verhältnis zu haben scheint. Er erinnert sich: „Einige der Gedichte sind der letzte Nachhall meiner sächsischen Existenz. Wenn es stimmt, daß Heimat das ist, was man nicht hat, so habe ich meine Heimat in einem doppelten Sinne verloren.“

Die Pole der Erinnerung ist 2006 im Grupello Verlag erschienen. Im Dezember 2009 hat Werner Söllner, der Banater Schwabe, von einer Münchner Bühne herab seine Spitzeltätigkeit für die Securitate publik gemacht, was damals als ein durchaus ungewöhnliches Ereignis eingestuft wurde. Heinz Czechowski († 21. Oktober) hat das öffentliche Geständnis seines ebenfalls heimatlosen Freundes und Lektors nicht mehr mitbekommen. Erschüttert hätte es ihn nach so vielen biografischen Erdbeben bestimmt nicht mehr.
Anton Potche

Montag, 13. Februar 2017

Kommunistisch durchgemogelt

Also das war mir wirklich längst ausdenkisch geworden; nämlich, wie meine Oma nach Deutschland fuhr. Bis kürzlich, als ich die Oktober-Ausgabe der in Temeswar erscheinenden Literaturzeitschrift ORIZONT durchklickte. Da fand ich die ziemlich regelmäßig erscheinende Rubrik Scriitorii în subteranele securităţii - Die Schriftsteller in den unterirdischen Gewölben der Securitate (ein metaphorischer Titel), verfasst von Daniel Vighi und Viorel Marineasa. Ausgearbeitet haben sie auch die Securitate-Akte NR. 2896/1B/002 vom 01.02.1984. Es ging um den Fall Eterul, der von dem Informanten Tomăneanu akribisch beleuchtet wurde. So berichtete er von einem Treffen, das am 23. Januar 1984 in der Fliesenfabrik Extraceram stattfand. Beteiligt waren der Schriftsteller Daniel Vighi und Nicolae Stoia (ein Priester mit mehreren veröffentlichten Büchern) sowie der Bildhauer Adrian Ioniţă. Der Informant hat ganze Arbeit geleistet und das Gespräch der drei kritischen Geister Wort für Wort wiedergegeben. Das sieht aus wie ein Romanmanuskript. Die (damals) jungen rumänischen Intellektuellen stritten sich über den effektivsten Weg, der Ceaușescu-Diktatur die Stirn zu bieten. Konkret ging es um einen „aktiven Widerstand“ oder um eine Unterwanderung: „Leute wie wir müssen in die Partei eintreten, Ștefan Gheorghiu (Akademie für Parteikader, A.d.V.) machen, sich ins politische System einklinken, die Sachverhalte ändern und den Lauf der Politik beeinflussen“, argumentierte Adrian Ioniţă. Dieser Meinung widersprachen seine Diskussionspartner heftig. Für Daniel Vighi war diese Unterwanderungstheorie sogar lebensgefährlich: „Du wirst dich aufreiben. Wirst du für eine Sache eintreten können, an die du nicht glaubst? Und dann werden die Kanaillen dich durchschauen, dich benutzen und bei der ersten Gelegenheit umbringen.“ Der Bildhauer führte dann ein ganz anderes Argument ins Feld: „Gut, aber seht Ihr nicht, dass die Dinge sich ändern, zwischen Iordache und Potîngă, zwischen Potîngă und Florescu gibt es Differenzen.“

Schau her, dachte ich mir, es gab damals in den 80ern noch Leute, die hofften, dass sich innerhalb der Partei etwas ändern könnte. Mehr aber auch nicht. Interessant wurde es für mich erst dann, als ich die Erläuterungen am Ende dieser Securitate-Akte las. Sie enthalten die Kurzbiografien der von Adrian Ioniţă erwähnten Parteikader. Und gleich beim ersten, Marin Iordache, las ich, dass er Propagandasekretär der Rumänischen Kommunistischen Partei im Kreis Temesch war und wegen einem Sexualdelikt sowie einem Plagiatvorwurf „zum Direktor der Brotfabrik rückversetzt wurde“. In dieser Position lernte ich den guten Mann kennen.

Und das kam so. Meine Mutter arbeitete als Putzfrau in der Büroetage der Temeswarer Brotfabrik CILT und kümmerte sich nebenbei auch um den Haushalt des damaligen Finanzdirektors, ein studierter orthodoxer Theologe mit einer deutschen Frau, den es in die Wirtschaft verschlagen hatte. Zwischen den Familien des Arbeitgebers und der Arbeitnehmerin entwickelte sich mit den Jahren ein Vertrauensverhältnis, das in so manchem Sautanz im Hause Potche in der Jahrmarkter Neugasse seinen geselligen Höhepunkt fand. Mein Vater schlachtete nämlich für Herrn Ardelean alljährlich in der Winterzeit ein Schwein. Nach getaner Arbeit wurde natürlich entsprechend verkostet: Konsistentes und Flüssiges. Einmal brachte Herr Ardelean zum Sautanz auch seinen Chef, den Direktor, mit. Und der war kein Geringerer als Herr, Pardon, Genosse Iordache. Tja, ich erinnere mich an einen feuchtfröhlichen Abend mit allem, was eine banatschwäbische Schlacht und der Keller des Hausherrn so hergaben.

Es dauerte nicht lange, bis die Zungen der zwei Genossen sich lösten und sie Witze – auch über die Eiche der Karpaten und ihr (sein) Hauptstadtgefolge – machten. Irgendwann spielten wir das berüchtigte Trinkerspiel General Bem. Natürlich war ich den zwei trinkfesten Genossen nicht gewachsen und der Abend endete für mich mit einem Filmriss.

Im darauffolgenden Jahr waren meine Eltern gerade im Urlaub in einem rumänischen Kurort, als Vaters Mutter ganz aufgeregt zu uns kam – ich war schon verheiratet und wohnte nicht mehr im Elternhaus – und mir erzählte, es wäre ein Telegramm aus Deutschland mit der Nachricht gekommen, dass ihr Schwager gestorben sei. Natürlich wusste ich sofort, worauf Oma hinauswollte. Es waren die 80er Jahre und die Deutschen in Rumänien hatte längst das Auswanderungsfieber ergriffen. Fort, nur fort, jedes Mittel heiligte diesen Zweck. Deutschlandbesuche ohne Rückkehr gehörten auch zu diesem Repertoire. Mir war aber sofort klar, dass man mit so einem Telegramm wohl kaum einen Besucherpass bekommen wird. Aber Oma wollte nach Deutschland, schließlich lebten ihre Enkelin und besonders die zwei Urenkelinnen schon dort.

Ich konnte ihr natürlich die Bitte nicht abschlagen, mit dem Telegramm als Beweismittel beim Passamt auf dem Sălăjan-Boulevard einen Reisepass zu beantragen. Mir war aber bewusst, wie hoffnungslos das eigentlich war. Da fiel mir jener Sautanz ein und eine eher beiläufige Bemerkung des CILT-Direktors. Er hatte zu meinen Eltern sinngemäß gesagt, dass er auch seine Bekanntschaften hätte, wenn es ums Auswandern geht. Zum Glück war in dieser Sautanzphase der Faden bei mir noch nicht ganz gerissen, so dass ich jetzt einen Strohhalm wahrnahm. Also machte ich mich am folgenden Tag nicht auf den Weg in die berühmtberüchtigte Sălăjan sondern in die Brotfabrik zu Genosse Iordache. Und siehe da, nach einigem Hin und Her und zwei Telefongesprächen der Pförtnerin mit irgendjemand wurde ich vorgelassen.

Der zuvorkommende Genosse fragte mich sofort nach den Folgeerscheinungen General Bems. Ich hätte keine dauernden Schäden davongetragen, entgegnete ich wahrheitsgetreu, was ihn zu belustigen schien und ihm einen gutgelaunten Übergang zu der Frage nach dem Grund meines Besuches ermöglichte. Ich schilderte ihm die Situation ohne Umschweife und wartete gespannt auf seine Reaktion. Genosse Iordache legte erst mal eine Kunstpause ein, während der er nachzudenken schien. Natürlich wusste er sofort, dass Oma von diesem Deutschlandbesuch nicht zurückkommen würde, kannte er doch unsere Familienverhältnisse.

Zwei Telefone standen auf seinem Schreibtisch. Er griff nach keinem, sondern nahm aus einer Schublade ein drittes und tat dann, was mich schon damals verwunderte. Ohne mich zu bitten, draußen oder in seinem Vorzimmer bei der Sekretärin zu warten, wählte er eine Nummer und begann sich mit Genosse Cornel Vrăbeţ zu unterhalten. Der Mann war damals Chef des Temescher Passamtes. Genosse Iordache erzählte ihm, er habe gegenüber einer „familie de șvab din Giarmata“ einige Verpflichtungen und jetzt wolle die „baba“ nach Deutschland zum Begräbnis ihres Schwagers fahren. Wäre das möglich? Das Gespräch ging noch eine Weile hin und her, aber ohne dass ich ihm inhaltsmäßig folgen konnte, da ich ja nur einen der Sprecher hörte. Der Direktor lud zum Schluss den Chef des Passamtes ein, doch mal bei ihm im Büro vorbeizuschauen, er (Iordache) habe eine Flasche amerikanischen Whisky im Kühlschrank und bei dem könne man sich ganz gut ein Weilchen unterhalten. Dann legte er den Apparat zurück in die Schublade, sah mich mit ernstem Blick an und empfahl mir, in der Sălăjan einen Antrag für einen Besucherpass auf den Namen der Großmutter einzureichen.

Ich bedankte mich so unterwürfig ich nur konnte – an meine Worte kann ich mich nicht mehr erinnern und nötig wäre diese Schleimerei auch gar nicht gewesen, denn wir waren doch General-Bem-Spielpartner – und verabschiedete mich. Dann suchte ich mir in einem Café einen stillen Platz und formulierte einen Antrag für einen Touristenpass. (Papier, Kugelschreiber und den Personalausweis der Oma hatte ich in weiser Voraussicht schon eingesteckt.) Danach genehmigte ich mir noch einen „cafea de nud“ und begab mich ans kleine Fenster in dem nicht besonders geräumige Besucherzimmer des Passamtes. Dahinter saß ein junger Leutnant. Er ließ mich eine Weile warten, öffnete dann den Fensterflügel und fragte recht freundlich nach meinem Anliegen. Ich schilderte ihm kurz die Situation und reichte ihm meine „cerere“ durch das Fenster. Das würde nicht funktionieren, meinte er, da es sich hier nicht um einen Todesfall eines Familienangehörigen ersten Grades, also Ehegatte, Kind oder Elternteil, handle. Ich wolle es trotzdem versuchen, sagte ich, nur um die Oma zu beruhigen und ihr das Gefühl zu geben, dass ich alles unternommen hätte, um ihr eine Fahrt zu diesem Begräbnis zu ermöglichen. Das schien den Leutnant in Uniform überzeugt zu haben. Er reichte mir einen Antragsvordruck und bat mich, ihn auszufüllen. Das tat ich sofort und reichte ihn ein. Mein handgeschriebenes Gesuch heftete er auch daran und legte die Blätter auf einen Papierstapel auf seinem Tisch. Dann sah er mich lächelnd an und sagte mir, die „bunica“ solle auf eine Antwort warten.

Der junge Mann hinter dem Schalterfenster des Passamtes war sich wahrscheinlich sicher, dass dieser Antrag wie tausende andere abgelehnt würde, während ich neben der Gewissheit, alles in meiner Macht stehende getan zu haben, doch ein kleines, winzig kleines Fünkchen Hoffnung hatte. Es vergingen drei oder vier Tage, Omas Schwager war in Deutschland mit Sicherheit längst beerdigt, da kam Ion, der Überbringer aller postalischen Aussiedlungsnachrichten, von dem Katharina Kilzer sogar schon in der FAZ berichtete, und brachte die Genehmigung für Omas Touristenpass.

Der Rest war Formsache. Entgegennahme des Passes am gleichen Schalter, aber aus der Hand eines anderen Beamten, Reise nach Bukarest, Visumbeschaffung bei den Botschaften Ungarns und Österreichs und ab ging Omas Fahrt nach Deutschland zu einem Begräbnis, das schon mehr als eine Woche zurücklag. Als meine Eltern aus dem Urlaub kamen, war die Oma schon in Ingolstadt bei ihren Urenkelinnen.

Es sind mehr als 30 Jahre ins Land gegangen. Oma hat sich längst ins Jenseits verabschiedet und meine General-Bem-Spielpartner hatten nach dem Untergang des Kommunismus unterschiedliche Biografien. Iosif Ardelean hat uns in den 90er Jahren mal in Ingolstadt besucht und ist mittlerweile auch verstorben, während sein Chef Marin Iordache in von staatlichen Institutionen finanziell geförderten Büchern heute noch von den guten alten kommunistische Zeiten schwärmt. (Ja, auch das gibt es 10 Jahre nach Rumäniens Beitritt zur EU.) Ob er in seinem 2013 erschienenen und mit 7000 Lei vom Kreisrat Timiş / Temesch geförderten Buch Epoca putea fi de aur - Es hätte eine Goldepoche sein können auch von dem Sautanz in der Jahrmarkter Neugasse und seinem (damals) noch jungen General-Bem-Partner erzählt, weiß ich nicht, da ich mir das Buch nicht besorgen konnte. Vorstellen kann ich mir aber, dass es solche Geschichten aus der Biografie des Marin Iordache waren, die ihm bis heute einen realistischen Blick auf jene Zeit schier unmöglich machen. Und da ist er beileibe nicht der einzige in Rumänien.

Kommunistisch durchgemogelt, kann man aus heutiger Sicht wohl sagen, wenn man mein damaliges Verhalten aus der Zeitdistanz betrachtet. Ja, um ganz ehrlich zu sein, ich bezweifle sogar, dass ich die „Hilfe“ des Genossen Iordache ausgeschlagen hätte, auch wenn mir damals bekannt gewesen wäre, dass der Mann als Sexist und Plagiator sogar in den Kreisen der Nomenklatura verschrien war. Es gab in jenen Jahren eben nur eine Priorität: Aussiedlung um jeden Preis. 

Anton Potche

Mittwoch, 1. Februar 2017

Eine durch und durch korrupte Politikerkaste

Die rumänische Regierung hat am späten Abend des 31. Januar mit einer Eilordonanz das Strafgesetzbuch dahingehend geändert, dass viele straffällige Politiker nicht mehr belangt werden können. In der gleichen Sitzung wurde ein Gesetzentwurf bewilligt, der eine Amnestie zum Inhalt hat, die vielen wegen Korruption, Interessenkonflikten und anderen Vergehen eingesperrte Politiker die Freiheit bringen könnte.

Rumäniens Präsident Klaus Johannis hat sich per Facebook an das Volk gewandt und vor einer Gefährdung der Demokratie gewarnt. Obwohl diese Sitzung so spät angesetzt war, strömten in mehreren Großstädten Rumäniens hunderte, in Bukarest tausende Menschen auf die Straßen und protestierten gegen die Maßnahmen der von Sozialdemokraten dominierten Regierung.

Rumänien hat in den zurückliegenden Jahren, nach seinem Eintritt in die EU, in Brüssel anerkannte und nicht selten lobend erwähnte Fortschritte im Kampf gegen die Korruption gemacht. Umso schwerwiegender ist jetzt dieser Rückschlag. Der mitternächtliche Aufruf des Präsidenten an das rumänische Volk lässt keine Zweifel an seiner Sorge ob der Ernsthaftigkeit der Lage aufkommen: „Liebe Rumänen, heute ist ein Trauertag für den Rechtsstaat. Rechtsstaat, der heute einen heftigen Schlag von den Gegnern der Justiz, der Gerechtigkeit und des Kampfes gegen die Korruption bekommen hat. // Die PSD- und ALDE-Regierung hat den Traum und die Bestrebungen von Millionen freien Rumänen, die in einem von Korruption bereinigten Land leben wollen, ignoriert. // Heute hat die PSD- und ALDE-Regierung die Arbeit von zehntausenden aufrichtigen und tapferen Menschen aus der rumänischen Justiz, die in den letzten Jahren bewiesen haben, dass niemand und nichts über dem Gesetz steht, zunichte gemacht. // Die PSD- und ALDE-Regierung hat die Bemühungen Millionen von Rumänen, aus Rumänien ein in Europa respektiertes Land zu machen, zerstört! // Ab heute wird die Schadensgutmachung sehr schwer. // Die Dezemberwahl hat zur Bildung einer Mehrheit geführt, die eine legitime Regierung gebildet hat. Aber das Votum bildet keinen Freibrief für eine Mehrheit, alles tun zu dürfen, vom Erlassen populistischer Maßnahmen, die riskieren, die wirtschaftliche Stabilität der nächsten Jahre infrage zu stellen, bis zum wahrhaftigen Treten der Justiz und des Rechtstaates. //  Im Dezember sind die Menschen mit der Hoffnung für ein besseres Leben zur Wahl gegangen und nicht für eine geschwächte Antikorruptionsgesetzgebung. // Es stellt sich die Frage, wie wir in Zukunft Rumänien sehen wollen, als Land, in dem die Menschen leben wollen, oder das sie verlassen wollen. // Die Herausforderung des Volkes seitens der PSD ist vollkommen. Sie vergisst aber einen essenziellen Faktor. Die Werte, auf denen ein demokratischer Staat aufgebaut ist, ein wahrhafter Rechtsstaat, gehören nicht einer nach den Umständen variierenden Mehrheit oder Minderheit, sondern uns, allen Rumänen. // Ab heute ist es meine Aufgabe, den Rechtsstaat wieder herzustellen. Ich werde alles mir Mögliche unternehmen, um aus Rumänien ein von der Korruption befreites Land zu machen! Ich werde bis zum letzten Tag meines Mandats für diese Sache kämpfen!“

Das ist eine klare Kampfansage an die sozialdemokratische Politikerkaste des Landes, die gerade dabei ist, ihrem seit Jahren gesetzwidrigen Gebaren einen gesellschaftlichen Anstrich zu verpassen. Die Frage ist nur, wie groß der Rückhalt des Präsidenten in der rumänischen Gesellschaft überhaupt noch ist. Auch seine Anerkennungswerte waren in den letzten Monaten im Sinken. Ein Land, in dem man Trink-, Schmier- und Bestechungsgeld in einem Wort zusammenfasst - șpagă - und das seit Jahrhunderten zur DNA eines ganzen Volkes gehört, ist in Sachen Korruption kaum reformierbar, trotz aller bisher erzielten Erfolge.

Die Lage ist umso komplizierter, als in der Regierung nur Marionetten von im Hintergrund mehr oder weniger auffällig agierenden „Baronen“, wie das Volk sie nennt, sitzen. Die nationalliberale Opposition ist selbst von Korruptionsaffären geschwächt und sogar Klaus Johannis scheint wegen alten Häuser- und Grundstücksgeschichten sowie Bereicherungsgerüchten (aus Nachhilfeunterricht) nicht ganz unangreifbar zu sein. Die Zivilgesellschaft zeigt sich in diesen Tagen zwar in den Straßen, eine klare Koordination ihrer Aktionen ist aber nicht zu erkennen.

In Brüssel hatte man schon immer ein besonderes Augenmerk auf die rumänische Justiz. Und das wird nach den momentanen Entwicklungen in der rumänischen Politik wahrscheinlich noch eine Weile so bleiben, denn die neuen Verordnungen sind schlichtweg hanebüchen: Amtsmissbrauch, der zu einem Schaden von bis zu 200.000 Lei (ca. 45.000 Euro) führt, wird nicht mehr als Straftat bewertet; Oberflächlichkeit im Amt wird unabhängig von der Größe des entstandenen Schadens nicht mehr geahndet; usw., usf. (aus EVENIMENTUL ZILEI). Wie auch immer, Rumänien scheint ein „heißer“ Frühling bevorzustehen. Die Baustellen in der EU werden nicht geringer.

Anton Potche