Montag, 16. April 2018

Unterhaltungsliteratur eben

Johannes Mario Simmel: Der Stoff aus dem die Träume sind, Roman; Bertelsmann, Reinhard Mohn OHG, Gütersloh (ohne Jahreszahl); 768 Seiten, Hardcover; (bei Internetanbietern erhältlich)

Es war in den 1970er Jahren. Und ich kann mich im Ungefähren erinnern, dass, während Herta Müller, Richard Wagner, Horst Samson & Co, von der Wiener Gruppe um Artmann, Achleitner, Jandl & Co. schwärmten, in Jahrmarkt unter den Lenau-Schülern Bücher von Konsalik und Simmel kursierten. Unterhaltungsliteratur eben. Sie befand sich im Gepäck von Touristen und blieb nach deren Abreise im Land. Einige dieser Bücher trugen noch einen DAAD-Aufkleber (Deutscher Akademischer Austauschdienst) und waren mit der Post in das noch nicht ganz verdunkelte Rumänien gelangt.

Der Simmel-Band, den ich soeben zugeschlagen habe, stammt aus der Ingolstädter Stadtbücherei und landete nach einer Bücher-nach-Kilogramm-Aktion (1 kg = 1 Euro) in meinem Bücherregal. Jetzt habe ich die 768 Seiten geschafft und bin selber geschafft.

Johannes Mario Simmel (1924 – 2009) hat den Roman Der Stoff aus dem die Träume sind 1971 geschrieben. Inspiriert hat er sich dabei aus einer wahren Begebenheit, aber die Handlung so verschlüsselt, dass es „unmöglich“ ist, „auch nur einem einzigen Menschen zu schaden“, wie es in einer kurzen Einleitung heißt.

Durch sieben Kapitel zieht sich die Handlung des Romans dahin, mal hurtigen Fußes, mal träge und für den Leser recht mühsam. Es sei denn, man findet an abstrakten, unlogischen, ins Reich der Fantasie verfrachtete Geschichten seine Freude.

Der Roman würde auch ohne Luise Gottschalk sehr gut funktionieren. Nicht aber ohne zwei andere Gestalten. Der 36 Jahre alte Journalist bei BLITZ (Simmel hat jahrelang für die Münchner Illustrierte QUICK gearbeitet), Walter Roland, und sein Kollege Bert Engelhardt, Fotograf, fahren in ein Flüchtlingslager in der Nähe von Bremen, eine sumpfige Gegend, um für eine Sozialreportage zu recherchieren. Man schreibt das Jahr 1968 und nicht nur in Deutschland, sondern auch hinter dem Eisernen Vorhang, besonders in der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik (ČSSR) ist einiges los. Die Zeit ist also wie geschaffen, um aus einem normalen Journalistenunterfangen, eine Spionagegeschichte mit allen Zutaten, oft auch unappetitlichen, entstehen zu lassen. Zur Unterhaltung der Leser, was die voll goutierten und auch heute noch schätzen. Simmels 35 Romane haben bis 2016 eine Auflage von ca. 73 Millionen verkauften Exemplaren erreicht.

Als epische Großform bietet auch dieser Roman Spielräume für verschiedene Abläufe, deren Verortungen Einblicke in unterschiedliche Milieus ermöglichen. Da wäre zum einen die Redaktion von BLITZ mit ihrer Arbeitsweise und vorgegebener Politik (von wegen unabhängiger Journalismus), das Leben in einem Flüchtlingslager für Kinder und Jugendliche aus dem Ostblock, das Hausen in einem Fünf-Sterne-Hotel und nicht zuletzt das Privatleben der Protagonisten. (Wenn ich so viel gesoffen hätte wie Roland, wäre ich schon längst unter der Erde.)

In der Spionagegeschichte sind die Hauptakteure des kalten Krieges, Russen und Amerikaner, die Strippenzieher im Hintergrund. Die Drecksarbeit, inklusive Messer in der Brust, machen Handlanger des gewaltsamen Todes.

Versucht man, diesen Stoff aus dem die Träume sind nach den Substanzschichten Handlung, Figur und Raum zu beurteilen, so schwankt man zwischen Handlung und Figur als wertsteigerndes Element. Ich würde schlussendlich leicht für die Figur tendieren, denn dieser Journalist und Säufer Roland gibt als literarische Person schon etwas her, was aber nicht heißt, dass man ihn gleich in eine Reihe mit Don Quijote (de Cervantes), Werther (Goethe)oder gar Hyperion (Hölderlin) stellen muss. Dieser Simmel-Roman ist ja auch nur Unterhaltungsliteratur. Aber gute.
Anton Potche

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