Als man noch Briefe mit der Hand schrieb und sie aus Ingolstadt in die Welt verschickte, schrieb man auf die Absenderadresse „Ingolstadt an der Donau“. Seither ist auf dieser viel Wasser in Richtung Schwarzes Meer geflossen. Heute spricht oder liest man nur von der Auto- oder Audistadt „Ingolstadt“. Ich kam vor Rund 30 Jahren als Aussiedler nach Ingolstadt an der Donau. Heute lebe ich in einem Ingolstadt, das von Teilen des gegenwärtigen Stadtrates, mit einer CSU-FW-Mehrheit, anscheinend „in“ die Donau geschoben werden will. Sollte ich in Zukunft in meine Absenderadresse gar „Ingolstadt in der Donau“ tippen müssen?
Schaut man sich den Aktionismusdrang der Stadtparlamentarier an, dann ist diese Frage gar nicht so abwegig. Seit Jahren schwadronieren sie davon, die Stadt „näher an die Donau zu bringen“. Dabei hat man doch die Donau schon im 14. Jahrhundert näher an die Stadt gebracht. Ihr Hauptarm verlief viel südlicher durch eine ausgedehnte Auenlandschaft im heutigen Flussbett der Sandrach.
Was Ingolstadts Stadtväter unter „näher an die Donau“ verstehen, kann man in Teilen schon jetzt sehen: vor allem Beton, Beton, Beton und je weniger naturbelassene Uferböschungen. Diese öde Verschandelung einer Flusslandschaft nennt man hierzulande Promenade. Dort sollen die Ingolstädter noch mehr als bisher flanieren – in einer betongrauen Flusslandschaft. Schließlich sind die Autobauer moderne Menschen und keine nostalgischen Romantiker, oder umgekehrt, romantische Nostalgiker.
„Schaue jemand den Donaustrom, wie groß, wie breit, wie tief, wie reißend, wie rasend derselbe. [...] Er ist nichts als Wasser und ist doch immerzu rauschig. Seine Tiefe, wer will’s ergründen? Seine Stärke, wer will sie binden? Seine Größe, wer will sie mindern? Seinen Lauf, wer will ihn hindern? Groß und grausam, grausam und groß ist die Donau!“ (Abraham a Santa Clara, *1644 - †1709, Jesuitengymnasiast in Ingolstadt)
„Schlosslände“ nennen die Ingolstädter die stark befahrene Straße entlang der Donau zwischen der Schiller und der Adenauerbrücke, also Anlegeplatz für Flösse, Kähne oder Schiffe. Abraham a Santa Clara wüsste bestimmt, was ich meine. Diese Straße soll jetzt verschwinden oder im besten Fall für Privatautos gesperrt werden, damit wir Ingolstädter endlich näher zur Donau kommen. Das heißt, circa 17.000 Autos sollen täglich die Altstadt durch- oder umfahren, um vom Osten des weiterhin rasant wachsenden Stadtgebiets in den Westen und vice versa zu gelangen. Einen originellen Beitrag zur deutschen Klimapolitik kann man das wohl nennen. Oder sollte die Botschaft aus der Audi-Zentrale im Nordwesten der Stadt, dass die Ära des Verbrennungsmotors noch lange nicht vorbei sei, nicht bis ins Stadtzentrum vorgedrungen sein?
Hochwasserschutzwand und Treppen an der Schlosslände |
Und so wird die Stadt nach Stadträtevision näher zur Donau rücken, sich förmlich an den Fluss kuscheln: Die Menschen werden nicht nur ihre Wohnungen, sondern sogar ihre Haus- und Schrebergärten verlassen, um sich wie die Eidechsen auf den Betonterrassen zu sonnen. „An der Schlosslände würde auf mehreren hundert Metern eine unmittelbare Verbindung zur Donau geschaffen; teils über die vorhandenen Treppen in der Ufermauer, teils über neue Terrassen, die direkt bis hinunter ans Wasser führen könnten.“ (DONAUKURIER) Das ist unsere Romantik, gut 300 Jahre nach Abraham a Santa Clara. Besucherströme aus allen Herren Länder werden die Stadt überfluten, um dieses Anblicks vollkommener Glückseligkeit gewahr zu werden. Und sie werden eine wahre Lände vorfinden, mit (Restaurant)Schiff und Fähre mit Fährmann.
Und trotzdem muss der Name „Schlosslände“ dann auf jeden Fall geändert werden. Das Schloss wird nämlich von der Promenade, also auch vom so innig geliebten Fluss her gar nicht oder nur eingeschränkt zu sehen sein. Besonders Ingolstadts Kulturpolitiker, aber auch deren Kollegen im Stadtrat, liebten schon immer den großen Wurf und nicht das triviale Klein-Klein. Das führte dann in der Regel zu Stadtverunstaltungen wie der Rathausplatz oder das Industriebrachland auf dem Gießereigelände, um nur zwei Beispiele von vielen zu nennen.
Der letzte angedachte große Wurf heißt „Museum der Bayerischen Geschichte“. Es soll zwischen Neuem Schloss und Donau gebaut werden, falls Ingolstadt den Zuschlag bekommt. Die Sicht auf das Schloss wäre futsch, es sei denn, man baut das Museum nach unten, am besten gleich in die Donau. Welch herrliche Perspektive für eine deutsche Großstadt.
Dass die anvisierte Donaupromenade als Zuschlag für die vom Kulturamt der Stadt bei der Landesregierung in München eingereichte Bewerbung für das Geschichtsmuseum zu bewerten ist, liegt klar auf der Hand. Ingolstädtern, die eine naturnahe Heimatstadt einer von Beton strotzenden, kalten Großstadtatmosphäre vorziehen, bleibt dabei nur die Hoffnung, dass eine andere Stadt den Zuschlag für dieses Museum bekommt.
Man liest in letzter Zeit in der Lokalzeitung von weinenden Referendarinnen und der Initiative eines gesamten Schulkollegiums für neue Lehrerstellen. Ein Arbeitskollege hat mir heute erzählt, dass in seiner Dorfschule Simultanunterricht angedacht war, nur weil ein (1) Kind für die nötige Klassenstärke fehlte. Er will aber nicht, dass sein Kind über- oder unterfordert wird, je nachdem ob es mit älteren oder jüngeren Kindern in eine Klasse kommt. Das wäre eigentlich das richtige Feld, auf dem Politiker sich profilieren sollten (auch wenn es nicht unbedingt in ihrem direkten Zuständigkeitsbereich liegt) und nicht Prestigebauten und Betonterrassen – selbst in oder gerade in Zeiten, in denen Steuergelder reichlich fließen.
Anton Potche
Foto& Video: Anton Potche
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