Montag, 18. September 2023

Multikulti ist heute normal

Als ausgesiedelter Banater Schwabe oder besonders als Temeswarer Deutscher neigt man schnell dazu, den Verlust eines vielsprachigen Umfeldes als einen der zurückgelassenen Güter zu proklamieren. Da es sich hier um einen gesellschaftlichen Umbruch der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts handelt, dürfte das wirklich bei älteren Zeitgenossen noch eine wehmütige bis sogar schmerzliche Erinnerung generieren. Dabei könnten wir schnell dazu neigen, eine Einzelstellung in diesem Verlust, ehrlicher gesagt, Verzicht der Multikulturalität, in die wir hineingeboren wurden, zu beanspruchen.

Dem ist allerdings nicht so. Ein in jenen Jahren nach Temeswar Eingewanderter konnte damals genauso empfinden wie ein Einheimischer und die aus den folgenden geschichtlichen Ereignissen stattgefundenen sozialen Umbrüche bis heute memoriert haben. Und sich auch ab und zu noch lebhaft daran erinnern. So etwa der Kolumnist Adrian Marcu auf dem Internet-Portal www.banatulazi.ro. Ein wirklich sehr schöner Essay mit dem Titel Die Juden, die Deutschen, die Ungarn und die „Seidezigeuner“ aus der Fabrikstadt der 80er Jahre.

Er erzählt, wie er 1986 als 13-Jähriger aus Caransebeș / Karansebesch nach Timișoara / Temeswar kam. Und er erzählt von seinen Ängsten, als Ausgestoßener zu gelten. Doch siehe da, das soziale Umfeld in der Vasile-Cârlova-Straße in der altehrwürdigen Fabrikstadt gab überhaupt keinen Anlass zu solchen Ängsten. Seine neuen Spielkameraden waren „Deutsche, Ungarn, Juden, Serben, Bulgaren und natürlich Zigeuner. Eine Melange von mitwohnenden Nationalitäten, wie man sie in sozialistischer Zeit nannte, die fast ohne Risse miteinander lebten, in einer Art in Rumänien schwer zu findenden zärtlichen Nachbarschaft.“ Die Umgangssprache der Halbwüchsigen war Rumänisch, wechselte aber schnell, wenn gleiche Ethnien unter sich waren. Bei den Erwachsenen spiegelte sich dieses Verhalten in uneingeschränkter Hilfsbereitschaft im täglichen Leben: „Eine offene Tür und eine zuverlässige Hand fandest du beim Elektromotorenwickler Hansi, wenn der uralte Schwarz-Weiß-Fernseher oder zum Teil Farbfernseher verstummte. Genauso konntest du mit vollem Vertrauen den exzellenten Spengler Gyuri um Hilfe bitten, wenn der müde Familien-Dacia in allen Nähten zu rosten begann.“

Was ihm, dem Kolumnisten, heute in Temeswar fehlt, ist eben der Geist von Temeswar, „die ethnische Melange von früher.“ Und um nach eigenem Bekunden ganz ehrlich zu sein, ist es für den Journalisten Adrian Marcu „die Nostalgie, nach den weggegangenen Deutschen“. Die allerdings, die „weggegangenen Deutschen“, leben in einem Land, in dem die bereits heimisch gewordene „ethnische Melange“ aus Menschen aller Herren Länder dieser Erde besteht. In meiner Heimatstadt Ingolstadt höre ich nämlich auf Schritt und Tritt das meinen Ohren aus den 80er Jahren so vertraute Rumänisch, aber auch Ungarisch, Serbisch, Zigeunerisch, Bulgarisch und andere, nicht immer klar identifizierbare Sprachklänge aus dem südosteuropäischen Raum. Tja, auch sie bedeuten für mich ein Stück Heimat. Multikulti ist heute eben längt normal.

Anton Potche

Mittwoch, 13. September 2023

Seppi und Peppi unterhalten sich über einen neuen Bundestrainer

Seppi und Peppi sitzen vor dem Mohrenkopf und machen sich tiefenpsychologische Gedanken über die Ablöse von Hansi Flick.

- Was denkst du, wer wird es?

- Der Watzke hat doch angeblich den Uli schon gefragt, ob er den Nagelsmann aus seinem Vertrag bis 2026 entlässt. Und er hat den Uli auch gefragt, ob der Nagelsmann gut ist.
- Und was hat der Uli gesagt?
- Ja, er ist gut.
- Warum haben sie ihn dann weggejagt?
- Weil gut bei den Bayern vier Steigerungsstufen hat?
- ???
- Gut, besser, am besten und bayern-gut.
- Aha. So schließt sich sprachlich ein Kreis. Und der Nagelsmann war nur gut.
- Ja, da ist für bayern-gut noch Luft nach oben.
- Aber für die Nationalmannschaft würde gut gut genug sein?
- Ja. Das weiß auch der Watzke.
- Darum hat er wahrscheinlich gar nicht nach bayern-gut gefragt.
- Ja, klar, der ist ja nicht umsonst ein Fußballpsychologe.
- Wer, der Watzke oder der Uli?
- Na der Watzke.
- Und der Uli?
- Der auch.
- Also so ist das? Da wäre ich nie dahinter gekommen.
- Macht nichts. Ich habe dir den Sachverhalt gerne dargelegt.
- Danke. Dafür gebe ich gerne noch einen aus. Bedienung!


Seppi und Peppi philosophieren in der prallen Sonne. Warum nur spannen sie den Sonnenschirm an ihrem Tisch nicht auf?

Montag, 11. September 2023

Autobiographie bis zum 30. Lebensjahr

Ingmar Brantsch: Ich war kein Dissident – Autobiographie; POP Verlag, Ludwigsburg, 2009; 254 Seiten, [D] 13,80 €, [AT] 17,-- €, [CH] 22,-- Sfr.

Wer ist dieser Ingmar Brantsch? Laut Kurzvita am Buchanfang wurde er „am 30. Oktober 1940 in Kronstadt / Brașov in Siebenbürgen geboren. Und er war kein Dissident, wie wir schon aus dem Titel seiner Autobiographie, die eigentlich nur eine halbe ist, erfahren. Sie enthält nur die ersten 30 Jahre seines Lebens, die bis zu seiner Ausreise nach Deutschland. Seine deutschen Jahre mussten ohne niedergeschriebenes autobiographisches Reflektieren oder Erzählungen aus dem Erfahrungsschatz des bundesdeutschen Alltags auskommen, weil er am 31. Oktober 2013 als „oft unbequemer, aber immer menschenfreundlicher […], belesener Literat, als Dichter, als Streitpartner, als Mensch“, wie Konrad Wellmann es in der HERMANNSTÄDTER ZEITUNG am 29. November 2013 formulierte, leider verstorben ist.

Die vorliegende Autobiographie macht auf jeden Fall Lust auf Mehr, was jetzt leider nicht mehr möglich ist. Das hat vor allem auch mit dem Ton und dem Stil des Autors zu tun. Der Ton ist spitzbübisch, nicht durchgehend, aber oft sogar in Situationen, die eher eine missmutige Formulierung erwarten ließen. Ingmar Brantsch hat mit leichter Feder geschrieben. Sein Humor ist fein, oft tiefgründig und nie derb. Gut, als der sich erinnernde Autor seine bewusst erlebte „Kindheit im Karpatenbogen“ Revue passieren ließ, kamen Bilder in ihm auf, die noch aus der späten Kriegs- und frühen Nachkriegszeit stammten: „Auf dem Pfarrhof – mein Onkel war der Gemeindepfarrer – spielten wir überall herum. So kamen wir auch zu dem Platz, wo man die Nachttöpfe ausleerte. Urdemokratisch grenzten wir auch diesen Platz nicht aus, was eine Typhuserkrankung für mich zur Folge hatte.“ Immerhin überlebt, wie wir heute wissen.


Dass es immer wieder solche Vorfälle im Leben des Autobiographen Ingmar Brantsch gab und wie er mit diesen oft chaotischen Situationen fertig wurde, ist ein guter Grund, zu diesem Buch zu greifen. Man gewinnt Eindrücke vom sozialen und vor allem vom multiethnischen Leben der Menschen in Siebenbürgen. Ingmar Brantsch besuchte ein rumänisches Gymnasium und konnte als siebenbürgisch sächsischer Exot so manche Erfahrung fürs spätere Leben sammeln. Etwa so: „Als die Reihe an mich gekommen war, betonte ich das Wort „balegă” - Mist – statt auf der ersten Silbe auf der zweiten, und die dörfliche Milieuschilderung endete in einem unerwarteten Heiterkeitsausbruch der Klasse.“ (Szene aus der siebenten Klasse.)

Man spürt in dem lockeren Erzählstil des Autors, ohne ermüdende Beschreibungen, dass er als Jugendlicher Sympathien für die rumänische Kultur im Allgemeinen und für die Literatur im Besonderen entwickelte. Obwohl er viele Persönlichkeiten des damaligen Kulturlebens nur namentlich streift, spürt man, dass dieses multikulturelle Klima ihm gefiel. Die Folgen waren nicht überraschend: das Studium der Germanistik in Bukarest. Und für heutige Leser hält Brantsch fest: „Im Fach Deutsch, im Germanistikstudium, gab es in Rumänien eine weltweit einmalige erfreuliche Sondersituation. Nirgendwo sonst im Ostblock – aber auch im Westblock nicht – wurde nach dem Zweiten Weltkrieg einer deutschen Minderheit von 400.000 Menschen ein Recht auf eine eigene Ausbildung mit Deutsch als muttersprachlichem Unterrichtsfach für die selbständigen Schulen gewährt.“ 

Köstlich dieses Kapitel Meine Universitäten Ost mit Untertiteln, die nach seelischer Entblößung klingen: Meine im wahrsten Sinne öffentliche männliche Entjungferung, siebzehnjährig im ersten Studienjahr. Wir sind im Jahre 1957 und lernen die rumänische Hauptstadt mit einem Schwerpunkt auf dem universitären Leben kennen. Hier bekommt das Buch eine zeitgeschichtliche Wertigkeit. In den Vordergrund rückt eine deutsche Literaturszene in Bukarest. Ja, die hat es gegeben. Und wir begegnen Namen, von denen Jahrzehnte später einige im bundesdeutschen Literaturbetrieb wieder auftauchen sollten. Ingmar Brantsch hat viele von ihnen - auch aus der schreibenden Zunft in Kronstadt – gekannt, war mit ihnen befreundet oder auch nicht: Dieter Schlesak, Oskar Pastior, Eduard Eisenburger, Hans Schuller, Richard Adleff, Franz Johannes Bulhardt, Paul Schuster, Alfred Margul Sperber u. a. Es geht auch nicht ohne die Aktionsgruppe Banat. Deren Mitglieder konnte er aber persönlich gar nicht kennengelernt haben, wo sie doch einer ganz anderen Generation angehörten und weder in Bukarest noch in Kronstadt aktiv waren, sondern in Temeswar, und das zu einer Zeit, als er schon längst in der Bundesrepublik lebte. Wie auch immer, diese „Aktionsgrüppler“, wie er sie despektierlich nannte, hatten es ihm angetan. Er findet immer wieder eine Lücke für sie in seiner erinnerten Vita. 

Die Chronologie der Ereignisse findet Ingmar Brantsch nach seinem 5-jährigen Studium als „mit 21 Jahren fertiger Studienprofessor“ noch eine Weile in Bukarest, wo er eine Planstelle im Haus der Presse zugeteilt bekam, aber „viel zu früh, viel zu jung, viel zu unerfahren, und vor allem nicht stark genug“, wie er seine Leser wissen lässt. Dieses Abenteuer sollte zwei Jahre lang dauern.


Dann kehrte er ans Andrei-Șaguna-Gymnasium, seine „alte Penne“ in Kronstadt, zurück. Dazu lesen wir: „Mit 23 Jahren war ich als Studienprofessor an meinem alten Gymnasium, ein neuer Kollege meiner alten Lehrer und Gesprächsstoff im Kreise meiner alten Schulkollegen.“ Und das in einer Zeit, als sich der Geist der Achtundsechziger auch in Kronstadt bemerkbar machte. Ingmar Brantsch spürte den Hauch (Vollbart, lange Haare, Aufmüpfigkeit etc.) aus dem Westen, der ihm einige Unannehmlichkeiten bescheren sollte.

Inzwischen verstand Brantsch sich auch als Literat. Und damit kamen neue Komplikationen. Plagiat, Eitelkeit und andere einem normalen Literaturbetrieb eigene Merkmale standen auf der Tagesordnung. Auch die KARPATENRUNDSCHAU mit ihren damaligen Akteuren kommt beim Autobiographen Ingmar Brantsch schlecht weg.

Mit dieser Presse-Episode ist ein dreißigjähriges Leben eines rumäniendeutschen Intellektuellen auf seiner heimatlichen Scholle, die er mit literarischer Feder beackerte (manchmal auch im Duktus des real existierenden Sozialismus) beendet. Es ging in Köln, wie schon erwähnt, weiter. Leider ohne Autobiographie.

Anton Potche