Eine
Suche nach Jahrmarkter Schwerpunkten
Die
Schriften über die Gemeinde Jahrmarkt im Banat / Rumänien und seine
einst deutsche Bevölkerung sind ziemlich spärlich. Hie und da eine
Erwähnung und zwei dünne Büchlein von Pfarrer Franz Demele
sowie aufschlussreiche Beiträge von Luzian Geier
und Franz Junginger im Ortssippenbuch der
katholischen Pfarrgemeinde Jahrmarkt (Ulm, 2008) –
das war‘s dann auch schon bis zum ersten Weltkrieg. Man hätte
eigentlich erwarten können, dass für die Zeit danach mehr
Lesematerial zur Verfügung stehen würde. Dem ist aber bei weitem
nicht so. Die Jahrmarkter haben keine detaillierte Ortsmonographie –
vollmundige Ankündigungen gab es schon in den 1980er Jahren -, dafür
aber einige Bücherveröffentlichungen ohne wissenschaftlichen
Anspruch. Umso deutlicher hat man aufs Originelle gesetzt, was
natürlich mehr dem Unterhaltungswert als der fundierten Information
dient. Bei der sich stetig verkleinernden Zahl von ehemaligen
Jahrmarktern ist das eigentlich eine verständliche
Veröffentlichungsstrategie der Heimatortsgemeinschaft Jahrmarkt. Auf
der Strecke bleiben dabei Informationen, die über das Innenleben
einer Dorfgemeinschaft – deren Existenz man zeitlich genau
eingrenzen kann - mit all seinen Konflikten Auskunft geben könnten.
Schließlich
und endlich handelt es sich um eine Gemeinschaft deutscher Menschen.
Als solche waren sie auch den politischen und ideologischen
Einflüssen der Nazipropaganda ausgesetzt. Unsere – ich denke an
die Generation der jetzt 50-, 60- und 70-Jährigen – Väter waren
damals im Kinder- und Jugendalter, aber unsere Großväter, die in
den Krieg mussten oder freiwillig gingen, hatten bestimmt eine
Meinung zu den Geschehnissen in der Welt und in ihrem Dorf.
Konfliktpotenzial gab es genug. Aber man sprach nach dem Krieg nur
sehr verhalten, ja manchmal flüsternd, darüber. Und schriftliche
Aufzeichnungen gibt es auch aus jener Zeit so gut wie keine. Das ist
der Weg in ein geschichtliches Nichts, das der eine in
seiner Familiengeschichte vergeblich sucht, während der andere es gar nicht finden will. Zudem muss man festhalten, dass es in Rumänien
nach dem Krieg sehr schwierig war, an Archivbestände heranzukommen,
um die Dorf-Aufarbeitung jener finsteren Zeit (von der viele – auch
Verwandte von mir – bis in die heutige Zeit schwärmten) in Angriff
zu nehmen.
Das
führte dazu, dass die mir bekannten Bücher – allesamt in
Deutschland verfasst – ein eventuelles Kapitel „Kriegszeit in
Jahrmarkt“ (Franz Demele hat dem Thema nach dem Ersten
Weltkrieg noch sein zweites Buch gewidmet) nicht enthalten. Immerhin
gibt es in dem 1983 von der HOG Jahrmarkt herausgebrachten
Erinnerungsbuch (mehr Foto-als Textmaterial) Jahrmarkt im Banat
das Kapitel Kriege und Deportation,
in dem der Hinweis zu lesen ist, dass die
„einige Hundert Jahrmarkter“, die sich im Mai 1943 für die
deutschen Heeresverbände mustern ließen, dies „teils mit
Begeisterung, teils mit gemischten Gefühlen, teils auch
widerstrebend“ taten. Oder
im Jahrmarkter Heimatblatt Deportation 1945 findet
man zur gleichen Thematik den Satz: „Auf
>Verweigerer< übte die Volksgruppenführung einen in den
meisten Fällen wirksamen Druck aus.“
Diese Andeutungen lassen die Vermutung zu, dass
es in jener Zeit auch
in Jahrmarkt nicht immer
harmonisch zuging.

Und
das dem wirklich auch so war, kann man im 2017 von Dușan
Baiski,
ein im Banat lebender serbischer Schriftsteller und Publizist
(schreibt
rumänisch),
herausgebrachten monographischen Werk nachlesen. Der Autor hat den
oft mühseligen Weg in die Archive nicht gescheut und so manches
Licht ins Dunkel der Banater Geschichte zur Zeit des Zweiten
Weltkrieges gebracht. Er
erläutert im Vorwort, dass er mit dieser Arbeit, Război
în Banat - Studii monografice (Krieg
im Banat – Monographische Studien),
eine „Freske
der Kriegszeit“
malen wollte, um „den Lesern ein Bruchstück (crâmpeie)
der Atmosphäre
aufzuzeigen, in
der die Banater damals gelebt haben – also auch die Banater
Schwaben“. Dass dann vorwiegend die Deutschen Eingang in das 348
Seiten umfassende Buch gefunden
haben, ist der Tatsache zu
verdanken,
dass die Ordner und Kladden
im Archiv der Kreisdirektion
Timiș der
Nationalarchive (Diresția Județeană Timiș a Arhivelor Naționale),
die der
Autor durchforstet
hat, relativ
wenige Informationen
zu anderen im Banat
lebenden Nationalitäten enthalten.
Den
Historikern und
Heimatforschern der Banater
Schwaben kann es nur Recht sein. Ich habe mich auf den Weg nach
Hinweisen auf Jahrmarkt in
diesem Buch gemacht und wurde
auch fündig. Dușan
Baiski
zitiert reichlich aus den von ihm gesichteten Dokumenten und
verschafft uns dadurch die Möglichkeit,
zu erfahren, wie die
rumänischen Behörden die
Banater Schwaben damals
gesehen haben – auch die in
Jahrmarkt.
Seite
44: Der
Chef der Gendarmarie in Ghiroda meldete am 22. April 1942 seinem
Vorgesetzten, dass ein Bäcker aus Giarmata (Jahrmarkt) in Ghiroda
große mengen Brot verkauft. Auch „verkauft er Weißmehl zu 30, 40
und 50 Lei/kg an verschiedene
Vertrauenspersonen, die damit in Timișoara
handeln und es nicht zum
Eigenbedarf
verwenden.” Informanten
haben auch mitgeteilt, dass „dieser Bäcker das Mehl von der Mühle
im Dorf klandestin besorgt.“ Feldwebel
(plutonier)
Petre Zaharia,
der Leiter der Gendarmeriestation
in Giarmata nimmt am 15. Mai 1942 Stellung zu diesen Anschuldigungen:
„Der
Bäcker Britt Viliam*,
der nach unseren Informationen sein Mehl in kleinen Mengen von Mühlen
aus
der Umgebung von Giarmata
bezieht, siebt
es, und wir vermuten, dass er Brot von zweierlei Qualität backt. Wir
konnten nicht feststellen, dass er Weißbrot oder hochwertiges Mehl
verkauft.“ - Ein ehrbarer
Kaufmann macht so etwas auch nicht, besonders in Kriegszeiten.
Seite
61: Am 21. Mai 1943 hielt
der Unteroffizier N. Duma
in einem Protokoll fest: „Am
19. und 20. Mai fand in Giarmata die Rekrutierung der Schwaben statt.
Bei dieser Rekrutierung, die mit viel Propaganda und Drohungen
seitens der schwäbischen Organisationen stattfand, haben die für
diesen Zweck vorgesehenen Schwaben teilgenommen. Der Einwohner
Richert Mihai,
kürzlich zurückgekehrt nach einem 20 Monate langen Aufenthalt an
der Front, wurde, nachdem er sich nicht am 19. bei der Rekrutierung
gemeldet hatte, am 20. mit
Gewalt vor die Rekrutierungskommission gebracht und von Professor
Kindel
aus Timișoara
geschlagen, und abends
hat eine Gruppe von Jugendlichen, angeführt von dem Individuum
Pfeifel Mihai,
ausgerüstet mit Stöcken vier Fenster an der Gassenfront seines
Hauses eingeschlagen, einen Schaden von 25.000 Lei anrichtend. Am
20. Mai (wahrscheinlich 21. - A.d.V.) ging der Bewohner, nach den
kassierten Prügeln, dem verursachten Sachschaden an seinem Haus und
nach den Morddrohungen selber zur deutschen Volksgemeinschaft in
Timișoara
und beantragte seine freiwillige Rekrutierung in
die deutsche Armee. Von uns und vom Gendarmeriechef
von Giarmata befragt, verweigerte er
aus Angst die
Aussage zu
diesen Vorfällen und
verzichtete auf jeden Schadenersatz.“ - Es
war schon immer ungemütlich, wo braune Horden unterwegs waren, sogar
im altehrwürdigen Jahrmarkt.
Seite
85: In einer Tabelle der
Gendarmerielegion
Timiș-Torontal
(Legiune
de Jandarm Timiș-Torontal)
ist die Anzahl der Banater
Schwaben, die am 31. Juli
1943 Rumänien schon in
Richtung „Reichsarmee“ (armata
Reich-ului) „freiwillig“
verlassen hatten, festgehalten.
Für Giarmata sind folgende Daten vermerkt: „Einwohnerzahl
bei der Volkszählung vom 6. April 1941“ - 5.210 Einwohner (diese
Rubrik wurde vom Autor des Buches der Statistik beigefügt) und „Bis
zum 31. Juli 1943 rekrutierte und bereits abgereiste Personen“ -
530. Auch Überland taucht mit 47 rekrutierten Soldaten (ohne
angegebene Einwohnerzahl)
in der Liste auf.
Seite
116: Schon am 31. August 1942 hat der Chef des Gendarmeriepostens
in Giarmata einen etwas unklaren Brief an das Militärtribunal in
Timișoara geschrieben. Darin wird berichtet, dass
der Deserteur Albingher Filip
in seinem Haus in Giarmata gefasst wurde. Er befand sich in einem
Versteck unter dem Fußboden, das mit einer gut getarnten Öffnung
von 60 x 35 cm versehen war. Nur nachdem „jedes Brett im Fußboden
mit einem harten Gegenstand“ abgeklopft wurde, konnte der Hohlraum
unter dem Fußboden entdeckt werden. Weiter schreibt der
Gendarmeriechef in seinem Bericht, dass „Albingher
Filip (Albinger)
22 Monate Deserteur war, davon die ersten 10 Monate in Jugoslawien,
wohin er illegal geflüchtet war und bei der Einheit >Todt<
arbeitete. Den Beginn des Krieges erlebte er bei der Deutschen
Mission aus Rumänien (Misiunea Germană
din România) – in Constanța
oder Arad. Am 18. Oktober 1940 hatte er von seiner Einheit 15
Tage Urlaub bekommen, aus dem er nicht zu seiner Einheit
zurückgekehrt war, sondern es vorgezogen hatte, sich bei der
Deutschen Mission zu melden.“ - Eine nebulöse Geschichte, die mir
in etwa sagt, dass der Jahrmarkter Abenteurer zuerst aus der
rumänischen Armee desertiert ist, um bei den Deutschen
unterzukommen, bei denen er es aber auch nicht lange aushielt. In
Jahrmarkt fühlte er sich anscheinend doch am sichersten.
Ähnliche
Zustände wie in Jahrmarkt gab es in jenen Jahren natürlich auch in
anderen Dörfern und Städten des Banats, und nicht nur mit
überwiegend deutscher Bevölkerung. Es gäbe viel, sehr viel darüber
zu berichten, weiß Dușan Baiski,
aber die Möglichkeiten dazu sind
begrenzt, und er scheut sich auch nicht, die Gründe dafür zu benennen:
„Leider ist die Zeit die mir noch geblieben ist begrenzt, aber
besonders das mangelnde Interesse des rumänischen Staates an der
eigenen Vergangenheit – daher rührt auch die fehlende
Unterstützung für die Historiker – nehmen uns die Freude an
weiteren Forschungen. Die mehr als 120.000 Fotokopien von Dokumenten
aus dem Bestand des Temescher Nationalarchivs, die ich in mehr als 10
Jahren machen konnte, würden, auch wenn nicht alle einen
geschichtlichen Wert haben, Material für viele Bücher hergeben,
bleiben so aber leider nur Teil einer Privatsammlung.“
Also,
wer noch im Sinn hat, die Ortsmonographie (oder Ergänzung einer
solchen) eines einstmals deutschen Dorfes im Banat zu schreiben,
hätte hiermit eine Anlaufstelle. Und er würde feststellen, dass der
„Zeitbruch“ von dem der Soziologe Anton Sterbling auf
einer Kulturtagung der Landsmannschaft der Banater Schwaben (2015 in
Sindelfingen) sprach, schon vor 1944/45 begann. Auch wenn die von
Dușan Baiski - er
nennt sich selbst ein Amateurhistoriker - ausgewerteten
Dokumente, bezogen auf ihre Verfasser, nicht ganz absichtsfrei und
neutral sind, werden sie als historische Quellen auch für die
folgenden Generationen Bestand haben. Wir Jahrmarkter aber haben
jetzt schwarz auf weiß, worüber vorher nur „getuschelt“ wurde.
Anton
Potche
Ergänzung:
Laut Ortssippenbuch
der katholischen Pfarrgemeinde Jahrmarkt könnte
es sich um folgende Personen handeln:
Britt
Viliam = Britt Wilhelm (*1893 – †1946
in russischer Gefangenschaft) oder um seinen Sohn Britt Wilhelm
Sebastian (*1920 – †1945
im Krieg)
Richert
Mihai = Rückert Michael (1916 – 1989)
Pfeifel
Mihai = Pfeifer Michael (1925 – 1982)
Albingher
Filip (Albinger)
= Albinger Filip (1911 - 1990)