Katharina,
eine junge Frau mit einem Gesicht, das vom Leben gezeichnet war,
stand an ihrem kleinen Gemüsebeet hinter dem Haus. Ihre Hände waren
rau, ihre Haare von der Sonne ausgeblichen, doch ihre Augen trugen
einen Glanz, den keine Mühsal löschen konnte. Heute war ein
besonderer Tag. Der erste Sonntag nach der Erntezeit –
Kirchweihfest.
Das
ganze Dorf war in Bewegung. Die Männer zogen ihre besten Westen an,
die Frauen trugen handbestickte Trachten, und die Kinder rannten mit
roten Wangen durch die Gassen. Katharina hatte ihr Kleid in der Truhe
aufbewahrt, sorgsam gefaltet zwischen Tüchern, die nach Lavendel
dufteten. Es war das einzige Kleid, das sie von ihrer Mutter geerbt
hatte, und jeder Stich darin erzählte von einer anderen Jahreszeit,
die gekommen und gegangen war.
In
der Kirche, umgeben von den mächtigen Eichenbalken, spürte
Katharina die Kraft der Gemeinschaft. Die Lieder, die auf Deutsch
gesungen wurden, trugen die Sehnsucht nach einer Heimat, die niemand
von ihnen je gesehen hatte. Sie hatten die Geschichten gehört, von
den Feldern entlang des Rheins und den dunklen Wäldern, die ihre
Vorfahren verlassen hatten. Doch das Banat war nun ihr Zuhause, so
fremd es manchmal auch erschien.
Nach
der Messe zog der Festzug durch das Dorf. Katharina hielt sich im
Hintergrund, beobachtete die bunten Bänder und die jungen Leute, die
tanzten. In ihrer Brust pochte ein Gefühl, das sie nicht benennen
konnte. Sie liebte dieses Land – die endlosen Felder, die im Sommer
wie Gold glänzten, und die weiten Himmel, die nachts voller Sterne
hingen. Doch manchmal fühlte sie auch die Wurzeln, die in der Ferne
lagen, wie eine leise Stimme, die sie rief.
Am
Abend, als das Fest seinen Höhepunkt erreichte, setzte sich
Katharina auf eine Bank am Dorfrand. Neben ihr saß Herr Franz, der
älteste Mann im Dorf, dessen Augen so klar waren wie ein
Herbstmorgen.
„Katharina“,
begann er, „weißt du, warum wir hierhergekommen sind?“
Sie
schüttelte den Kopf.
„Unsere
Vorfahren suchten ein besseres Leben. Aber egal, wo wir sind, wir
tragen unsere Heimat in uns. Die Erde hier mag anders sein, aber wir
haben sie zu unserem eigenen gemacht. Das Banat ist unser Zuhause –
weil wir es dazu gemacht haben.“
Katharina
sah hinüber zu den leuchtenden Fenstern des Dorfes. Sie spürte die
Wärme der Worte des alten Mannes. Ja, dachte sie, das Banat war
nicht nur ein fremdes Zuhause. Es war ihr Zuhause geworden.
In
der Ferne erklang ein letztes Festlied, und Katharina wusste, dass
auch sie ein Teil
dieser Geschichte war – eine Brücke zwischen den Wurzeln ihrer
Vorfahren und
der Erde, die sie heute nährte.
Anton
Potche
Warum
ich keine Bücher mehr schreibe
Wir
saßen am zweiten Weihnachtstag zusammen, eine Lehrerin, ein Lehrer,
ein IT-Fachmann und ich. Irgendwann kam das Gespräch auf die in
letzter Zeit allgegenwärtige KI, also Künstliche Intelligenz.
Während der Computerfachmann mehr den technischen Aspekt dieser
neuen Technologie in den Vordergrund stellte, klammerten die zwei
Lehrer sich an der Texttauglichkeit und besonders an der möglichen
Textschummelei der KI fest. Beide Lehrkräfte (Gymnasium) kannten
schon Fälle von KI-Texten, die ihnen von Schülern als eigene
Arbeiten vorgelegt wurden. Die Texte, ja zum Teil ganze Referate,
waren so gut, dass sie als Lehrer Mühe hatten, diese als das Produkt
eines Sprachmodells zu entlarven, und letztendlich froh waren, dass
die Schüler nach intensiven Gesprächen sich geständig – aber
nicht reumütig – zeigten.
Während
der IT-ler die Diskussion ganz gelassen führte, konnten die Lehrer
eine gewisse Gereiztheit nur schwer verbergen. Irgendwann könnten
sie die Kontrolle über ihre Schüler verlieren, und das, obwohl
besonders einer der beiden eher positiv zur Einführung der KI in den
Unterricht stand. Auch der Buchwissenschaftler Christoph Bläsi
mahnt zu Gelassenheit bei diesem Thema. Er denkt aber zum Unterschied
der zwei Lehrkräfte eher aus marktwirtschaftlicher Sicht. Und da
kann er noch nicht erkennen, dass es ein Problem ist (oder wird),
wenn KI-Werkzeuge voraussagen können, welches Buch sich besser und
welches sich schlechter verkaufen wird. Die Geschäftsführerin des
Marktforschungsunternehmens Media Control, Ulrike Altig,
spricht von Tools, die innerhalb von Sekunden taugliche
Absatzprognosen für verschiedene Warengruppen, also auch Bücher,
erstellen können. Eigentlich befinden wir uns immer noch im Bereich
der Ökonomie. Und es geht nur um „Effizienz und Daten – nicht um
die Inhalte“, wird Frau Altig im DONAUKURIER vom 3. Januar
2025 in einem Artikel zitiert.
Wirklich?
In dem Gespräch meiner drei KI-Protagonisten vom zweiten
Weihnachtstag gab es eine plötzliche Wende. Natürlich hatten alle
drei wie heute üblich ihre Smartphones vor sich auf dem Tisch
liegen. Einer der Lehrkräfte griff zu seinem Gerät, tippte etwas
ein und reichte es mir über den Tisch. Eintippen und Weiterreichen
des Smartphones dauerte weniger als 5 Sekunden. Und was konnte ich
dort lesen? „Ein fremdes Zuhause“. Alle drei KI-Streiter haben
zwar Banater Wurzeln, aber keiner wäre in der Lage, einen nur
ansatzweise emotionalen Text über diese südosteuropäische Region
zu schreiben. Und das auch noch über einen Volksstamm, den es im
Gedächtnis der dort lebenden Rumänen kaum noch gibt.
„Wo
kommt der Text her?“, habe ich spontan gefragt.
„Von
ChatGPT“, bekam ich als Antwort.
„Und
was hast du eingegeben?“
„Schreibe
eine Kurzgeschichte zu den Banater Schwaben.“
So
viel zum Thema „Inhalte“. Ich wurde erst ab jetzt wirklich
hellhörig. Vier Bücher habe ich in meinem Leben geschrieben – zu
einer Zeit, als Intelligenz noch reine Menschensache war. Wie einfach
das heute geht. Du lässt dir einen Text schicken, suchst ihn nach
grammatikalischen Ungereimtheiten ab und textest ihn nach deinem
Geschmack um, unterschreibst ihn mit deinem Namen, und schon bist du
ein Schriftsteller – vielleicht irgendwann sogar ausgezeichnet mit
einem Nobelpreis. Nicht mehr und nicht weniger ist obige
Kurzgeschichte „Ein fremdes Zuhause“– inklusive gefälschter
Unterschrift. Das hier ist nur die Entstehungsgeschichte dieser
„Kurzgeschichte“. Aber ich kann mir gut vorstellen, sie als Grund
dafür herzunehmen, keine Bücher mehr zu schreiben – ganz abgesehen von meinem dafür sowieso schon
fortgeschrittenen Alter.
Anton
Potche