Montag, 23. Juni 2025

Jahrmarkt vor 100 Jahren – 1

Jahrmärkte gab es schon viel länger als vor 100 Jahren. Auch „der“ vom Singular und einer (rein grammatisch gesehen) neutralen Artikel-Genus-Symbiose geprägte Jahrmarkt ist schon älter. So gesehen hat auch „das“ Jahrmarkt ein paar Jahre mehr auf dem Buckel. Franz Junginger, der Autor des Ortssippenbuches der katholischen Pfarrgemeinde Jahrmarkt / Banat und ihrer Pfarrfilialen 1730 – 2007, stellt sein Vorwort in diesem Buch (drei Bände à 728, 792 und 735 Seiten) unter die Frage: Was sagen uns die Jahrmarkter Kirchenbücher? Vor allem überliefern sie uns Namen und Zahlen, Daten über das Werden, Heiraten und Sterben aus zurückliegenden Jahrhunderten. Man kann sich so manches zusammenreimen, ohne aber viele Details aus dem Leben, dem Alltag der Bewohner von Jahrmarkt zu erfahren. Dazu muss man sich schon auf eine eventuell existierende Ortsmonographie verlassen können. Der Jahrmarkter Heimatkundler und Journalist Luzian Geier schreibt in einem weiteren Vorwort des Jahrmarkter Ortssippenbuches „über eine frühe ethnographisch-topographische Ortsbeschreibung“ aus den Jahren 1864, die von mehreren Personen „aufgrund eines für damalige Zeiten wissenschaftlich angelegten Fragebogens“ verfasst und von „Kaspar Ruttner, Richter, Johann Müller, Kassier, Peter Bauer, Geschworener, und dem damaligen Notar“ auch signiert wurde. Vom Alltag ihrer Vorfahren können interessierte Jahrmarkter aus zwei weiteren wertvollen Broschüren, Temesgyarmat – Ein Beitrag zur Geschichte der Entstehung und Entwicklung dieser Gemeinde (Innsbruck, 1913) von Pfarrer Franz Demele und Temesgyarmat während der Kriegszeit 1914 – 1918 (Temesvar, 1919) ebenfalls von Pfarrer Franz Demele, einiges erfahren. Als originellstes Dokument zur deutschen Geschichte von Jahrmarkt kann man wohl die Quellenedition (1996) Die deutsche Besiedlung der Banater Großgemeinde Jahrmarkt – Jarmatha – in den Banater Akten des Hofkammerarchivs Wien von Franz Urban betrachten. Vorwiegend zeitgenössische Beiträge (Belletristik, Erinnerungen) zum Leben der Deutschen in Jahrmarkt, heute Giarmata, eine Großgemeinde nordwestlich von Temeswar, haben auch andere ehemalige Bürger dieser Ortschaft in Büchern und Zeitschriften veröffentlicht. Spontan fallen mir ein Franz Frombach, Marianne Ebner, Peter Oberle, Josef Goschy, Peter Grosz, Johann Probst, Katharina Kilzer, Mathias Kaiser, Mathias Loris u. a.. Die in Deutschland aktive Heimatortsgemeinschaft (HOG) hat auch schon mehrere Bücher (Anthologien) veröffentlicht, in denen Menschen aus Jahrmarkt von ihrem Leben in der „alten Heimat”, wie sie ihr in der „Banater Hecke” zurückgelassenes Dorf nennen, erzählen. Das alles zusammen ergibt den gebündelten Fokus vieler Blicke von innen.

Um den Fokus eines oder eines Bündels von Blicken von außen zu erhaschen, muss man versuchen, herauszufinden, ob überhaupt jemand sein Augenmerk auf dieses Dorf geworfen hat. Die besten, wenn auch nicht immer zuverlässigsten Quellen für ein solches Vorhaben, waren und sind heute noch die Medien. Vor hundert Jahren waren das auch im Banat Zeitungen und Kalender. Durch die Digitalisierung und Veröffentlichung solcher geschichtsträchtiger Datenträger können wir auch heute Einblicke in das Leben unserer Vorderen in Jahrmarkt gewinnen. Was hat sich 1925 dort unten, wo auch wir später noch eine Zeit gelebt haben, zugetragen. Was war den auswärtigen Blicken überhaupt eine Berichterstattung wert? Um auf diese Frage eine Antwort zu finden habe ich zwei damals in Temeswar erscheinende Zeitungen (digitalisiert) durchgeblättert (durchgeskrollt): die TEMESVARER ZEITUNG (erschien vom 15. Januar 1852 bis zum 24. April 1949) und die BANATER DEUTSCHE ZEITUNG (15. Mai 1925 – 15. März 1941).

In der BANATER DEUTSCHE ZEITUNG (BDZ) erschienen im Jahr 1925, also vor 100 Jahren, 26 Beiträge mit Hinweisen auf die Ortschaft Jahrmarkt im rumänischen Banat. In der TEMESVARER ZEITUNG (TZ) waren es hingegen nur zwei. Am 27. Mai wurde auf Seite 4 dieser Tageszeitung eine Neue Bezirkseinteilung des Komitates veröffentlicht, worin es heißt, dass „dem Rekaser Bezirk noch die Gemeinden Jahrmarkt, Ghisoda, Mosnitza und Bruckenau“ angehören; „die drei ersten bleiben beim Zentralbezirk, die Gemeinde Bruckenau aber beim Vingaer weg.“ Dass diese auch aus „topographischer“ Sicht vorgenommene Änderung selbst in der Hauptstadt Bukarest gutgeheißen werden mussten, zeigt die folgende Information im Artikel: „Präfekt Dr. Iulius Coste richtete aus Bukarest an den Subpräfekten Cornel Bejan ein Telegramm, laut welchem der Präfekt wahrscheinlich erst morgen Mittag aus der Hauptstadt hier eintrifft und sogleich die letzte Ueberprüfung der projektierten neuen Bezirkseinteilung vornimmt, um dann das ganze Material dem Innenministerium zu unterbreiten.“ Schon vor 100 Jahren galt: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.

Genau drei Monate später, am 27. August konnte man eine ebenfalls sozial-politische Nachricht in der TZ auf Seite 3 lesen. Der Artikel trägt den Titel Die Wahlen für die Ackerbaukammer. – Die Liste der Opposition durchgedrungen – Resultat bei der Temeswarer Sektion. Als der Präses der Temeswarer Sektion, Bezirksrichter Agrariu, die Wahlen in der Ackerbaukammer um 20 Uhr als abgeschlossen erklärte, verkündete er auch, „daß zehn Gemeinden“, unter ihnen auch Jahrmarkt, „wegen Zeitmangel nicht an die Reihe kommen konnten, weshalb die Wähler dieser Gemeinden von der Abstimmung enthoben wurden.“ Die Sektionen der Ackerbaukammer waren anscheinend nicht mit den Bezirken des Komitats Temes-Torontal (nach der Reform im Mai 1925) identisch. Daraus und aus einer nicht eindeutigen Differenzierung zwischen den Begriffen „Bezirk“ und „Sektion“ darf man schließen, dass bei dieser Wahl die Jahrmarkter nicht zu „Rekas“ gehörten, sondern zum Bezirk / Sektion „Temesvar und Zentralbezirk“. Nach der Auszählung, die „bis halb 2 Uhr nachts“ dauerte, standen unter anderem auch folgende Ergebnisse fest: Rekas – Kreuzliste 442, Pflugliste 861, Annulliert 128; Temesvar und Zentralbezirk – Kreuzliste 728, Pflugliste 1441, Annulliert 156. Wie auch immer, die Jahrmarkter hatten keinen Beitrag zu diesem Ergebnis geleistet. Schade, handelte es sich doch um eine landesweite Wahl und nicht wie vielleicht vermutet um eine Regional- oder gar Vereinswahl. Zum Schluss heißt es in dem Artikel: „Aus Bukarest wird telegraphiert: Die Wahlen in die Ackerbaukammern sind – soweit bisher bekannt – im ganzen Lande, abgesehen von einigen bedeutungslosen Zwischenfällen, ruhig verlaufen.“
Anton Potche

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