Und das hatte ich mir vorgenommen. Ganz fest. Du fährst zu diesem Konzert ohne Fotoapparat, Videokamera, Notizblock und Bleistift. Leider
war es schon nach dem dritten Titel um mich geschehen. Ort des Geschehens war
das Kongresszentrum in Augsburg, das seit kurzem unter dem naturnahen Namen
„Kongress am Park“ firmiert. Tatzeit: Christi Himmelfahrt, 16:00 bis 18:50 Uhr.
Schuld an meinem beschämenden Versagen war eine Musikbanda – 20 Mann und eine
Dame. Sie nennen sich Die Egerländer Musikanten.
Ich saß da. Hatte Gänsehaut. Und spürte das Bedürfnis, festzuhalten, mitzunehmen, zu konservieren, für alle Ewigkeit. Doch hatte ich
nichts dabei. Ich spürte meine Nacktheit und das mit dieser Musik so
kontrastierende Unbehagen. So muss ein Raucher sich fühlen, wenn er keine
Zigaretten hat.
Das Programmheft für die Tournee Lebensfreude lag auf meinen Knien: Egerländer Marsch, „Lebensfreude“-Medley
I – Andulka, Böhmerwald-Walzer, Wir sind Kinder von der Eger. Ich beugte
mich zu meiner Frau und flüsterte: Hast du einen Kugelschreiber? Ein kurzer
Griff in ihre Handtasche und ich hatte einen Kugelschreiber. Ein Chef sagte mal
in einem Workshop: Wenn du nervös bist bei einem Vortrag, nimm doch einen
Bleistift in die Hand, zum Festhalten. Jetzt hatte ich einen, war ruhig, sehr
ruhig. Und ich spürte, wie sie in mich drang, von mir Besitz ergriff, mich aus
der realen Welt riss: die Musik, diese Musik.
Der Kugelschreiber begann über das Papier zu gleiten. Wenn der Tag erwacht und Der Abendstern. „Gesang“, lese ich jetzt
in meiner Handschrift. Das Duo ist seit Jahren eingesungen: Katharina Praher und Nick Loris. Weiter unten steht bei
einem Gesangstitel meine Anmerkung, „könnte aus einer guten Operette stammen“. Montana Marsch und dazu der spontane
Einfall: „Vorschlag, Unisono, stechende Trompeten“. Und was gibt es Schöneres, als Stunden nach diesem grandiosen Konzert über sich selbst zu lachen? Da steht
nämlich tatsächlich hingekritzelt – es war natürlich halbdunkel im Saal -: „Einstimmigkeit
zur Unnachbarmachkeit gesteigert“. Doch, doch, auch wenn der sogenannte
Vatertag gefeiert wurde, entsinne ich mich, was mir bei diesem Marsch, der „zu
uns gehört“, wie der nie langweilig oder gar gezwungen wirkende Moderator Edi Graf sagte, durch den Kopf ging:
Dieses perfekte Unisono kann nicht nachgemacht werden. Das wundersame Wort „Unnachbarmachkeit“
steht hinter dem Astronautenmarsch.
Und dann rufe ich mir anhand meiner nicht immer einwandfrei
zu entziffernden Anmerkungen ein Gesamtbild dieses Konzertes ins Gedächtnis.
Ja, das hat man wahrlich die ganze Zeit gespürt: „Bei aller Lebensfreude =>
eine tiefe Ernsthaftigkeit = absolute Professionalität.“ Mit dem Tourneetitel Lebensfreude ist natürlich die
bestechende Leichtigkeit gemeint, mit der diese Musiker in jeder Note
ungewöhnliche Virtuosität und beneidenswerte Sicherheit ausstrahlen. Im
Königsregister klang es stellenweise sogar übermütig. Wen wundert’s bei soviel
Herz? Doch auch ihre szenische Präsents, die kleinen Gesten, das visualisierte
musikalische Dialogieren. „Bewegungen nach einer zurückhaltenden und trotzdem
ausdrucksstarken Choreographie“, fiel mir in diesem Augenblick ein.
Man könnte fortfahren, immer nur schreiben über das Erlebte,
so lange das Herz voll ist, mit böhmischen Klängen, aber auch wahren Big-Band-Sounds
und berückenden Solostücken. Dazu allerdings entziffere ich jetzt, kurz vor
Mitternacht, meine fast wie eine vorausgeeilte Mahnung klingende Niederschrift (man kennt sich Gott sei’s Dank
noch einigermaßen selbst): „Eigentlich gebührt jedem Stück eine eigene
Besprechung, um nicht zu sagen Würdigung.“ Aber das würde natürlich den Rahmen sprengen.
Man ist mit seinem bescheidenen Sprachwerkzeug sowieso machtlos gegen die,
Emotionen generierende, Musik im Allgemeinen und der des eigenen Geschmacks im
Besonderen.
Auch wenn ich gestern (der große Zeiger ist schon im neuen
Tag und der kleine schickt sich an, ihm zu folgen) wieder mal mit meinem
Vorhaben, nur Musik zu hören, zu genießen und als Lebenskraft für die nächsten
Tage aufzusaugen, kläglich gescheitert bin, und dem vergeblichen Versuch,
Melodie und Rhythmus in Wortschrift zu bannen, nicht widerstehen konnte, will
ich nicht nachträglich sein. Ernst
Hutter & Die Egerländer Musikanten
sind nun mal unbarmherzig. Sie veranlassen so manchen, der sich dem Zauber
ihrer Musik hingibt, Dinge zu tun, die er vorher um jeden Preis vermeiden
wollte. Trotz meiner schmerzhaften Niederlage gab es nach dem Konzert doch noch eine freudige Entschädigung in Form eines angenehmen Gesprächs in kleiner, vertrauter,
vergangenheitsgeschwängerter Runde mit Franz,
Helmut, Nick und „unserem Oss“ - Täter in dieser Musikbanda.
Anton Potche
Anton Potche
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