Freitag, 18. Mai 2012

Ein kläglich gescheitertes Vorhaben


Und das hatte ich mir vorgenommen. Ganz fest. Du fährst zu diesem Konzert ohne Fotoapparat, Videokamera, Notizblock und Bleistift. Leider war es schon nach dem dritten Titel um mich geschehen. Ort des Geschehens war das Kongresszentrum in Augsburg, das seit kurzem unter dem naturnahen Namen „Kongress am Park“ firmiert. Tatzeit: Christi Himmelfahrt, 16:00 bis 18:50 Uhr. Schuld an meinem beschämenden Versagen war eine Musikbanda – 20 Mann und eine Dame. Sie nennen sich Die Egerländer Musikanten.

Ich saß da. Hatte Gänsehaut. Und spürte das Bedürfnis, festzuhalten, mitzunehmen, zu konservieren, für alle Ewigkeit. Doch hatte ich nichts dabei. Ich spürte meine Nacktheit und das mit dieser Musik so kontrastierende Unbehagen. So muss ein Raucher sich fühlen, wenn er keine Zigaretten hat.

Das Programmheft für die Tournee Lebensfreude lag auf meinen Knien: Egerländer Marsch, „Lebensfreude“-Medley I – Andulka, Böhmerwald-Walzer, Wir sind Kinder von der Eger. Ich beugte mich zu meiner Frau und flüsterte: Hast du einen Kugelschreiber? Ein kurzer Griff in ihre Handtasche und ich hatte einen Kugelschreiber. Ein Chef sagte mal in einem Workshop: Wenn du nervös bist bei einem Vortrag, nimm doch einen Bleistift in die Hand, zum Festhalten. Jetzt hatte ich einen, war ruhig, sehr ruhig. Und ich spürte, wie sie in mich drang, von mir Besitz ergriff, mich aus der realen Welt riss: die Musik, diese Musik. 

Der Kugelschreiber begann über das Papier zu gleiten. Wenn der Tag erwacht und Der Abendstern. „Gesang“, lese ich jetzt in meiner Handschrift. Das Duo ist seit Jahren eingesungen: Katharina Praher und Nick Loris. Weiter unten steht bei einem Gesangstitel meine Anmerkung, „könnte aus einer guten Operette stammen“. Montana Marsch und dazu der spontane Einfall: „Vorschlag, Unisono, stechende Trompeten“. Und was gibt es Schöneres, als Stunden nach diesem grandiosen Konzert über sich selbst zu lachen? Da steht nämlich tatsächlich hingekritzelt – es war natürlich halbdunkel im Saal -: „Einstimmigkeit zur Unnachbarmachkeit gesteigert“. Doch, doch, auch wenn der sogenannte Vatertag gefeiert wurde, entsinne ich mich, was mir bei diesem Marsch, der „zu uns gehört“, wie der nie langweilig oder gar gezwungen wirkende Moderator Edi Graf sagte, durch den Kopf ging: Dieses perfekte Unisono kann nicht nachgemacht werden. Das wundersame Wort „Unnachbarmachkeit“ steht hinter dem Astronautenmarsch.

Und dann rufe ich mir anhand meiner nicht immer einwandfrei zu entziffernden Anmerkungen ein Gesamtbild dieses Konzertes ins Gedächtnis. Ja, das hat man wahrlich die ganze Zeit gespürt: „Bei aller Lebensfreude => eine tiefe Ernsthaftigkeit = absolute Professionalität.“ Mit dem Tourneetitel Lebensfreude ist natürlich die bestechende Leichtigkeit gemeint, mit der diese Musiker in jeder Note ungewöhnliche Virtuosität und beneidenswerte Sicherheit ausstrahlen. Im Königsregister klang es stellenweise sogar übermütig. Wen wundert’s bei soviel Herz? Doch auch ihre szenische Präsents, die kleinen Gesten, das visualisierte musikalische Dialogieren. „Bewegungen nach einer zurückhaltenden und trotzdem ausdrucksstarken Choreographie“, fiel mir in diesem Augenblick ein.

Man könnte fortfahren, immer nur schreiben über das Erlebte, so lange das Herz voll ist, mit böhmischen Klängen, aber auch wahren Big-Band-Sounds und berückenden Solostücken. Dazu allerdings entziffere ich jetzt, kurz vor Mitternacht, meine fast wie eine vorausgeeilte Mahnung klingende Niederschrift (man kennt sich Gott sei’s Dank noch einigermaßen selbst): „Eigentlich gebührt jedem Stück eine eigene Besprechung, um nicht zu sagen Würdigung.“ Aber das würde natürlich den Rahmen sprengen. Man ist mit seinem bescheidenen Sprachwerkzeug sowieso machtlos gegen die, Emotionen generierende, Musik im Allgemeinen und der des eigenen Geschmacks im Besonderen.

Auch wenn ich gestern (der große Zeiger ist schon im neuen Tag und der kleine schickt sich an, ihm zu folgen) wieder mal mit meinem Vorhaben, nur Musik zu hören, zu genießen und als Lebenskraft für die nächsten Tage aufzusaugen, kläglich gescheitert bin, und dem vergeblichen Versuch, Melodie und Rhythmus in Wortschrift zu bannen, nicht widerstehen konnte, will ich nicht nachträglich sein. Ernst Hutter & Die Egerländer Musikanten sind nun mal unbarmherzig. Sie veranlassen so manchen, der sich dem Zauber ihrer Musik hingibt, Dinge zu tun, die er vorher um jeden Preis vermeiden wollte. Trotz meiner schmerzhaften Niederlage gab es nach dem Konzert doch noch eine freudige Entschädigung in Form eines angenehmen Gesprächs in kleiner, vertrauter, vergangenheitsgeschwängerter Runde mit Franz, Helmut, Nick und „unserem Oss“ - Täter in dieser Musikbanda.

Anton Potche

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