„Nur von dem Betsaal der Maria Viktoria möchte ich noch
sprechen, in dem wir uns von den übermächtigen Eindrücken der oberen Pfarr
erholten, einem geistreichen, schön-rhythmischen Raum, der an die Kaisersäle in
Ottobeuren oder St. Florian anklingt, oder an den Münchener Bürgersaal, ein
raffiniert beherrschtes und abgewogenes Stück kirchlicher Salonarchitektur,
elegant, repräsentativ wie ein Thronsaal, dabei von einer vornehmen
Behaglichkeit, dass man unwillkürlich auf den kezerischen Einfall kommt: hier
müsste das G-moll-Quintett von Mozart gut klingen.“
Das war am Pfingstwochenende 2012 so zu lesen im
Ingolstädter Lokalblatt DONAUKURIER. Geschrieben hat es der Schriftsteller Josef Hofmiller (1872 – 1933) in seinen
Reiseerzählungen Wanderbilder und
Pilgerfahrten. Soweit ich weiß, ohne mich allerdings festzulegen, wurde
Mozarts G-moll-Quintett in der Ingolstädter Asamkirche Maria de Victoria, die
der Essayist und Reiseschriftsteller hier meint, in den letzten 22 Jahren, seit
es die außergewöhnlich erfolgreiche OrgelMatinee um Zwölf gibt, nicht
aufgeführt. Aber Mozart gab es trotzdem viel – doch nie zur Genüge. Und
kezerisch?
Also diesbezüglich hat sich die Welt schon spürbar
gewandelt. Zum Guten, würde ich sagen, zum Heiteren in der Kirchenmusik. Weg
vom vergeistigten Lauschen hin zum vererdeten Genießen hochkarätiger
klassischer Musik. Ob die dann Kirchen-, Orchester-, Chor-, Bläsermusik oder
wie auch immer heißt, spielt kaum noch eine Rolle. Wichtig ist, die Menschen
strömen in die Kirchen, wenn Konzerte angesagt sind und genießen es
schlichtweg, wenn mal die Musikantenstimmung auch in diesen sakralen Gemäuern
nicht unbedingt zu Inbrunst verleitet.
Das hätte Herrn Hofmiller bestimmt gefallen, wenn er am Pfingstsonntag anno 2012
das Konzert der OrgelMatinee in der Asamkirche Maria de Victoria zu Ingolstadt
miterleben hätte können. Dabei klingt Johann
Sebastian Bach doch so sehr nach tiefer religiöser Seriosität. Stimmt, aber
nicht nur. Das Choralvorspiel BWV 667 Komm,
Gott, Schöpfer, heiliger Geist verbreitet Zuversicht. Münsterorganist Franz Hauk hat von der Orgelempore
genau diese Pfingststimmung angekündigt.
Und als er dann in den „Betsaal“ herabstieg und
sich ans Cembalo auf dem Altarpodest saß, waren die Voraussetzungen schon für eine
Steigerung der lockeren, feiertagsgemäßen Geisteshaltung geschaffen. Das AsamCollegium
(in stets variierender Besetzung) war spielbereit. Ebenso ein namhafter Solist:
Justus Willberg mit seinem Flautino.
Der Fachmann für Alte Musik spielte sehr virtuos und mit sichtbarer Freude das Concerto C-Dur für Flautino, Streicher und
basso continuo RV443 von Antonio
Vivaldi (1678 – 1714). Die kleine Sopranino-Blockflöte ist in den Händen
des nicht nur musikalisch, sondern auch körperlich großen Mannes fast verschwunden.
Umso mehr brillierten die Töne, die er aus dem kleinen Instrument zauberte.
Damit war der Solistenreigen für diese OrgelMatinee aber erst
eröffnet. Auf dem Programm stand noch als dritter Punkt Johan Sebastian Bachs 2.
Brandenburgisches Konzert F-Dur für Blockflöte, Oboe, Violine, Trompete,
Streicher und Basso continuo BWV 1047.
Die Oboe spielte der allseits bekannte und beliebte Georgier George Kobulashvili (eine andere
Schreibweise lautet Georgi Kobulaschwili)
und die Solo-Violine Theona Chkheidze. Die junge Georgierin hat 1994 den
Mozart-Wettbewerb in Tiflis gewonnen. Also eine prädestinierte Geigerin für
einen „kezerischen“ Einfall. Den hatte allerdings an diesem Tag eher der stets
bescheiden und schüchtern wirkende Franz
Hauk. Das behauptete nämlich der letzte Musiker im Reigen der angekündigten
– und hier wirklich auch benötigten - Solisten: Christoph Well.
Der weit übers Bayernland hinaus bekannte Musiker
und Kabarettist (Birmösl Blosn) hatte die Lacher sofort auf seiner Seite als er
meinte: „Der Franz hat gmoant.“ Der hätte ihn nämlich zu seinem Auftritt, der
so und nicht anders ausfallen musste, angestiftet. So und nicht anders sah die
eineinhalb Mann lange Orgelpfeife aus, die der schmächtige Trompeter nämlich
heranschleppte. Und wie er dann in seinem unverfälschten Bayrisch für die
Patenschaftsaktion, die eine neue Chororgel im Liebfrauenmünster Ingolstadt
möglich machen soll, warb, das war natürlich allererste kabarettistische Sahne.
Doch keinen Augenblick übertrieben oder in billigen Kitsch abgleitend. Ja und
Herr Hofmiller? Der hätte sich bestimmt gewünscht, in unserer
Zeit zu leben.
Der Heilige Geist schwebte längst durchs
Kirchenschiff und die Aufnahmefähigkeit der Menschen in der übervollen Kirche machte
dem Pfingstfest alle Ehre. Christoph
Well hatte die Pfeife abgelegt und zu seiner Trompete gegriffen und auch Justus Willberg hatte seine Pfeife mit
einer Blockflöte ausgetauscht. Es konnte losgehen. Und das tat es dann auch,
das 2. Brandenburgische Konzert. Und
wie. Mit einem Allegro. Fulminant.
Musikantentum nach allen Regeln der Kunst. Jede Note, noch so hoch, jeder Lauf,
noch so schwierig – gelebt, viel mehr als nur gespielt. Und dann das Andante. Gefühl pur. Das Gleiten in den
Rausch. Allegro assai. Da geht die
Post ab, sagen die Musiker.
Sollte mal ein Reiseschriftsteller – gibt es so
etwas überhaupt noch? – Ingolstadt besuchen, dann sollte er eine OrgelMatinee
um Zwölf (sonntags) – auch wenn nicht alle das gleiche künstlerische
Niveau erreichen – unbedingt besuchen. Es wäre auch für ihn die Chance,
unsterblich zu werden. Wie damals für Josef
Hofmiller.
Anton Potche
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