Montag, 25. Juni 2012

Ob Gheorghe Chiochiş wohl öfter mal in seinem Leben an Hans Küchler gedacht hat?

Der Journalist und Heimatkundler mit dem Schwerpunkt Banat, Luzian Geier, hat in der Broschüre Jahrmarkter Heimatblätter - Deportation 1945 (Hrg.: Heimatortsgemeinschaft Jahrmarkt, 1995) den Beitrag Das erste Rußlandopfer publiziert. Darin heißt es zur Deportation der arbeitsfähigen Deutschen aus Jahrmarkt / Banat in die Sowjetunion (Januar 1945): „Es war schon nach der Sonntagsfrühmesse, als die zwei uniformierten Militärangehörigen auch den Jahrmarkter Maurer Hans Küchler aus dem Hause mitführen wollten zur Deportation nach Russland. Der kräftige Handwerker in besten Mannesjahren wehrte sich jedoch, es kam zu einem heftigen Wortwechsel, auch noch vor dem Haustor. Als einer der Militärs das Gewehr durchlud, flüchtete der Mann in den Hof, wo ihn jedoch die Gewehrsalve durch die Torbretter tödlich traf. Und das vor den Augen der Familienangehörigen.“

Geier schreibt also von einem „heftigen Wortwechsel“ und führt weiterhin an, dass es „außer den Augenzeugenberichten bisher keine bekannten Dokumente gab“. Damit bezieht er sich ausdrücklich auf die Zeit bis kurz „vor der Wende“ in Rumänien, also 1988 oder 1989, denn damals konnten die Eintragungen des 1945 in Jahrmarkt tätigen Kaplans Paul Lackner in den Kirchenbüchern, die in einem Staatsarchiv in Temeswar lagerten, fotokopiert werden. Darin schreibt der Kaplan, dass Hans Küchler (geb. 1903) den Gendarmen „gewalttätigen Widerstand leistete, worauf er von diesen erschossen wurde.“

Zwischen „heftigem Wortwechsel“ und „gewalttätigem Widerstand“ gibt es natürlich einen Unterschied, der Fragen aufwirft. Luzian Geier stammt aus Jahrmarkt. Man kann also davon ausgehen, dass er mit den Hinterbliebenen des Opfers gesprochen hat. Haben die ihm nur von einem „heftigen Wortwechsel“ berichtet oder von einer „Gewalttätigkeit“, die er dann aus verständlicher Rücksicht auf noch lebende und in der ehemaligen Dorfgemeinschaft bekannte Nachkommen abgeschwächt hat? Oder hat der Priester gar in der Art des geführten „Wortwechsels“ eine „Gewalttätigkeit“ gesehen? Oder hat der 42-jährige Maurer wirklich auch körperlich Widerstand geleistet? Die Wahrheit spielte damals, als die Deutschen in Rumänien vogelfrei waren, natürlich eine untergeordnete oder gleich gar keine Rolle.

Heute würden Rechtsanwälte aber zwischen „Wortwechsel“ und „Gewalttätigkeit“ genau unterscheiden, dreht es sich doch letztendlich um nicht mehr als den Unterschied zwischen „Mord“ und „Selbstwehr“. Haben die rumänischen Gendarmen einen Mord begangen oder haben sie auf einen gewalttätigen Angriff nur aus einer Abwehrhaltung überreagiert?

Nun scheint es aber doch noch irgendwo Unterlagen zu dem Fall zu geben. Dr. Mircea Rusnac hat eine Arbeit mit dem Titel Deportarea germanilor în Uniunea Sovietică – Cu referire specială la Banat veröffentlicht. (http://www.agero-stuttgart.de/REVISTA-AGERO/ISTORIE/). Und er hält fest: „Cu prilejul ridicării s-au produs şi evenimente dintre cele mai tragice. Astfel, de exemplu, în momentul când urma să fie ridicat (14 ianuarie), germanul Ioan Kukler din comuna Giarmata, judeţul Timiş-Torontal, l-a lovit în cap pe sergentul-major Iulian Vârjeanu. A urmat o luptă, în urma căreia jandarmul însoţitor, sergentul-major Gheorghe Chiochiş, l-a împuşcat mortal pe locuitorul german.” Rusac gibt für diese Information als Quelle das Buch Deportarea etnicilor germani din România în Uniunea Sovietică. 1945, culegere de documente de arhivă întocmită de Hannelore Baier, Forumul Democrat al Germanilor din România, 1994, p. 7 an.

Laut diesem Vermerk hat Hans Küchler sich also wirklich mit Gewalt gewehrt und der rumänische Feldwebel Gheorghe Chiochiş hätte auch nach unserem heutigen Rechtsverständnis alle Chancen mit einer milden Strafe davonzukommen. Dass er damals von seinem rumänischen Dienstherrn nicht gerügt, sondern wahrscheinlich sogar belobigt oder ausgezeichnet wurde, steht außer Frage.

Der Vorfall lässt heute nur mehr erahnen, welche schreckliche Spannung in jenem Winter in den von Deutschen bewohnten Dörfern des Banats vorherrschte. Die Unsicherheit muss beiderseits enorm gewesen sein und die Nerven lagen blank. Wer gegen die Staatsmacht aufbegehrte, war des Todes. Hans Küchler wurde ein Opfer dieser Athmosphäre. Ob Gheorghe Chiochiş jemals Gewissensbisse ob seiner Tat hatte oder als stolzer Diener seines Landes durchs Leben ging, ist nicht überliefert. 

Anton Potche

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