Donnerstag, 5. Juli 2012

Vom Atelier in den öffentlichen Raum

Die Künstlerin Sieglinde Bottesch (*1938) nennt ihr Atelier lieber „Arbeitszimmer“ und empfindet es als „Ort des Rückzugs, der Sammlung, des Probierens, des Findens, Kokon des Selbstvergessens“. Genauso stellen wir Kunstbetrachter – mit mehr oder weniger Sachverstand – uns Orte der Schöpfung vor. Um diesen Räumen in unserer Fantasie aber Entfaltungsmöglichkeiten zu gewähren, brauchen wir den Kontakt mit der Frucht des künstlerischen Schöpfungsaktes. Ausstellungen sind die Orte der Begegnung zwischen dem Geist aus dem Atelier und dem nach Schönheit oder auch Anstößigem durstenden Menschenkind.

Die Exerzier- und die Reithalle im Ingolstädter Klenzepark gehören zu diesen für Kunstpräsentationen prädestinierten Orten. Zum zweiten Mal haben sie heuer die kunstmesse ingolstadt beherbergt. Als Organisator engagierte sich wieder der Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler Oberbayern Nord und Ingolstadt e.V., ein Regionalverband des Bundesverbandes Bildender Künstlerinnen und Künstler Deutschland. Die Palette der ausgestellten und zum Kauf angebotenen Kunststücke war ebenso vielfältig wie thematisch und genrebezogen abwechslungsreich: Malerei, Zeichnung, Druckgrafik, Bildhauerei, Edelmetallbearbeitung, Schmuckobjekte, Fotografie, Bildhauerei, Holzschnitzkunst, Textil, Bienenwachs auf Leinwand, Kunststofffiguren, Tapisserie, Video, Keramik, Papierrelief, Plexi, Computergrafik, Multimediakunst u.s.w.

Der bayerische Staatsminister für Wissenschaft, Forschung und Kunst, Dr. Wolfgang Heubisch, schreibt im Grußwort der Begleitbroschüre zu dieser Messe: „Abgesehen vom Lob durch Kauf bietet die kunstmesse ingolstadt ’12 ihren Besuchern aber auch die einzigartige Möglichkeit, direkt mit den Kunstschaffenden ins Gespräch zu kommen. Diesen Dialog halte ich für die zeitgenössische Kunst, die ihrem Publikum oft ein paar Schritte vorauseilt, für außerordentlich wichtig und begrüßenswert.“ Wie wahr!

Über hundert Künstler hatten sich für die Messe beworben. 77 von ihnen konnten ihre Arbeiten präsentieren. In der Ausstellungkoje E19 lernte ich einen der Künstler kennen, ein untersetzter, freundlicher Herr, mit dem ich mich über die Abkaufsumme aus Rumänien der Ceauşescu-Zeit unterhielt. Unter anderem. Aber auch das ist auf solchen Messen möglich und macht sie zu einem Gesellschaftshort, in dem Begegnung, Kennenlernen und Dialog, wie der Minister sagt, genauso wichtig sind wie die Kunst an sich. Ja, mehr noch, diese gewinnt dadurch an Akzeptanz, ihr Weg aus dem Atelier zum Volk ist ein gewinnbringender, wenn auch nicht immer sofort finanziell lohnender, denn er verdrängt die Scheu des Volkes vor dem Gottbegnadeten, dem mit Talent Gesegneten. Ideelle Werte wirken in die Zukunft, sie sind nicht von ungefähr „ihrem Publikum oft ein paar Schritte voraus“. 

Die Wurzeln des Mannes mit dem Vollbart und dem freundlichen, entgegenkommenden Blick liegen in Rumänien. Lucian Binder-Catana hat im Jahre 1963 in Chieşd, eine seit 1461 am nordwestlichen Rand Siebenbürgens (Rumänien) urkundlich attestierte Ansiedlung, das Licht der Welt erblickt. In Hermannstadt besuchte er das Kunstlyzeum, kam 1990 nach Deutschland, studierte an der Fachhochschule für Gestaltung in Augsburg und lebt und arbeitet in den benachbarten Donaustädten Vohburg und Ingolstadt.   

Skurril fände ich seine Bilder, sagte ich dem Künstler. Das höre er immer wieder, bekam ich mit einem verständlichen Lächeln zur Antwort. Ja, es sei schon eine Botschaft von Hilflosigkeit (besonders bei Kindern), Verletzlichkeit, von beunruhigten Seelen zu spüren, erläuterte der Maler mir seine Bilder: Acryl auf Leinwand, Tusche und Tempera auf Glas. Schon, schon. Aber nicht nur. Das Gefühl von Traurigkeit kommt beim Betrachten dieser Bilder gar nicht auf. Nachdenklichkeit eher. Und dieser „symbolistische Expressionismus“ des Meisters beinhaltet immerhin genügend Aspekte, die dir ein wohlgefälliges Schmunzeln abringen. Ganz spontan. Ohne viel über Maltechniken, tiefsinnige Botschaften und dergleichen zu philosophieren. Bilder eben, von denen man gerne das eine oder andere in seiner Wohnung hängen hätte.

Ob er denn von seiner Kunst leben könne, fragte ich Lucian Binder-Catana. Dabei hatte ich das Urheberrechtsgejammer der Verlage und Literaten im Hinterkopf, ohne es allerdings zu erwähnen. Natürlich nicht, bekam ich zur Antwort, als wäre es das Natürlichste dieser Welt. Und doch lebt dieser Maler, Graphiker, Zeichner etc. ohne spektakuläre Öffentlichkeitsaktionen á la Anselm Kiefer in den 70ger Jahren des letzten Jahrhunderts. Der Symbolismus des Lucian Binder-Catana strahlt eine spürbare Erdung aus. Der Mann lebt im Jetzt und hält Schritt mit seiner Zeit. Kunst bedeutet für ihn viel mehr als das, was in seiner Künstlerkoje auf der Messe zu sehen war.

Es ist diese Verankerung im Zeitgeist – ohne abzuheben oder kitschigen Trends zu hofieren-, die Lucian Binder-Catana letztendlich das Überleben ermöglicht. Der Kommunikationsdesigner ist seit 12 Jahren geschäftsführender Gesellschafter von Hyperscreen GmbH für Digitale und Klassische Medien, eine Agentur, die er selber mit einem Kollegen gegründet hat. Wer sich mit ihm unterhält, spürt die Faszination, die von einem modernen Künstler, der selbstsicher die Bereiche Print, Web, Multimedia und bildende Kunst beackert, ausgehen kann. 

Anton Potche

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