Dieser letzte Januartag war ein abwechslungsreicher Tag –
mit Sonne, Wind und Regen. Aber kein guter Tag – mit Bettlern.
Ich hörte in den frühen Nachmittagsstunden des 31. Dezember 2014
(Freitag) auf BAYERN 2 Bernd Fabritius, CSU-Abgeordneter
im Bundestag und Bundesvorsitzender des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in
Deutschland e.V., in einem Interview zum Thema der
Wer-betrügt-fliegt-Einwanderer aus Rumänien sprechen. Er versuchte das Dilemma
Parteidisziplin – eigene Anschauung auszutarieren. Die Moderatorin des BR
zeigte Verständnis für die „zwei Herzen“ in der Brust ihres Gesprächpartners.
Anlass des Interviews war der Besuch des rumänischen Präsidenten Traian Băsescu in Berlin. Der hatte
sich schon am Morgen in der Bundespressekonferenz zum Thema der rumänischen
Immigranten in Deutschland geäußert. Laut DEUTSCHE WELLE hat der Präsident
darauf hingewiesen, dass Rumänien der Europäischen Union „mit den Roma“
beigetreten sei und Europa das wusste.
Das Thema will nicht aus den deutschen Medien verschwinden.
Der DONAUKURIER aus Ingolstadt brachte am 30. Januar einen Artikel über Frauen,
die bei eisigen Temperaturen in der Fußgängerzone sitzen und Klagelieder in einer Fremden Sprache singen. Der Journalist hielt aber fest, dass er nicht, wie in den vergangenen
Jahren beobachtet, den Eindruck habe, dass diesmal organisierte Bettlerbanden
ihre Hand im Spiel hätten. Hier scheine es sich um wirkliche Not zu handeln.
Natürlich geht mich das alles nichts an. Und trotzdem hatte ich ein ungutes
Gefühl, das irgendwie nicht von mir weichen wollte.
Die Haustürklingel ertönte – es waren erst wenige Minuten
seit dem Fabritius-Interview vergangen. Ich öffnete. Ein schmächtiger Mann,
Dreitagebart, ärmlich aber nicht vernachlässigt gekleidet, hielt mir einen
Zettel entgegen. Ich habe nur einen flüchtigen Blick auf den Text geworfen.
Etwas von „2 Kinder“ stand drauf. Wie oft habe ich solche Betteltexte in
unsicherer Handschrift und schlechtem Deutsch schon gelesen? Doch diesmal hielt
ihn mir nicht eine mit bunten, exotischen Röcken bekleidete Frau entgegen,
sondern ein junger Mann, so um die 30 Jahre alt. Ich schlug ihm die Tür nicht
vor der Nase zu (nach seinem Blick urteilend, muss ihm das an diesem Tag schon
öfter widerfahren sein) und sprach ihn an – rumänisch. Er war erschrocken. Nach
zwei, drei aufmunternden Sätzen erzählte er dann doch. Er komme aus dem Kreis
Vrancea. Seine Frau sei auch hier. Seit zwei Wochen suchten sie nach Arbeit.
Vergeblich. Jetzt wollten sie nur noch eins: nach Hause. Dafür hätten sie aber
kein Geld. 100 Euro pro Person würde eine Fahrt mit dem Bus nach Hause kosten.
Dort warten zwei Kinder. Ich redete auf ihn ein, schnellstens nach Hause
zurückzukehren, gab ihm einen Obolus, er bedankte sich und ging von dannen.
Daraufhin schulterte ich meinen Fotoapparat und begab mich in
die Altstadt. Es war noch keine Stunde seit diesem Besuch an unserer Haustür
vergangen, als ich das erste Klagelied vernahm. Die Frau saß an einem Straßeneck
in der Ingolstädter Fußgängerzone. Die Sonne hatte sich längst verkrochen und ein nasskalter Wind blies durch die Straßen
der Altstadt. Ich hielt mich in respektablem Abstand, nahm meinen Fotoapparat
aus der Tragetasche, führte ihn zum Auge und... während ich zoomte, schlug die
Frau die Hände vors Gesicht. Das macht keine Berufsbettlerin, schoss es mir
durch den Kopf. Ich senkte die Kamera, schaltete sie aus und steckte sie zurück
in die Tasche. Dann schritt ich auf die Frau zu.
Warum sie ihr Gesicht verberge, fragte ich sie – rumänisch.
Auch sie verstand mich. Sie schäme sich dessen, was sie hier tue, habe aber
keine andere Wahl, zu Geld zu kommen. Durch die Vermittlung eines Bekannten aus
ihrem Dorf, etwa 40 km von Piteşti entfernt, „dort wo man Autos baut“, sei sie
hierher „zum Schneeräumen“ gekommen. Auf meinen Einwand, dass es hier in diesem
Winter gar nicht geschneit hat, erzählte sie mir eine mit Widersprüchen bestückte
Geschichte. Auf jeden Fall wolle sie jetzt nur nach Hause, in ihr Dorf, wo sie
ein gesundes und ein krankes Kind bei ihrer Mutter zurückgelassen habe, und die
jetzt total eingeschneit und von der Außenwelt abgeschnitten seien. Eine Frau
von der Caritas habe ihr versprochen, dass sie nächste (also diese) Woche mit
Hilfe dieser Organisation wieder nach Hause fahren könne. Die Tränen, die ihr
dabei über die Wange rannen, waren echt. Daran brauchte ich nicht zweifeln. Ich
wünschte der Frau eine gute Heimfahrt, ließ eine Münze in ihrem Becher zurück
und ging ohne Foto weiter.
Wie oft wurde ich an diesem letzten Januartag des Jahres
2014 belogen? Ich weiß es nicht. Aber wenn nur ein Teil von dem aus Politiker-
wie Bettlermunde Vernommenen wahr ist, dann ist es wirklich nicht gut bestellt
um dieses Land Rumänien, dessen Präsident auf der Berliner Pressekonferenz die
Erfolge seiner Amtszeit in verhängten Haftstrafen für rumänische Minister (5) und
hohe Staatsbeamte (22) verkauft hat.
Daraus aber eine akute Gefahr für unser deutsches
Sozialsystem abzuleiten, klingt dann doch sehr nach politischer Haarspalterei.
Sie wollen ja nur nach Hause, die Bettler von Ingolstadt. Wenn man ihnen
glauben darf.
Anton Potche
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