Wenn das Wetter sich über das Gemüt und der Abend über den
Tag legt, dann sind ganz persönliche Verhaltensweisen angesagt. Ich gehe da
gerne an meinen CD-Ständer und greife nach einer Scheibe. Und zwar nicht nach
irgendeiner, sondern gezielt nach einer mit Egerländermusik. Eine Frage auf
dieses gezielte Suchen erübrigt sich, weil ich darauf sowieso keine Antwort
habe. Oder doch?
Wenn die Scheibe sich im CD-Player zu drehen beginnt,
schließe ich die Augen. Und mein bisheriger Blick in den Nebel nimmt Takt für
Takt andere Bilder auf. Sie sind zwar auch nicht gestochen klar, aber sie
eröffnen ein Tor, durch das ich schreite, hinaus, nein hinein in meine
Vergangenheit. Und da spielt sie wie eh und je, meine geliebte Blasmusik. Und
die Musikanten stehen im Kreis, der Kapellmeister in der Mitte. Und die
Hochzeitsgäste kommen. Oder die Kirchweihpaare trudeln ein. Bekannte Gesichter.
Sie waren immer da. Und sie sind noch immer da, hinter meiner Schädeldecke.
Eingemeißelte Bilder für die Ewigkeit. Um sie aus ihrer Erinnerungsstarre zu
erwecken, benötigt es nur eines musikalischen Backgrounds – böhmische
Blasmusik.
Ich liebe dieses Erinnerungsritual und werde es bestimmt, solange
mir das Schicksal einen eigenen, bewusst empfundenen Willen schenkt, leben. Auch
2014 hat uns einen Herbst beschert und mit ihm kurze, sonnenlose Tage. Aber er
hat auch meinen Schritt in ein künstlich hell erleuchtetes Kaufhaus gelenkt.
Eine solche Einkehr ist für mich trotz allen Glanzes nur erträglich, wenn es
auch eine Bücher- oder Musikabteilung in dem Shoppingpalast gibt. Es war ein
guter Herbsttag, auch wenn die Sonne mal wieder die Donau keines Blickes
würdigte. Ich griff nach dem Album 2014 der Egerländer Musikanten, Musik für Generationen, und hörte kurz
hinein. Alles in Ordnung, alles beim Alten, die vertrauten Klänge..., zumindest
zum Teil.
Zu Hause führte ich mir dann die Musik für Generationen in üblicher Art und Weise zu Gemüte. Als die
Zwei Tränen (Komp.: Karel Vacek) flossen, war ich längst über
alle Berge, hinweg von dieser Welt und mit Wanderfreunde[n]
(Komp.: Nick Loris) unterwegs in
zeitlich und geografisch fernen Gefilden..., um je aus meinen Träumen gerissen
zu werden. Du lebst heute und jetzt. Also, bitte sehr. Musik ist mehr als
Egerländerweisen: Tarantella, Vals boémia, Samba boémia (Komp.: Ernst
Hutter / Klaus Wagenleiter) und
ein von Bandleader Ernst Hutter
getexteter Song für Generationen.
Klassische und zeitgenössische Bläsermusik, wie BAYERN 1 sie uns
dankenswerterweise seit Jahrzehnten sonntags morgens um 11 präsentiert. Und
immerhin nicht fremd. Schließlich spielte man ja selber vor Jahren nach den
Taktschlägen eines Bernd Maltry und Christian Lombardi. Aber was diese
Generationen-Suite hier hergibt, klingt aus anderen musikalischen Sphären herab
– nicht um zu demütigen, sondern um aufzumuntern. Kommt, versucht es, hört
herein, Ihr werdet es schön finden... Das kann schon sein. Bei dieser
Perfektion! So klingt sie nun mal, die Musik
für [junge] Generationen – grandios, mit virtuosem Können interpretiert.
Aber auch sie ist nicht minder grandios, die Musik für [betagte] Generationen – mit
dem die Sinne beeinflussenden – manchmal auch betörenden! – Melodienzauber. Man
muss wahrlich kein Blasmusikfan sein, um sie zu kennen – das stelle ich immer
wieder mit belustigter Genugtuung bei meinen Kindern fest -: So ein Schöner Tag, Dort tief im Böhmerwald,
Rosamunde, Im schönen Prag, Südböhmische Polka, um nur die hier in einem
Medley eingespielten Melodien zu erwähnen.
Es macht wenig Sinn sich über die außergewöhnliche
musikalische und tontechnische Qualität dieser CD auszulassen. Man müsste sich
eigentlich nur wiederholen. Das gilt auch für den Gesang. Die Aufnahme entstand
in zwei Studiosessions, gemeint sind natürlich Aufnahmezeiten, im April und
Juli 2014 in den Bauer Studios in Ludwigsburg. Ich habe meine Musik für Generationen im Drogeriemarkt
Müller für 14,99 Euro gekauft. Und sie wird mir bestimmt nicht nur in der
lediglich von Kerzen erhellten Zeit sehr zugute kommen.
Anton Potche
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