Mittwoch, 4. März 2015

Sein Leben galt der Musik

Es war an einem Sonntag, dem 25. Juli 2010, um 9:45 Uhr. Die nahe Kirchenglocke rief zum Gottesdienst, als ich zum Stift griff und einen Tagebucheintrag schrieb. In jenem Jahr hatte ich nur sieben Einträge zustande gebracht. Also musste mich damals irgendwas besonders bewegt haben.

Heute morgen, Samstag, den 28. Februar 2015, suchte ich in einer im Keller verstauten Plastikbox nach diesem Tagebuch. Ja, es war wieder etwas für mich Bewegendes vorgefallen. Meine Frau hatte mir beim Frühstück wortlos den DONAUKURIER mit den Traueranzeigen über den Tisch geschoben.

An jenem Sonntagmorgen des Jahres 2010 hatte ich zwei Heftseiten in kleiner Handschrift – bestimmt nicht schön anzusehen – beschrieben. Und so enden sie: „Jetzt ist es vorbei, mein Musikantenleben. Und es war wunderwunderschön. Ich will, solange meine Hirnzellen mitspielen, nichts davon in meinen Erinnerungen missen. Und vor allem bin ich meinem Schicksal dankbar, dass ich diese schöne Zeit erleben durfte. Leb wohl, schönes Musikantenleben!“ Klar: Pathetik pur. Aber so habe ich damals empfunden. Und dafür sind Tagebücher da. (Welchem Empfinden wird wohl die Pathétique Beethovens und Tschaikowskys entsprungen sein?)

Aber dass ein Musikantenleben nicht nur schöne Seiten hat, rief mir die Todesanzeige vor mir in Erinnerung: Bernd Maltry, *30. Juli 1949 - †17. Februar 2015. Sie war eigentlich der Anstoß zur Suche nach diesem Tagebuch. Und ich blätterte darin weiter zurück. Bei einem Eintrag vom 19. Januar 2006 stieß ich auf die vermutete Stelle. Also musste mich auch damals etwas besonders bewegt haben. Den Eintrag tätigte ich um 22:45 Uhr. Und mir läuft jetzt noch ein Schauer den Buckel runter, wenn ich ihn lese. Es war Trauer, Wut, Unverständnis und die Scham vor der eigenen Feigheit, nicht aufbegehrt zu haben – wie zwecklos auch immer das wohl gewesen wäre -, die ich heute noch aus diesen Zeilen herauslese: „Bernd Maltry, der  Leiter des Werkorchesters wurde heute gefeuert. Ja, so kann man diesen völlig unverdienten Rauswurf eines ganz, ganz hervorragenden Dirigenten nennen. [...] Begründung: Man strebe einen Generationswechsel an.“

Dann hat die Zeit ihre Schuldigkeit getan und den Schleier des Vergessens über jenen für mich so denkwürdigen Tag gelegt. Irgendwann, nach drei, vier Jahren, googelte ich Bernd Maltrys Namen und stellte beruhigt fest, dass er noch auf der Liste der Dozenten des Richard-Strauß-Konservatoriums im Gasteig, heute Hochschule für Musik und Theater München, geführt wurde. (Sein Student Alexander Kuralionok hat den Wettbewerb „coupe suisse de l’accordéon 2009“ gewonnen.)

Bernd Maltry dirigiert
das Audi Werkorchester
Bernd Maltry, der Dirigent, der das Werkorchester der Ingolstädter Autobauer auf eine hohe Leistungsstufe geführt hat, war ein außerordentlich gewissenhafter und detailbesessener Orchesterleiter. Das werden auch die Musikerinnen und Musiker der verschiedenen Landesakkordeonorchester, die er leitete, bestätigen. (Mit dem Landesjugendorchester Baden-Württemberg bereiste er Russland, Kanada, Brasilien und die USA.) Er hatte ein ungeheuer breites Repertoire memoriert und dirigierte fast immer auswendig.

In den 1980er und -90er Jahren feierte er mit dem Audi Werkorchester wahre Triumphe. Die herbstlichen Wohltätigkeitskonzerte zugunsten der Ingolstädter Lebenshilfe gingen meistens vor ausverkauftem Haus über die Bühne. Bernd Maltry war im Jahre 1986 die Führung dieses Orchesters – damals nicht mehr als eine gute Blaskapelle mit standesüblichem Repertoire - anvertraut worden. Schon ein Jahr später vermerkte der Musikkritiker des DONAUKURIER anlässlich eines Wohltätigkeitskonzertes: „Auch im zweiten Teil, der verschiedene Märsche, Melodien von Bert Kaempfert oder Stimmungsbilder aus dem Süden beinhaltete, erlebte man das Audi-Werkorchester als einen musikalisch ungemein flexiblen, mit Präzision und rhythmischer Sicherheit agierenden Klangkörper, den Orchesterleiter Bernd Maltry mit bewundernswerter Sicherheit und Souveränität im Griff hat.“

Trotz der Erfolge blieb Bernd, wie wir, seine Musiker, ihn stets riefen, einer der Stillen und Bescheidenen seines Metiers. Ich weiß nicht, wie lange er Ingolstadt fernblieb. Jetzt ist er in seine Heimatstadt – mit dessen Akkordeonorchester er die Wettbewerbe des Internationalen Akkordeonfestivals 1978 in Ieper/Belgien sowie des Internationalen Akkordeonfestivals 1983 in Innsbruck gewann - zurückgekehrt, so als ob dort sein aus dem ehemaligen Banater Handwerker- und Musikantendorf mit dem so sehr nach Handel und Geselligkeit klingenden Namen „Jahrmarkt“ stammender Vater Hans Maltry (1922 - 1998) schon immer auf ihn gewartet hätte. Still und leise. Ohne Fanfarenklänge. Ohne öffentliches Aufsehen. „Im engsten Kreis der Familie“ ging er von hinnen. Unter seinem Namen auf der Todesanzeige in der Tageszeitung steht der Satz: „Sein Leben galt der Musik.“

Auf dem Friedhof südlich der Donau (Südfriedhof) hat Bernd Maltry nun seine letzte Ruhestätte gefunden. Und er ist hier in der Donaustadt wahrlich nicht in schlechtester Gesellschaft, ruht auf dem Friedhof nördlich der Donau (Westfriedhof) doch kein Geringerer als Adolf Scherzer (1815 - 1864), der Komponist des Bayerischen Defiliermarsches.

Ingolstadt, 28.02.2015
Anton Potche

1 Kommentar:

  1. Sehr geehrter Herr Potche,

    ich schreibe hier diesen Kommentar, da ich keine andere und vorallem schnellere Möglichkeit sehe, mit Ihnen in Kontakt zu treten.

    Ich habe heute von Ihrem Blog erfahren und soeben den Eintrag zum Leben und Tode meines Onkels gelesen.
    Es hat mich zu Tränen gerührt. Dass ein Mensch sich die Zeit und Mühe macht, solche liebevollen Worte zu verfassen, zeigt mir, wie hoch geschätzt und geliebt Bernd war.

    Vielen herzlichen Dank, auch im Namen meiner Familie, für diese wunderschönen Zeilen. Sie berühren mich sehr.

    Liebe Grüße,

    Teresa Maltry

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