Es war an einem Sonntag, dem 25. Juli 2010, um 9:45 Uhr. Die
nahe Kirchenglocke rief zum Gottesdienst, als ich zum Stift griff und einen
Tagebucheintrag schrieb. In jenem Jahr hatte ich nur sieben Einträge zustande
gebracht. Also musste mich damals irgendwas besonders bewegt haben.
Heute morgen, Samstag, den 28. Februar 2015, suchte ich in
einer im Keller verstauten Plastikbox nach diesem Tagebuch. Ja, es war wieder
etwas für mich Bewegendes vorgefallen. Meine Frau hatte mir beim Frühstück
wortlos den DONAUKURIER mit den Traueranzeigen über den Tisch geschoben.
An jenem Sonntagmorgen des Jahres 2010 hatte ich zwei
Heftseiten in kleiner Handschrift – bestimmt nicht schön anzusehen –
beschrieben. Und so enden sie: „Jetzt ist es vorbei, mein Musikantenleben. Und
es war wunderwunderschön. Ich will, solange meine Hirnzellen mitspielen, nichts
davon in meinen Erinnerungen missen. Und vor allem bin ich meinem Schicksal
dankbar, dass ich diese schöne Zeit erleben durfte. Leb wohl, schönes
Musikantenleben!“ Klar: Pathetik pur. Aber so habe ich damals empfunden. Und
dafür sind Tagebücher da. (Welchem Empfinden wird wohl die Pathétique Beethovens und Tschaikowskys entsprungen sein?)
Aber dass ein Musikantenleben nicht nur schöne Seiten hat,
rief mir die Todesanzeige vor mir in Erinnerung: Bernd Maltry, *30. Juli 1949 - †17. Februar 2015. Sie war eigentlich
der Anstoß zur Suche nach diesem Tagebuch. Und ich blätterte darin weiter
zurück. Bei einem Eintrag vom 19. Januar 2006 stieß ich auf die vermutete
Stelle. Also musste mich auch damals etwas besonders bewegt haben. Den Eintrag
tätigte ich um 22:45 Uhr. Und mir läuft jetzt noch ein Schauer den Buckel
runter, wenn ich ihn lese. Es war Trauer, Wut, Unverständnis und die Scham vor
der eigenen Feigheit, nicht aufbegehrt zu haben – wie zwecklos auch immer das
wohl gewesen wäre -, die ich heute noch aus diesen Zeilen herauslese: „Bernd
Maltry, der Leiter des Werkorchesters
wurde heute gefeuert. Ja, so kann man diesen völlig unverdienten Rauswurf eines
ganz, ganz hervorragenden Dirigenten nennen. [...] Begründung: Man strebe einen
Generationswechsel an.“
Dann hat die Zeit ihre Schuldigkeit getan und den Schleier
des Vergessens über jenen für mich so denkwürdigen Tag gelegt. Irgendwann, nach
drei, vier Jahren, googelte ich Bernd Maltrys Namen und stellte beruhigt fest, dass er
noch auf der Liste der Dozenten des Richard-Strauß-Konservatoriums im Gasteig, heute
Hochschule für Musik und Theater München, geführt wurde. (Sein Student Alexander Kuralionok hat den Wettbewerb
„coupe suisse de l’accordéon 2009“ gewonnen.)
Bernd Maltry dirigiert das Audi Werkorchester |
Bernd Maltry, der
Dirigent, der das Werkorchester der Ingolstädter Autobauer auf eine hohe
Leistungsstufe geführt hat, war ein außerordentlich gewissenhafter und
detailbesessener Orchesterleiter. Das werden auch die Musikerinnen und Musiker
der verschiedenen Landesakkordeonorchester, die er leitete, bestätigen. (Mit
dem Landesjugendorchester Baden-Württemberg bereiste er Russland, Kanada,
Brasilien und die USA.) Er hatte ein ungeheuer breites Repertoire memoriert und
dirigierte fast immer auswendig.
In den 1980er und -90er Jahren feierte er mit dem Audi
Werkorchester wahre Triumphe. Die herbstlichen Wohltätigkeitskonzerte
zugunsten der Ingolstädter Lebenshilfe gingen meistens vor ausverkauftem Haus
über die Bühne. Bernd Maltry war im
Jahre 1986 die Führung dieses Orchesters – damals nicht mehr als eine gute Blaskapelle mit standesüblichem Repertoire - anvertraut worden. Schon ein Jahr später
vermerkte der Musikkritiker des DONAUKURIER anlässlich eines
Wohltätigkeitskonzertes: „Auch im zweiten Teil, der verschiedene Märsche,
Melodien von Bert Kaempfert oder Stimmungsbilder aus dem Süden beinhaltete,
erlebte man das Audi-Werkorchester als einen musikalisch ungemein flexiblen,
mit Präzision und rhythmischer Sicherheit agierenden Klangkörper, den
Orchesterleiter Bernd Maltry mit bewundernswerter Sicherheit und Souveränität
im Griff hat.“
Trotz der Erfolge blieb Bernd,
wie wir, seine Musiker, ihn stets riefen, einer der Stillen und Bescheidenen
seines Metiers. Ich weiß nicht, wie lange er Ingolstadt fernblieb. Jetzt ist er
in seine Heimatstadt – mit dessen Akkordeonorchester er die Wettbewerbe des
Internationalen Akkordeonfestivals 1978 in Ieper/Belgien sowie des
Internationalen Akkordeonfestivals 1983 in Innsbruck gewann - zurückgekehrt, so
als ob dort sein aus dem ehemaligen Banater Handwerker- und Musikantendorf mit
dem so sehr nach Handel und Geselligkeit klingenden Namen „Jahrmarkt“
stammender Vater Hans Maltry (1922 -
1998) schon immer auf ihn gewartet hätte. Still und leise. Ohne Fanfarenklänge.
Ohne öffentliches Aufsehen. „Im engsten Kreis der Familie“ ging er von hinnen. Unter
seinem Namen auf der Todesanzeige in der Tageszeitung steht der Satz: „Sein
Leben galt der Musik.“
Auf dem Friedhof südlich der Donau (Südfriedhof) hat Bernd Maltry nun seine letzte
Ruhestätte gefunden. Und er ist hier in der Donaustadt wahrlich nicht in
schlechtester Gesellschaft, ruht auf dem Friedhof nördlich der Donau (Westfriedhof)
doch kein Geringerer als Adolf Scherzer (1815
- 1864), der Komponist des Bayerischen Defiliermarsches.
Ingolstadt, 28.02.2015
Anton Potche
Sehr geehrter Herr Potche,
AntwortenLöschenich schreibe hier diesen Kommentar, da ich keine andere und vorallem schnellere Möglichkeit sehe, mit Ihnen in Kontakt zu treten.
Ich habe heute von Ihrem Blog erfahren und soeben den Eintrag zum Leben und Tode meines Onkels gelesen.
Es hat mich zu Tränen gerührt. Dass ein Mensch sich die Zeit und Mühe macht, solche liebevollen Worte zu verfassen, zeigt mir, wie hoch geschätzt und geliebt Bernd war.
Vielen herzlichen Dank, auch im Namen meiner Familie, für diese wunderschönen Zeilen. Sie berühren mich sehr.
Liebe Grüße,
Teresa Maltry