Walter Engel u.
Walter Tonţa (Hg.): Deutsches Kulturleben
im Banat am Vorabend des Ersten Weltkrieges – Der Beitrag von kleineren Städten
und Großgemeinden – Beiträge der 48. Kulturtagung in Sindelfingen – 17./18.
November 2012; Landsmannschaft der Banater Schwaben – Landesverband
Baden-Württemberg; Stuttgart, 2013; ISBN 978-3-00-043816-5; 138 Seiten, 12.- Euro
(einschließlich Versand); Bestelladresse: Landesverband Baden-Württemberg der
Landsmannschaft der Banater Schwaben, Schlossstraße 92, 70176 Stuttgart, Tel.:
0711/625127.
Dass sich das Ende der Banater Schwaben langsam, aber sicher
nähert, ist nicht neu. Das Verschwinden (auch) dieser Volksgruppe macht sich
auf vielen Ebenen bemerkbar. Eine von ihnen ist die Kultur. Ihr mangelt es
sichtlich an frischem Blut und sie leidet an einer spürbaren Themenerosion. Es wurde
eigentlich schon alles gesagt, nur eben noch nicht von jedem. An diesem Zustand
sind weder die Kulturschaffenden noch die -konsumenten schuld. Erstere haben
das Problem, dass in knapp 300 Jahren Siedlungsgeschichte die kulturellen Leistungen
und geschichtlichen Ereignisse, trotz zweier Weltkriege und ebenso vielen
Deportationen, nicht unerschöpflich sind und keinesfalls als Identitätsbasis
Bestand haben, und Letztere können sich vor dem Aussterben nicht drücken. Daher
darf man es auch als einen Kulturakt erster Güte ansehen, wenn dieses sachte
Gleiten aus dem Kulturalltag in die Kulturgeschichte dokumentarisch
festgehalten wird.
Bücher und Broschüren zu Kulturtagungen sind seit jeher die
besten Konservierungsprodukte für untergehende Kulturen. Man hofft natürlich, dass
sie in ferner Zukunft als Zeugen einer einst existierenden Volksgruppe
wahrgenommen werden. Der Landesverband Baden-Württemberg der Landsmannschaft
der Banater Schwaben pflegt eine solche Kulturtagungstradition seit 48 Jahren.
Die Tagung 2012 fand wie üblich im Haus der Donauschwaben in Sindelfingen statt
und findet in einer Broschüre ihre wohlverdiente Resonanzchance für die
Zukunft.
Thematisch haben die Veranstalter der Geschichte ein wenig
vorgegriffen, publizistisch liegen sie aber mit dieser Veröffentlichung im
richtigen Zeitrahmen. Es kann zumindest für den einen oder anderen Banater
Schwaben interessant sein, sich mal ein Bild seiner Abstammungsheimat vor dem
ersten Weltbrand zu machen. Es ging bei dieser Tagung um das Deutsche[s] Kulturleben im Banat am Vorabend
des ersten Weltkrieges im Allgemeinen, aber insbesondere um den Beitrag von kleineren Städten und
Großgemeinden. Die dazu veröffentlichte Broschüre enthält die vorgetragenen
Referate, einschließlich eines Vorwortes der Herausgeber – geleitet wurde die
Tagung von Dr. Walter Engel -, einer
Eröffnungsrede (Josef Prunkl,
Vorsitzender des Landesverbandes Baden-Württemberg der Landsmannschaft der
Banater Schwaben) sowie zweier Grußworte (Dr. Sibylle Müller, Referatsleiterin im Innenministerium
Baden-Württemberg, und Henriette Mojem,
Geschäftsführerin des Hauses der Donauschwaben) und als Nachwort einen in der
BANATER POST vom 5. Januar 2013 veröffentlichten Tagungsbericht, gezeichnet Walter Tonţa.
Im ersten Referat sprach bzw. schreibt Günter Schödl über Die
Banater Schwaben um 1900. Sie standen damals Zwischen ungarischem Staat und deutschem Volk. Der Professor für
Osteuropäische und Neuere Geschichte analysiert das politische und auch völkische
Selbstbewusstsein der Deutschen im südosteuropäischen Raum und legt den Finger
in die Wunde: „Anders als besonders die serbische Minderheit [...] hatte die
über fast die ganze ungarische Reichshälfte verstreute deutsche Bevölkerung
noch nie Zusammengehörigkeitsbewusstsein, sei es kulturell, politisch oder
national motiviert, oder gemeinsames politisches Auftreten gezeigt“. Günter Schödl vermittelt weitgehend die
Sicht der Wissenschaft, wenn er mehr über Bewertungen und etwaige Umbewertungen
vorhandener Kenntnisse zu diesem Themenkomplex als über die konkrete Situation
in bestimmten Ortschaften referiert. Sein Referat klingt auch dementsprechend theoretisch.
Und die vielen Fachbegriffe tragen nicht gerade zu einem leichten Lesefluss
bei.
Der Name Josef Wolf
dürfte allen BANATER-POST-Abonnenten, die mehr als die Geburtstags-, Heirats-
und Sterbespalten lesen, bekannt sein. Eine
historisch-demographische Zustandsbeschreibung der Bevölkerung des Banats vor dem Ersten Weltkrieg nimmt der
Historiker vor. In der Geschichtsschreibung sind Fakten ohne Zahlen nicht
belegbar. Daran mangelt es in dieser Abhandlung auch wahrlich nicht. Wolf lässt kaum einen Aspekt des Lebens
der Deutschen im Banat vor dem 1. Weltkrieg unerwähnt. Er analysiert die Entwicklung und ethnische Struktur der
Bevölkerung, kümmert sich um die Demographische[n],
kulturelle[n], und sozio-ökonomische[n] Merkmale der Bevölkerungsstruktur,
berücksichtigt die Innenkolonisation im
beginnenden nationalstaatlichen Zeitalter – hier geht es nicht nur um Deutsche,
sondern auch um „aus der südlichen Bukowina kommende Szekler (ungar. Székeyek,
rum. secui) und Tschangos (ungar. csángó, rum. ceangăi) -, schreibt über die Industrialisierung, Verstädterung und Migration sowie über die Auswanderungen – damals nach Übersee. Josef Wolf wartet zusätzlich mit fünf
aussagekräftigen Tabellen auf. Wer mal ein Quiz zum Thema Banat abhalten will,
findet zum Beispiel in diesem Referattext auch Antworten auf Fragen, wie viele Analphabeten Temeswar im Jahre 1910 bei einer
Einwohnerzahl von 72.555 Personen wohl hatte.
Heinrich Lay ist
wahrscheinlich nicht nur für Menschen aus dem Dorf Sanktandres und der Kleinstadt
Lugosch ein Begriff. Der pensionierte Gymnasiallehrer mit Geschichtsstudium in
Klausenburg schreibt über den Gymnasialunterricht
in Lugosch im 19. Jahrhundert. Die Geschichte hat ihre Dunkelkammern mit
gut gehüteten Geheimnissen. Auch die Lugoscher Schulgeschichte. Ein
eingefleischter Heimatforscher wie Heinrich
Lay stellt da natürlich seine Vermutungen an: „Es ist nicht ausgeschlossen,
dass die Minoriten gleich nach ihrer Niederlassung in Lugosch sich mit dem
Unterricht und der Erziehung der Jugend beschäftigt haben.“
Das Heidestädtchen Hatzfeld hat viele Kulturschaffende aus
den Reihen der deutschen Bewohner hervorgebracht. Hans Vastag ist einer von ihnen. Er schreibt in dieser Broschüre
über Das Hatzfelder Kulturleben Ende des
19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts –
Schule, Presse, Vereine, geht
dabei ganz schön ins Detail und lässt uns Spätgeborene spüren, wie sich die
Zeiten geändert haben. Zum Besseren oder ...? Das darf jeder Leser für sich
selber entscheiden, wenn er Auszüge Aus
den Satzungen des Jesuleum-Institutes 1913 – 1914 liest: „Sie [die
Zöglinge, A.d.R.] sollen sich gegenseitig achten, zu vertraute Freundschaften
meiden, sich mit gütiger Liebe, Zuvorkommenheit und Sanftmut begegnen. [...] Ohne
Genehmigung der Vorgesetzten ist das Lesen irgendwelcher Bücher verboten. [...]
Geheime Treffen, Briefwechsel und Tratschereien mit auswärtigen Schülerinnen
sind verboten.“ Und so weiter und so fort. Uff, wär’ nichts für mich.
Mit Franz Heinz
kommt ein Literat zu Wort. Und was er über seinen Landsmann Karl Grünn schreibt, verdient nur ein
Attribut: köstlich. Über dieses Dichterleben
in der Großgemeinde Perjamosch weiß Heinz
zu berichten: „Als Kaplan in Deutsch Czernya begegnete er der um fünf Jahre
jüngeren Fleischertochter Katharina Maria Weber, die ihn als treue und liebende
Gefährtin – als ‚meine Frau‘, wie er sie selbst dem Bischof gegenüber
vorstellte – durchs Leben begleiten sollte.“ Hut ab! Ein wahrer Priester. Davon
bräuchte man in heutiger Zeit mehrere. Und dazu noch ein Dichter. Glaube,
Liebe, Dichtkunst. Aber vor allem Mut. Mut zum Anderssein. Da könnten sogar
Atheisten weich werden.
Der Publizist, Herausgeber und Landsmannschaftsfunktionär Luzian Geier ist ein ausgewiesener
Kenner des deutschen Pressewesens im Banat. Er schreibt in der vorliegenden
Broschüre über Deutsche Kalender in
Banater Marktflecken bis zum Ersten Weltkrieg. Im Untertitel stellt er dazu
die rhetorische Frage: Fußnoten der
Literatur- und Heimatforschung? Dem wäre vielleicht nicht so, wenn
intensiver geforscht würde. Der Autor weist zwar auf einige (auch eigene)
Bemühungen in dieser Richtung hin, findet aber, dass es angebracht wäre „ein
Forschungsprojekt nach Standorten mit Banater Periodika zu starten“.
Wunschdenken ist auch in der Welt der Wissenschaft – oder vielleicht gerade
dort – keine Unbekannte. Ja, wenn nur nicht diese erbarmungslose
Irreversibilität der Zeit unser Sein beeinträchtigen würde – im Positiven wie auch
im Negativen. Man wünschte sich mehrere Forschungsbesessene wie Geier; nur eben auch in den folgenden
Generationen.
Und dann sind wir schon beim letzten Beitrag: Blasmusik in der Gemeinde Jahrmarkt – Ein
Beispiel des Musiklebens in den Banater Dörfern vor dem Ersten Weltkrieg.
Der Musiklehrer, Trompeter, Dirigent und Komponist Mathias Loris widmet sich der weltlichen Musik in seinem Geburtsort
Jahrmarkt. Der reich illustrierte Essay bringt sogar für Kenner der Jahrmarkter
Musikszene noch interessante Erkenntnisse. Dass „Missgunst, Rivalität und
Geldstreit“ eine „Jahrmarkter Besonderheit“ waren, will ich jetzt mal als
persönliche Wahrnehmung des Autors unkommentiert stehen lassen. Mir sind diese
Eigenschaften in meiner 40-jährigen Musiktätigkeit in mehreren Kapellen – die
meisten in Bayern – immer wieder in verschiedenen Ausprägungen begegnet.
Interessant finde ich in diesem Beitrag die Entzauberung des Mythos von der
Gründung der Loris-Kapelle. Und die klingt so: „Die fehlenden Fachkenntnisse
und auch mangelnder Organisationsgeist zwangen Rastädter zum Rücktritt. Am 8.
August (1908, A.d.R) übernahm Peter Loris (1876 – 1952) die Führung der
Kapelle.“ Also war die Gründung eine Übernahme. Und der folgte vier Jahre
später ein spektakulärer Übertritt – vielleicht einmalig in der Musikgeschichte
(nicht nur Jahrmarkts). Mathias Loris
schildert diese Jahrmarkter Vorkriegsereignisse in Sachen Musik wie folgt:
„Gleichzeitig entfaltete die Jauch’sche Kapelle noch bis 1912 eine
selbstständige Tätigkeit. Ihr letzter Auftritt war am 2. Juni 1912 bei dem
Fahnenweih-Fest der Temeschgyarmathaer Gewerbekorporation. Der Abmarsch in die
Kirche in Begleitung der Feuerwehr fand mit der Jauch’schen Musikkapelle statt,
das Festbankett im Zeich’schen Gasthause bestritt die Loris-Kapelle. Jauchs
Musikanten gingen nach diesem Fest zur Loris-Kapelle über. Nach mehr als einem Jahrzehnt
gab es wieder nur eine Kapelle in Jahrmarkt.“ Ziel erreicht, kann man da nur
sagen. Und die Mittel heiligten natürlich auch schon damals den Zweck. Mathias Loris gebührt für diese
Entmythologisierung der eigenen Familiengeschichte – der Begriff Loris-Dynastie wurde in den Jahren des
Jahrmarkter Musikantenkriegs auch schon mal in die Argumentationsschlacht
geschmissen – uneingeschränkte Anerkennung. Er hätte es neben der Musik und
Kommunalpolitik (in Osthofen) bestimmt auch in der Geschichtsforschung weit
gebracht. Dort ist die nötige (emotionale) Distanz zum Forschungsobjekt nämlich
höchstes Gebot.
Sieben Referate enthält diese Broschüre. Der älteste
Referent (alle Autoren werden im Anhang vorgestellt) war im Erscheinungsjahr
2013 immerhin schon 85 Jahre alt, während der jüngste auch schon 60 Jahre in
seine Biographie einbringen konnte. Das Durchschnittsalter der Autoren dieser
Broschüre betrug vor zwei Jahren also 69,4 Jahre und ist ein Beweis dafür, dass
auch Schwanengesänge informativ, unterhaltsam und aufschlussreich klingen
können.
Anton Potche
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