Montag, 10. August 2015

Schwanengesänge einer Minderheitenkultur aus dem Südosten Europas

Walter Engel u. Walter Tonţa (Hg.): Deutsches Kulturleben im Banat am Vorabend des Ersten Weltkrieges – Der Beitrag von kleineren Städten und Großgemeinden – Beiträge der 48. Kulturtagung in Sindelfingen – 17./18. November 2012; Landsmannschaft der Banater Schwaben – Landesverband Baden-Württemberg; Stuttgart, 2013; ISBN 978-3-00-043816-5; 138 Seiten, 12.- Euro (einschließlich Versand); Bestelladresse: Landesverband Baden-Württemberg der Landsmannschaft der Banater Schwaben, Schlossstraße 92, 70176 Stuttgart, Tel.: 0711/625127.

Dass sich das Ende der Banater Schwaben langsam, aber sicher nähert, ist nicht neu. Das Verschwinden (auch) dieser Volksgruppe macht sich auf vielen Ebenen bemerkbar. Eine von ihnen ist die Kultur. Ihr mangelt es sichtlich an frischem Blut und sie leidet an einer spürbaren Themenerosion. Es wurde eigentlich schon alles gesagt, nur eben noch nicht von jedem. An diesem Zustand sind weder die Kulturschaffenden noch die -konsumenten schuld. Erstere haben das Problem, dass in knapp 300 Jahren Siedlungsgeschichte die kulturellen Leistungen und geschichtlichen Ereignisse, trotz zweier Weltkriege und ebenso vielen Deportationen, nicht unerschöpflich sind und keinesfalls als Identitätsbasis Bestand haben, und Letztere können sich vor dem Aussterben nicht drücken. Daher darf man es auch als einen Kulturakt erster Güte ansehen, wenn dieses sachte Gleiten aus dem Kulturalltag in die Kulturgeschichte dokumentarisch festgehalten wird.

Bücher und Broschüren zu Kulturtagungen sind seit jeher die besten Konservierungsprodukte für untergehende Kulturen. Man hofft natürlich, dass sie in ferner Zukunft als Zeugen einer einst existierenden Volksgruppe wahrgenommen werden. Der Landesverband Baden-Württemberg der Landsmannschaft der Banater Schwaben pflegt eine solche Kulturtagungstradition seit 48 Jahren. Die Tagung 2012 fand wie üblich im Haus der Donauschwaben in Sindelfingen statt und findet in einer Broschüre ihre wohlverdiente Resonanzchance für die Zukunft.

Thematisch haben die Veranstalter der Geschichte ein wenig vorgegriffen, publizistisch liegen sie aber mit dieser Veröffentlichung im richtigen Zeitrahmen. Es kann zumindest für den einen oder anderen Banater Schwaben interessant sein, sich mal ein Bild seiner Abstammungsheimat vor dem ersten Weltbrand zu machen. Es ging bei dieser Tagung um das Deutsche[s] Kulturleben im Banat am Vorabend des ersten Weltkrieges im Allgemeinen, aber insbesondere um den Beitrag von kleineren Städten und Großgemeinden. Die dazu veröffentlichte Broschüre enthält die vorgetragenen Referate, einschließlich eines Vorwortes der Herausgeber – geleitet wurde die Tagung von Dr. Walter Engel -, einer Eröffnungsrede (Josef Prunkl, Vorsitzender des Landesverbandes Baden-Württemberg der Landsmannschaft der Banater Schwaben) sowie zweier Grußworte (Dr. Sibylle Müller, Referatsleiterin im Innenministerium Baden-Württemberg, und Henriette Mojem, Geschäftsführerin des Hauses der Donauschwaben) und als Nachwort einen in der BANATER POST vom 5. Januar 2013 veröffentlichten Tagungsbericht, gezeichnet Walter Tonţa.

Im ersten Referat sprach bzw. schreibt Günter Schödl über Die Banater Schwaben um 1900. Sie standen damals Zwischen ungarischem Staat und deutschem Volk. Der Professor für Osteuropäische und Neuere Geschichte analysiert das politische und auch völkische Selbstbewusstsein der Deutschen im südosteuropäischen Raum und legt den Finger in die Wunde: „Anders als besonders die serbische Minderheit [...] hatte die über fast die ganze ungarische Reichshälfte verstreute deutsche Bevölkerung noch nie Zusammengehörigkeitsbewusstsein, sei es kulturell, politisch oder national motiviert, oder gemeinsames politisches Auftreten gezeigt“. Günter Schödl vermittelt weitgehend die Sicht der Wissenschaft, wenn er mehr über Bewertungen und etwaige Umbewertungen vorhandener Kenntnisse zu diesem Themenkomplex als über die konkrete Situation in bestimmten Ortschaften referiert. Sein Referat klingt auch dementsprechend theoretisch. Und die vielen Fachbegriffe tragen nicht gerade zu einem leichten Lesefluss bei.

Der Name Josef Wolf dürfte allen BANATER-POST-Abonnenten, die mehr als die Geburtstags-, Heirats- und Sterbespalten lesen, bekannt sein. Eine historisch-demographische Zustandsbeschreibung der Bevölkerung des Banats vor dem Ersten Weltkrieg nimmt der Historiker vor. In der Geschichtsschreibung sind Fakten ohne Zahlen nicht belegbar. Daran mangelt es in dieser Abhandlung auch wahrlich nicht. Wolf lässt kaum einen Aspekt des Lebens der Deutschen im Banat vor dem 1. Weltkrieg unerwähnt. Er analysiert die Entwicklung und ethnische Struktur der Bevölkerung, kümmert sich um die Demographische[n], kulturelle[n], und sozio-ökonomische[n] Merkmale der Bevölkerungsstruktur, berücksichtigt die Innenkolonisation im beginnenden nationalstaatlichen Zeitalter – hier geht es nicht nur um Deutsche, sondern auch um „aus der südlichen Bukowina kommende Szekler (ungar. Székeyek, rum. secui) und Tschangos (ungar. csángó, rum. ceangăi) -, schreibt über die Industrialisierung, Verstädterung und Migration sowie über die Auswanderungen – damals nach Übersee. Josef Wolf wartet zusätzlich mit fünf aussagekräftigen Tabellen auf. Wer mal ein Quiz zum Thema Banat abhalten will, findet zum Beispiel in diesem Referattext auch Antworten auf Fragen, wie viele Analphabeten Temeswar im Jahre 1910 bei einer Einwohnerzahl von 72.555 Personen wohl hatte.

Heinrich Lay ist wahrscheinlich nicht nur für Menschen aus dem Dorf Sanktandres und der Kleinstadt Lugosch ein Begriff. Der pensionierte Gymnasiallehrer mit Geschichtsstudium in Klausenburg schreibt über den Gymnasialunterricht in Lugosch im 19. Jahrhundert. Die Geschichte hat ihre Dunkelkammern mit gut gehüteten Geheimnissen. Auch die Lugoscher Schulgeschichte. Ein eingefleischter Heimatforscher wie Heinrich Lay stellt da natürlich seine Vermutungen an: „Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Minoriten gleich nach ihrer Niederlassung in Lugosch sich mit dem Unterricht und der Erziehung der Jugend beschäftigt haben.“

Das Heidestädtchen Hatzfeld hat viele Kulturschaffende aus den Reihen der deutschen Bewohner hervorgebracht. Hans Vastag ist einer von ihnen. Er schreibt in dieser Broschüre über Das Hatzfelder Kulturleben Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts – Schule, Presse, Vereine, geht dabei ganz schön ins Detail und lässt uns Spätgeborene spüren, wie sich die Zeiten geändert haben. Zum Besseren oder ...? Das darf jeder Leser für sich selber entscheiden, wenn er Auszüge Aus den Satzungen des Jesuleum-Institutes 1913 – 1914 liest: „Sie [die Zöglinge, A.d.R.] sollen sich gegenseitig achten, zu vertraute Freundschaften meiden, sich mit gütiger Liebe, Zuvorkommenheit und Sanftmut begegnen. [...] Ohne Genehmigung der Vorgesetzten ist das Lesen irgendwelcher Bücher verboten. [...] Geheime Treffen, Briefwechsel und Tratschereien mit auswärtigen Schülerinnen sind verboten.“ Und so weiter und so fort. Uff, wär’ nichts für mich.

Mit Franz Heinz kommt ein Literat zu Wort. Und was er über seinen Landsmann Karl Grünn schreibt, verdient nur ein Attribut: köstlich. Über dieses Dichterleben in der Großgemeinde Perjamosch weiß Heinz zu berichten: „Als Kaplan in Deutsch Czernya begegnete er der um fünf Jahre jüngeren Fleischertochter Katharina Maria Weber, die ihn als treue und liebende Gefährtin – als ‚meine Frau‘, wie er sie selbst dem Bischof gegenüber vorstellte – durchs Leben begleiten sollte.“ Hut ab! Ein wahrer Priester. Davon bräuchte man in heutiger Zeit mehrere. Und dazu noch ein Dichter. Glaube, Liebe, Dichtkunst. Aber vor allem Mut. Mut zum Anderssein. Da könnten sogar Atheisten weich werden.

Der Publizist, Herausgeber und Landsmannschaftsfunktionär Luzian Geier ist ein ausgewiesener Kenner des deutschen Pressewesens im Banat. Er schreibt in der vorliegenden Broschüre über Deutsche Kalender in Banater Marktflecken bis zum Ersten Weltkrieg. Im Untertitel stellt er dazu die rhetorische Frage: Fußnoten der Literatur- und Heimatforschung? Dem wäre vielleicht nicht so, wenn intensiver geforscht würde. Der Autor weist zwar auf einige (auch eigene) Bemühungen in dieser Richtung hin, findet aber, dass es angebracht wäre „ein Forschungsprojekt nach Standorten mit Banater Periodika zu starten“. Wunschdenken ist auch in der Welt der Wissenschaft – oder vielleicht gerade dort – keine Unbekannte. Ja, wenn nur nicht diese erbarmungslose Irreversibilität der Zeit unser Sein beeinträchtigen würde – im Positiven wie auch im Negativen. Man wünschte sich mehrere Forschungsbesessene wie Geier; nur eben auch in den folgenden Generationen.

Und dann sind wir schon beim letzten Beitrag: Blasmusik in der Gemeinde Jahrmarkt – Ein Beispiel des Musiklebens in den Banater Dörfern vor dem Ersten Weltkrieg. Der Musiklehrer, Trompeter, Dirigent und Komponist Mathias Loris widmet sich der weltlichen Musik in seinem Geburtsort Jahrmarkt. Der reich illustrierte Essay bringt sogar für Kenner der Jahrmarkter Musikszene noch interessante Erkenntnisse. Dass „Missgunst, Rivalität und Geldstreit“ eine „Jahrmarkter Besonderheit“ waren, will ich jetzt mal als persönliche Wahrnehmung des Autors unkommentiert stehen lassen. Mir sind diese Eigenschaften in meiner 40-jährigen Musiktätigkeit in mehreren Kapellen – die meisten in Bayern – immer wieder in verschiedenen Ausprägungen begegnet. Interessant finde ich in diesem Beitrag die Entzauberung des Mythos von der Gründung der Loris-Kapelle. Und die klingt so: „Die fehlenden Fachkenntnisse und auch mangelnder Organisationsgeist zwangen Rastädter zum Rücktritt. Am 8. August (1908, A.d.R) übernahm Peter Loris (1876 – 1952) die Führung der Kapelle.“ Also war die Gründung eine Übernahme. Und der folgte vier Jahre später ein spektakulärer Übertritt – vielleicht einmalig in der Musikgeschichte (nicht nur Jahrmarkts). Mathias Loris schildert diese Jahrmarkter Vorkriegsereignisse in Sachen Musik wie folgt: „Gleichzeitig entfaltete die Jauch’sche Kapelle noch bis 1912 eine selbstständige Tätigkeit. Ihr letzter Auftritt war am 2. Juni 1912 bei dem Fahnenweih-Fest der Temeschgyarmathaer Gewerbekorporation. Der Abmarsch in die Kirche in Begleitung der Feuerwehr fand mit der Jauch’schen Musikkapelle statt, das Festbankett im Zeich’schen Gasthause bestritt die Loris-Kapelle. Jauchs Musikanten gingen nach diesem Fest zur Loris-Kapelle über. Nach mehr als einem Jahrzehnt gab es wieder nur eine Kapelle in Jahrmarkt.“ Ziel erreicht, kann man da nur sagen. Und die Mittel heiligten natürlich auch schon damals den Zweck. Mathias Loris gebührt für diese Entmythologisierung der eigenen Familiengeschichte – der Begriff Loris-Dynastie wurde in den Jahren des Jahrmarkter Musikantenkriegs auch schon mal in die Argumentationsschlacht geschmissen – uneingeschränkte Anerkennung. Er hätte es neben der Musik und Kommunalpolitik (in Osthofen) bestimmt auch in der Geschichtsforschung weit gebracht. Dort ist die nötige (emotionale) Distanz zum Forschungsobjekt nämlich höchstes Gebot.

Sieben Referate enthält diese Broschüre. Der älteste Referent (alle Autoren werden im Anhang vorgestellt) war im Erscheinungsjahr 2013 immerhin schon 85 Jahre alt, während der jüngste auch schon 60 Jahre in seine Biographie einbringen konnte. Das Durchschnittsalter der Autoren dieser Broschüre betrug vor zwei Jahren also 69,4 Jahre und ist ein Beweis dafür, dass auch Schwanengesänge informativ, unterhaltsam und aufschlussreich klingen können.

Anton Potche

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