„Kennen Sie jemand, der ohne Bestechung ausgereist ist?“
Diese eher rhetorische und mit Sicherheit bewusst provozierende Frage stand
kürzlich als Überschrift eines Artikels in der BANATER POST, München, 20. Mai
2018. Also lasse ich mich ebenso bewusst provozieren und antworte
wahrheitsgetreu mit „Ja“. Und das Unglaubliche passierte so.
Wie ich es geschafft habe, ins gelobte Land zu kommen, habe
ich in meinem Buch Kurzprosa aus der
Hecke und dem Spind in einem Autobiographischen
Rückblick mit dem Titel Das Geschäft
erzählt. Mit mir waren meine Frau und der vierjährige Sohn ganz „legal“, also
mit dem unvermeidlichen Schmiergeld, ausgewandert. Meine Eltern saßen auch auf
gepackten Koffern und meine Schwester lebte schon länger mit ihrer Familie in
Deutschland. In Jahrmarkt waren sechs erwachsene Menschen zurückgeblieben, und
zwar die Eltern, der Bruder, zwei Großmütter und ein Großvater meiner Frau. … Das
machte summa summarum, Stand 1985, nach Adam Riese sechs mal acht ist achtundvierzigtausend
(48.000) DM. Für ein Deutschlandgreenhorn, der erst mit 16.000 DM Schulden in
Nürnberg angekommen war, eine sportliche Herausforderung, könnte man sagen.
Trotz aller gemachten Erfahrungen und zirkulierenden
Gemeinplätze der Marke „Ohne Geld fährt niemand!“ wollte ich nicht glauben,
dass es nicht auch ohne Geld geht. Aber wie, ohne sich den Kugeln der
Grenzposten auszusetzen oder Gefahr zu laufen, in der unberechenbaren Donau zu
ertrinken.
Geldgerüchte kursierten zuhauf. Auch über Zahlungsmöglichkeiten
in Deutschland. In München solle ein Anwalt sitzen, der auch für gutes Geld
einiges bewirken könne, hieß es. Aber wie an den guten Mann herankommen, um
zumindest mal seine Preisvorstellung zu erfahren? Unten, also im Banat und
natürlich auch in Jahrmarkt, war das Zahlen längst ein offenes Geheimnis. Das
Problem war nur, an die Geldnehmer ranzukommen. Und ich bemerkte nach unserer
Ausreise auch ziemlich bald, dass die Landsleute auch hier untereinander –
sofern sie sich vertrauen konnten – recht offen über die Verkaufsmethoden
sprachen. In diesem Geiste erzählte uns eines Sonntagnachmittags eine Jahrmarkter
Landsmännin, dass ihre Verwandten „durch diesen geheimnisvollen Münchner Anwalt
ausgewandert wären“, bei dem sie, meine Landsmännin, vorstellig geworden wären.
Ich roch sofort Lunte und hackte nach. Dabei war mir gar nicht der Preis das
Wichtigste, denn Geld hatte ich ja sowieso keins, sondern die Modalität, vor
allem, was der gute Mann gemacht hat.
Und siehe da: Das roch gar nicht so stark nach Illegalität.
(Nach meinem Gespür natürlich, denn ich hatte von deutscher Rechtsauffassung
überhaupt keine Ahnung.) Der Anwalt hätte viele Briefe an verschiedene
politische Persönlichkeiten in den USA und auch an internationale
Organisationen geschrieben, darin die Situation der Ausreisewilligen aus
Rumänien geschildert und um Unterstützung gebeten. Das diese Unterstützung nur
als Intervention bei der rumänischen Regierung gedacht sein konnte, war mir
völlig klar.
Und dann kam der Augenblick in unserem Gespräch, den ich
noch heute vor meinem geistigen Auge habe, als wäre es gestern gewesen. Auf
meine lapidare Bemerkung, es wäre bestimmt interessant gewesen, zu sehen, wie
der Anwalt seine Schreiben aufgesetzt hatte, erzählte die Bekannte uns, meiner
Frau und mir, die Briefe wären logischerweise so verfasst gewesen, als hätte
sie sie als Bittgesuch geschrieben und waren natürlich auch von ihr
unterschrieben. Sie hätte die Briefe zum Unterschreiben sogar zu Hause gehabt
und dabei Kopien davon angefertigt.
Mir lief es heiß und kalt zugleich den Rücken herunter. Ich
hatte sofort eine Idee und scheute mich nicht zu fragen, ob ich diese
Schriftstücke zur Einsicht haben könnte. Und siehe da, als gute Landsmännin und
ehemalige Nachbarin gab sie uns nach ein paar Tagen das ganze Packet – es war
wirklich ein Packet und kein Päckchen.
Es beinhaltete Briefe an die amerikanischen Politiker Barry Goldwater jun., George E. Brown jr., Clair W. Burgener, Sala Burton, Phillip Burton,
Alfonse M. D’amato, Benjamin A. Gilman, John Glenn, William L. Armstrong, Robert
Dole, Fred J. Eckert, Bill Frenzel, Mack Francis Mattingly, James
R. Jones, Slade Gorton, Bill Archer, Rudy Boschwitz und Alan J.
Dixon – alle diese Damen und Herren waren damals, 1985, Mitglieder des
Kongresses oder des Senats -, aber auch Schreiben an verschiedene
internationale Organisationen. Der Hacken an der Geschichte war bloß, dass
diese Briefe – ziemlich umfangreich, fast zwei DIN-A4-Seiten – alle in
englischer oder französischer Sprache verfasst waren … und ich die eine Sprache
so gut beherrschte wie die andere, also gar nicht.
Aber auch diese Hürde sollte sich als überwindbar
herausstellen, denn in München studierte damals mein Freund Ignatz Maschinenbau und seine Frau Renate Englisch und Medizin. Die haben
sich auch sofort bereit erklärt, alle diese Briefe in den jeweiligen Sprachen
an unsere Familiensituation anzupassen. Da staunte dann nach einiger Zeit ein
Postbeamte in Ingolstadt nicht schlecht, als plötzlich ein Kunde vor ihm stand
und so viele Briefe mit Einschreiben und Rückschein an Kongressmänner und
Senatoren in den USA schickte. Einige dieser Briefsendungen, alle DIN A4, kamen
ungeöffnet zurück, andere blieben unbeantwortet und einige wurden beantwortet,
immer höflich und mit der Zusage, im Rahmen der Möglichkeiten an entsprechender
Stelle zu intervenieren.
Ich gab mich mit dieser Aktion aber keineswegs zufrieden und
schrieb weiter … diesmal auf Deutsch. Und zwar an Bundespräsident Richard von Weizsäcker, Dr. Hans Stercken (MdB), Dr. Walter Althammer, MdB,
Stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU
Bundestagsfraktion und Vorsitzender der deutsch-rumänischen
Parlamentariergruppe sowie an Dr. Franz
Josef Strauß, Bayerischer Ministerpräsident. Als mir auch das nicht
ausreichend schien, schrieb ich weiter … auf Rumänisch. Und zwar an Nicolae Ceaușescu und an Elena Ceaușescu. Was in diesen Briefen stand, empfinde ich heute
noch als die Spitze perverser Personenhuldigung. (Aber nicht mit Bedauern!) Nicht
ganz so eckelhaft schleimig war mir ein Brief ans Passamt in Temeswar geraten.
(Ich muss mich ja dafür nicht schämen, fungierte doch immer meine Frau als
Verfasserin und Absenderin.)
Tja, und dann war
da noch diese Geschichte mit dem deutschen Außenminister Hans-Dietrich Genscher und dem Musikblatt aus einem Notenheft der
Schierlinger Bierzeltkapelle des Joe
Watzke. Daraus ist dann die Erzählung E Musikblat-Brief forr de Außenminister entstanden. In der Realität hat sich nach diesem Ereignis ein reger
Schriftverkehr zwischen uns und dem Auswärtigen Amt, dem Deutschen Roten Kreuz
und der Deutschen Botschaft in Bukarest entwickelt.
Am 20. Dezember
1987 sind dann die Eltern meiner Frau, ihr Bruder und ihre zwei Großmütter –
der Großvater hat es nicht mehr geschafft, er ist im August jenes Jahres
verstorben – als „illegale Aussiedler“, also ohne Schmiergeld gezahlt zu haben,
in Nürnberg angekommen. Was ich allerdings bis heute nicht weiß, ist, wessen
Intervention bei den rumänischen Behörden die ausschlaggebende war. Was bleibt,
ist auf jeden Fall die Erkenntnis, dass es auch ohne Schmiergeldzahlung beim
Bogdan, Blumenmann & Co. möglich war auszuwandern.
Anton Potche
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