Montag, 6. September 2021

Blas- & Zigeunermusik

In der Zeitung der Landsmannschaft der Banater Schwaben, der BANATER POST Nr. 16, vom 20. August 2021, konnte man in der Besprechung eines Platzkonzertes der Donauschwäbischen Blaskapelle Pforzheim lesen, dass auch „Melodien vom Klarinettisten Herwig Lehmann (Ella-Polka, Sophie-Polka) erklangen“. Und weiter heißt es: „Zudem hat Herwig Lehmann viele alte Titel bearbeitet, darunter das klassische Solostück für ES-Klarinette Zpěv skřivana (Gesang der Lerche), welches er für die B-Klarinette ungeschrieben hat und von ihm meisterhaft vorgetragen wurde. […] Speziell die Gesangstitel von Herwig Lehmann und Rudi Migra luden die Zuhörer zum Mitsingen und Schunkeln ein.“

Blickt man zurück in die Geschichte der Banater Schwaben, so kann einem kaum entgehen, dass die Blasmusik ein wesentlicher Wohlfühl- und Leidfaktor ihrer Existenz im südöstlichen Europa war. Es gab etliche Dörfer im Banat, die laut ihrer Ortsmonographien das Prädikat „Musikantendorf“ für sich beanspruchen konnten. Deutschbentschek (rum.: Bencecu de Sus) war eines jener Dörfer mit verhältnismäßig vielen überdurchschnittlich guten Musikanten. Herwig Lehmann ist einer jener talentierten Musiker, die mit ihrem Können der Banater Bläserschule zu Ruhm und Ehre verhalfen. Die Auswanderer-Erlebnisgeneration hat ihr im Banat erworbenes Können auch großteils noch hier in Deutschland auf höchstem musikalischem Niveau gepflegt und weiterentwickelt. Der aus Deutschbentschek stammende Trompeter & Flügelhornist Franz Tröster hat es so bis zu den legendären Original Egerländer Musikanten geschafft.
Ioan Izdrăilă
FotoQuelle: redesteptarea.ro

Neben dieser banatschwäbischen Bläsertradition hat sich noch eine zweite Bläserschule im Banat entwickelt. Und auch die kann sich auf mindestens ein Musikantendorf berufen. Măguri unweit von Lugosch (rum.: Lugoj). Seine Musikanten, vorwiegend Bläser, sind weit über die Grenzen des Banats hinaus bekannt. Einer von ihnen ist Ioan Izdrăilă, ein begnadeter Saxofonist.

Im Mai 2018 ist auf der Homepage der Roma aus Rumänien ein Artikel mit folgendem Titel erschienen: Măguri, satul muzicanților rromi, fenomen cultural unic în țară (Măguri, das Dorf der Romamusikanten, einmaliges Kulturphänomen im Land). Gleich zu Beginn des Artikels heißt es, dass „die Menschen von hier die wahren Traditionen der Roma mit Stolz pflegen, die Lieder und die originellen Zigeunertrachten“. (Nur für die Political-Correctness-Fans: Das Wort Zigeuner kommt wirklich vor – porturi țigănești autentice.)

Und weiter wird Ioan Izdrăilă, dem eigentlich ein Großteil dieser kurzen Musikgeschichte gewidmet ist, wie folgt zitiert. „Ich bin in Măguri geboren. […] Ein Teil der Einwohner kam hierher aus der Ortschaft Cireșu Vechi oder Pereu. Die wirkliche Zigeunermusik haben wir von Generation zu Generation vererbt, bis in unsere Tage. Nachdem sie sich in Măguri niedergelassen hatten, wurden die Musikanten von hier in allen Dörfern um Lugosch und bis Temeswar bekannt.“ Und dann kommt die Aussage, die Izdrăilă von vielen seiner Vorgänger und auch Zeitgenossen unterscheidet: „Ich habe das Erscheinen dieser Bücher für wichtig gehalten, weil die neue Generation ihr Musikhandwerk durch theoretische Kenntnisse festigen sollte, um sich in diesem Beruf kreativ weiterzuentwickeln.“ Der Musikant aus Măguri spricht hier von seinen zwei eigenen Musikbüchern, die er besonders für lernwillige Kinder und Jugendliche geschrieben hat.


Herwig Lehmann
Screenshot von:
https://www.youtube.com
Es fällt mir nicht besonders schwer, mir vorzustellen, was in  diesen Büchern vermittelt wird: Musik, die aus der oft  verwundeten Seele eines Volksstammes kommt.
Dabei hilft mir meine Erinnerung. Wir hatten uns längst warmgeblasen - im Übungsraum der Divisionskapelle (fanfara diviziei). Nur Major Săndulescu ließ noch auf sich warten ... Zeit für eine Doina … Ioan spielte … Und Herwig fiel mit der „Bentschecker Terz“ ein … Das Schicksal seines Volksstammes war nicht weniger schmerzhaft als das Ioans ... Es-Saxofonklänge von einem anderen Stern … Dann hängte sich Gaudi (viele Zigeunermusikanten wurden nur bei ihrem – oft berühmten - Spitznahmen genannt) das Akkordeon um … Und es tat sich ein musikalisches Universum auf, das nur schwer in Worte zu fassen ist. ("Was greifst du da", sagte der Major öfter mal zu Gaudi, "das kann ja kein Mensch schreiben.")


Vielleicht hat Ioan Izdrăilă sich auch an die stets gut und voller Anerkennung gemeinten Worte des Majors erinnert, als er sich an die Arbeit seiner Bücher mit dem Schwerpunkt Musik machte. Denn wir vergessen - manchmal mit schmerzhafter Bewusstheit. Aber was Zeichen auf dem Notensystem festhalten, kann auch nach Jahrhunderten in Klänge umgewandelt werden. Das wollte Ioan Izdrăilă sagen, als er von „Musikhandwerk” und „theoretischen Kenntnissen” sprach, was eigentlich sein ehemaliger Militärkollege Herwig Lehmann aus der Großwardeiner (Oradea) Militärkapelle heute mit viel Talent und Können im fernen Deutschland umsetzt.
Anton Potche

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