Ingmar Brantsch: Ich war kein
Dissident – Autobiographie; POP Verlag, Ludwigsburg, 2009; 254
Seiten, [D] 13,80 €, [AT] 17,-- €, [CH] 22,-- Sfr.
Wer ist dieser Ingmar Brantsch?
Laut Kurzvita am Buchanfang wurde er „am 30. Oktober 1940 in
Kronstadt / Brașov in
Siebenbürgen geboren. Und er war
kein Dissident, wie wir schon aus dem Titel seiner Autobiographie,
die eigentlich nur eine halbe ist, erfahren. Sie enthält nur die
ersten 30 Jahre seines Lebens, die bis zu seiner Ausreise nach
Deutschland. Seine deutschen Jahre mussten
ohne niedergeschriebenes autobiographisches Reflektieren oder
Erzählungen aus dem Erfahrungsschatz des bundesdeutschen Alltags
auskommen, weil er am 31. Oktober 2013 als „oft unbequemer, aber
immer menschenfreundlicher […], belesener Literat, als Dichter, als
Streitpartner, als Mensch“, wie Konrad Wellmann es in der
HERMANNSTÄDTER ZEITUNG am 29. November 2013 formulierte, leider
verstorben ist.
Die vorliegende Autobiographie macht
auf jeden Fall Lust auf Mehr, was jetzt leider nicht mehr möglich
ist. Das hat vor allem auch mit dem Ton und dem Stil des Autors zu
tun. Der Ton ist spitzbübisch, nicht durchgehend, aber oft sogar in
Situationen, die eher eine missmutige Formulierung erwarten ließen.
Ingmar Brantsch hat mit leichter Feder geschrieben.
Sein Humor ist fein, oft tiefgründig und nie derb. Gut, als der sich
erinnernde Autor seine bewusst erlebte „Kindheit im Karpatenbogen“
Revue passieren ließ, kamen Bilder in ihm auf, die noch aus der
späten Kriegs- und frühen Nachkriegszeit stammten: „Auf dem
Pfarrhof – mein Onkel war der Gemeindepfarrer – spielten wir
überall herum. So kamen wir auch zu dem Platz, wo man die Nachttöpfe
ausleerte. Urdemokratisch grenzten wir auch diesen Platz nicht aus,
was eine Typhuserkrankung für mich zur Folge hatte.“ Immerhin
überlebt, wie wir heute wissen.
Dass es immer wieder solche Vorfälle
im Leben des Autobiographen Ingmar Brantsch gab und wie er mit
diesen oft chaotischen Situationen fertig wurde, ist ein guter Grund,
zu diesem Buch zu greifen. Man gewinnt Eindrücke vom sozialen und
vor allem vom multiethnischen Leben der Menschen in Siebenbürgen.
Ingmar Brantsch besuchte ein rumänisches Gymnasium und konnte
als siebenbürgisch sächsischer Exot so manche Erfahrung fürs
spätere Leben sammeln. Etwa so: „Als die Reihe an mich gekommen
war, betonte ich das Wort „balegă” - Mist
– statt auf der ersten Silbe auf der zweiten, und die dörfliche
Milieuschilderung endete in einem unerwarteten Heiterkeitsausbruch
der Klasse.“ (Szene aus der siebenten Klasse.)
Man spürt in dem lockeren
Erzählstil des Autors, ohne ermüdende Beschreibungen, dass er als
Jugendlicher Sympathien für die rumänische Kultur im Allgemeinen
und für die Literatur im Besonderen entwickelte. Obwohl er viele
Persönlichkeiten des damaligen Kulturlebens nur namentlich streift,
spürt man, dass dieses multikulturelle Klima ihm gefiel. Die Folgen
waren nicht überraschend: das Studium der Germanistik in Bukarest.
Und für heutige Leser hält Brantsch fest: „Im Fach
Deutsch, im Germanistikstudium, gab es in Rumänien eine weltweit
einmalige erfreuliche Sondersituation. Nirgendwo sonst im Ostblock –
aber auch im Westblock nicht – wurde nach dem Zweiten Weltkrieg
einer deutschen Minderheit von 400.000 Menschen ein Recht auf eine
eigene Ausbildung mit Deutsch als muttersprachlichem Unterrichtsfach
für die selbständigen Schulen gewährt.“
Köstlich dieses Kapitel Meine
Universitäten Ost mit Untertiteln, die nach seelischer
Entblößung klingen: Meine im wahrsten Sinne öffentliche
männliche Entjungferung, siebzehnjährig im ersten Studienjahr. Wir
sind im Jahre 1957 und lernen die rumänische Hauptstadt mit einem
Schwerpunkt auf dem universitären Leben kennen. Hier bekommt das
Buch eine zeitgeschichtliche Wertigkeit. In den Vordergrund rückt
eine deutsche Literaturszene in Bukarest. Ja, die hat es gegeben. Und
wir begegnen Namen, von denen Jahrzehnte später einige im
bundesdeutschen Literaturbetrieb wieder auftauchen sollten. Ingmar
Brantsch hat viele von
ihnen - auch aus der schreibenden Zunft in Kronstadt – gekannt, war
mit ihnen befreundet oder auch nicht: Dieter
Schlesak, Oskar
Pastior, Eduard
Eisenburger, Hans
Schuller, Richard
Adleff, Franz
Johannes Bulhardt, Paul
Schuster, Alfred
Margul Sperber u. a. Es
geht auch nicht ohne die Aktionsgruppe Banat.
Deren Mitglieder konnte er aber persönlich gar nicht kennengelernt
haben, wo sie doch einer ganz
anderen Generation angehörten und weder in Bukarest noch in
Kronstadt aktiv waren, sondern in Temeswar, und das zu einer Zeit,
als er schon längst in der Bundesrepublik lebte. Wie
auch immer, diese „Aktionsgrüppler“,
wie er sie despektierlich nannte, hatten es ihm angetan.
Er findet immer wieder eine Lücke für sie in seiner erinnerten Vita.
Die
Chronologie der Ereignisse findet Ingmar
Brantsch nach seinem
5-jährigen Studium als „mit 21
Jahren fertiger Studienprofessor“ noch eine Weile in Bukarest, wo
er eine Planstelle im Haus der Presse zugeteilt bekam, aber
„viel zu früh, viel zu
jung, viel zu unerfahren, und vor allem nicht stark genug“, wie er
seine Leser wissen lässt. Dieses Abenteuer sollte zwei Jahre lang
dauern.
Dann
kehrte er ans Andrei-Șaguna-Gymnasium,
seine „alte Penne“
in Kronstadt, zurück. Dazu lesen wir: „Mit 23 Jahren war ich als
Studienprofessor an meinem alten Gymnasium, ein neuer
Kollege meiner alten Lehrer und Gesprächsstoff im Kreise meiner
alten Schulkollegen.“ Und das in einer Zeit, als sich der Geist der
Achtundsechziger auch in Kronstadt bemerkbar machte. Ingmar
Brantsch spürte den
Hauch (Vollbart, lange Haare, Aufmüpfigkeit etc.) aus dem Westen,
der ihm einige Unannehmlichkeiten bescheren sollte.
Inzwischen
verstand Brantsch
sich auch als Literat. Und damit kamen neue Komplikationen. Plagiat,
Eitelkeit und andere einem normalen Literaturbetrieb eigene Merkmale
standen auf der Tagesordnung. Auch die KARPATENRUNDSCHAU mit ihren
damaligen Akteuren kommt beim Autobiographen Ingmar
Brantsch schlecht weg.
Mit
dieser Presse-Episode ist ein dreißigjähriges Leben eines
rumäniendeutschen Intellektuellen auf seiner heimatlichen Scholle,
die er mit literarischer Feder beackerte (manchmal auch im Duktus des
real existierenden Sozialismus) beendet. Es ging in Köln, wie
schon erwähnt, weiter.
Leider ohne Autobiographie.
Anton Potche
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