Harald Grill: Hinter drei
Sonnenaufgängen – Balkan-Streifzüge durch Rumänien und Bulgarien
bis Odessa; lichtung verlag GmbH, Viechtach, 2018; ISBN
978-3-941306-81-3; 463 Seiten, 22,00 EURO [D].
Harald Grill (*1951) ist ein
bayerischer Dichter, Romancier, Dramaturg (Theater, Hörspiel,
Radio-Futures, Hörbücher) und nicht zuletzt Reiseschriftsteller -
und noch dazu ein guter, denn er kann vor allem spannend schreiben,
was man zum Beispiel bei Reiseberichten ja nicht immer erlebt.
Harald Grill verheddert sich
nicht im Beschreiben. Er drängt vorwärts. Und trifft immer auf
Menschen. Nicht unbedingt zufällig, denn diese Reise über mehrere
Monate war minuziös vorbereitet – trotz aller Wegabschweifungen.
Diese Fahrt Richtung Südost findet
im Jahr 2015 statt, also zu einer Zeit, als Putin längst mit
seinen verbrecherischen Schandtaten begonnen hatte. Und das in einem
Auto, das „immerhin 200.000 Kilometer auf dem Buckel“ hat. In
fünf großen, fettgedruckten und unzähligen kursiv geschriebenen
Titeln hat Harald Grill das auf dieser Reise ins
Unbekannte Festgehaltene und danach Erinnerte skizziert und so dem
Erlebten vorweggenommen – aber nicht unbedingt zu dessen Nachteil.
Schon die Haupttitel (Etappen) geben aneinandergereiht eine Vorahnung
auf das vom Autor Erlebte: „Von der ungarischen Grenze durchs
rumänische Banat zur Donau“, „Mit der Fähre von Rumänien
nach Bulgarien, am Iskar entlang ins Balkan-Gebirge, auf Umwegen nach
Veliko Tarnovo und an der Jantra zurück zur Donau“, „Wieder
in Rumänien: Am Olt entlang durch die Kleine Walachei nach
Siebenbürgen und durch die Große Walachei zurück zur Donau“,
„Von Russe durch die Dobrudscha nach Odessa – eine
Hängepaertie“ und „Rückfahrt zur Donau, weiter entlang
der Küste des Schwarzen Meeres, an der türkischen, griechischen,
serbischen Grenze und durchs Struma-Tal zurück zur Donau und zum
Eisernen Tor“. Die Kapitelüberschriften kann man
in Farbe auf den Innenseiten der jeweils doppelten Buchdeckel auf
zwei Landkarten nachvollziehen. Rot die Hinfahrt und grün die
Rückfahrt.
Auf beiden Routen gibt es viel zu
sehen und besonders viele Erkenntnisse zu sammeln, die man dann auch
lange nach dieser Reise ins Unbekannte noch verarbeiten kann. Wie,
das zeigt uns Harald Grill in diesem Reportagenbuch. Auch lyrisch.
Immer wieder streut der Autor ein Gedicht ein, das seinen gesammelten
Impressionen entspringt. Ein Beispiel gefällig? „unser raster
// hier in unserer nähe wächst nichts / als fels und dorniges
gestrüpp / zwischen den standpunkten // nur aus größerer
entfernung / gewinnen wir gestalt voreinander / nehmen wir im gesicht
des anderen / sogar ein lächeln wahr“. Wo solche Gedichte
entstehen könnten? Der Dichter wird es wissen. Das Unterkapitel, in
dem es in diesem Buch platziert ist, trägt den Titel „Donau,
unnahbare Mutter“ und das
folgende „Durchs verrufene Oltenien“.
Harald
Grill spart in
seinem Reisebuch nicht mit Anekdoten, die ihm die Menschen erzählen,
sofern sie sich sprachlich verständigen können. Mit Eginald
Schlattner
funktioniert das natürlich vortrefflich. In Roșia
/ Rotberg, ca. 20 km
südöstlich von Hermannstadt, wundert der Bayer
Grill
sich über eine geteerte Dorfstraße, die zur Kirche führt. Und der
Siebenbürger Sachse Schlattner
weiß, warum die so ist: „Als
Otto Schily hier war, der damalige deutsche Innenminister, wollte er
eine Kirche sehen, die älter ist als Berlin. […] Über Nacht hat
die Gemeinde noch die Straße geteert bis hierher zu meiner Kirche.
Wir rollten also über den frisch gegossenen Asphalt. Mir vis-à-vis,
so wie Sie jetzt, saß der Otto Schily, daneben eine wunderschöne,
blonde, schlanke, gut riechende Staatssekretärin, Aufgabengebiet
Mitteleuropa, neben mir der rumänische Innenminister und auf dem
Bock, in rumänischer Tracht, ein verkleideter Obrist vom
Sicherheitsdienst mit dick ausgebeulter Jackentasche – da war
natürlich seine Pistole drin.“
Solche
Dialoge gibt es mehrere in diesem Buch. Beim dritten Versuch gelingt
es Harald Grill,
auch Mircea Dinescu
zu interviewen. Lockere, unterhaltsame Gespräche. Leider ist das
nicht immer so. Aber Grill
schafft es tatsächlich auch bis „Odessa – die schönste Stadt
der Welt“, so ein Untertitel. Hier wird die Stimmung bedrückt. Der
Krieg ist nahe. Und man hat bei manchen Geschichten, die Grill
von seinen Gesprächspartnern erfährt, das Gefühl, dass er, der
Krieg, schon immer in dieser Gegend irgendwie präsent war. So etwa
in der Erzählung über die „banduristi“, Musikanten,
die auf der Bandura, ein Saiteninstrument, vorwiegend kosakische
Lieder spielen. 1935 haben die Sowjets in Charkiv eine Veranstaltung
für „banduristi“ organisiert und alle Gekommenen hingerichtet.
Das erinnert doch an den walachischen Fürsten Vlad
Țepeș,
der Pfähler,
dem der Autor auch
einige Zeilen widmet.
Man
liest und liest und hat irgendwie das Gefühl, dass die Poesie den
Reiseschriftsteller auf seiner Südosteuropa-Reise nie loslässt. Sie
reist mit dem Dichter Harald
Grill. Ja, der Poet
auf Reisen gerät sogar kurz vor dem Schluss seiner
Reiseniederschrift - ich sagte schon – das ist mehr als ein
trockener Bericht – ins Schwärmen, wenn er schreibt: „Die
mitteleuropäische Kultur gründet mit ihren tiefsten Wurzeln in
Südosteuropa. […] In jüngerer Zeit verweisen nicht zuletzt
deutschsprachige Literaturnobelpreisträger wie Elias Canetti und
Herta Müller darauf, dass der Balkan ein hervorragender Wurzelgrund
für Poesie ist.“
Anton
Potche
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