Sie war still und immer zurückhaltend. Selten mischte sie
sich ein: die Leni-Oma. Ihr
wirklicher Mädchenname war Leontine.
Und ihr Familienname … Das ist nicht ganz sicher: Münch, Mönch oder München. Sie war als 13- oder 14-jähriges Mädchen in unser Dorf in der Banater Hecke gekommen, als die Jüngste von drei
Schwestern. Im Jahrmarkter Ortssippenbuch lebt sie fort als Leontina Magdalena Mänch, Tochter des August und der Justina Kerling, geboren in Tarutino / Bessarabien. Sie war aber
nicht vom Weg des großen Heim-ins-Reich-Trosses abgekommen und bei uns
gestrandet, sondern viel früher, in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts im
Dorf aufgetaucht. Doch selbst dieses Datum ist nicht einwandfrei im Gedächtnis
der Nachkommen verankert. War es 1923 oder ’24? Das muss etwas mit der verschwiegenen
Natur der Leni-Oma zu tun haben.
Die Münch-Schwestern - noch in ihrer bessarabischen Heimat |
Ihre Kindheit in Tarutino blieb ein nie gelüftetes
Geheimnis, wie auch ihre Familienverhältnisse. War es nur die Not, die sie und
eine der zwei älteren Schwestern, deren Spuren sich in Warjasch – oder
Bogarosch - verlieren, ins Banat verschlug? Die andere Schwester soll in
Bessarabien geblieben sein. Oder steckt gar eine Familientragödie dahinter?
Oder ein politischer Gewaltakt? Die Leni-Oma konnte oder wollte nie darüber
reden. Haben wir unsere Kinderjahre noch so klar vor uns, um detailgetreu davon
erzählen zu können?
Leni-Omas Enkelin
erinnert sich vage an eine Pferdezucht aus Omas Erzählungen. Detlef Brandes berichtet in seinem Buch
Von den Zaren adoptiert von einem
Duma-Abgeordneten Münch, der bereits
1826 die Griechen in Bessarabien harsch kritisierte: „Sie gehen stutzerhaft
gekleidet, saufen, arbeiten selbst nicht, sondern verpachten das Land an die Deutschen,
geben das Geld leichtsinnig aus, und bereits die Hälfte ihres Landes ist in die
Hände der Deutschen übergegangen.“ Damals war der Begriff Political Correctness
noch nicht erfunden. Aus dem Jahre 1877 ist überliefert, dass „der Oberschulz
Münch einen Schulgeldboykott initiierte“. Nur vier Jahre später „bat der
Generalgouverneur den Zemstvo-Abgeordneten und Liebentaler Oberschulzen Johann
Münch um ein Gutachten über den Einfluss der Juden auf die örtliche
Bevölkerung. Münch schilderte deren Verhalten ‚in äußerst grellen Farben‘ und
kam zu dem Urteil: Einen Nutzen gibt es von den Juden nicht, weshalb die
Beschränkung ihrer Rechte und vollständige Aussiedlung in einige bestimmte
Gouvernements erwünscht wäre.“ Da läuft es einem kalt den Buckel runter. Es
hilft aber nichts. Die familiengeschichtlichen Fragen erscheinen berechtigt.
Denn dass es sich um eine weitverzweigte und nicht gerade mittellose Sippe
handeln könnte, beweist auch die Tatsache, dass „sich unter den am 26. März
1906 in die 1. Duma gewählten Oktobristen der langjährige bessarabische
Zemstvo-Abgeordnete Andreas Widmer und der Großliebentaler Oberschulz Johann
Münch befanden.“ War dieser Johann Münch vielleicht sogar Leni-Omas Großvater? Oder der Onkel, bei dem sie nach dem frühen
Tod der Eltern untergekommen war? Dieser Aspekt ist immerhin im
Familiengedächtnis erhalten geblieben. Verlor die Familie vielleicht ihren
Besitz, nachdem Bessarabien zu Rumänien gefallen war und 1920 die
Großgrundbesitzer mit mehr als 100 ha Land enteignet wurden?
Auf einer im Familienarchiv erhaltenen Declaraţie vamală pentru persoane care îşi stabilesc
domiciliul în altă ţară fand ich nicht nur die 396 Artikel
aufgelistet, die in einer Banater Aussiedlerkiste im Jahre 1987 die Reise in
die Bundesrepublik Deutschland antraten, sondern auf den Rückseiten von drei
Blättern (von insgesamt 8) auch folgenden handgeschriebenen Eintrag: „Leontina
München, geb. am 21.02.1910, Cetatea Albă, Russland; Vater: August München, geb. am 24.03.1885 – gest. am 04.02.1918; Mutter: Justina München,
geb. Gerling, geb. am 01.03.1886 – gest. am 12.06.1913.“ Klar ist hier nur die
traurige Gewissheit, dass Leni-Oma
drei Jahre alt war, als ihre Mutter starb und acht, als ihr Vater starb. Die
Mutter wurde nur 27 Jahre alt und der Vater gerade mal 33. Was verbirgt sich
hinter diesem Labyrinth von undeutlichen und deutbaren Informationen? In zwei
rumänischen Urkunden, die im April 1956 und Juli des gleichen Jahres
ausgestellt wurden, heißt die Leni-Oma
einmal Mönch und einmal München. „Nein, ich bin keine geborene
München. Die Behörden haben den Namen bei meiner Ausreise falsch geschrieben.“
Auf diese Aussage Leni-Omas schwört
ihre Enkelin heute noch.
Geblieben sind
die Erinnerung an eine liebenswürdige Großmutter, die noch in den 90er Jahren
des verflossenen Jahrhunderts mit ihrer Urenkelin in Deutschland
spielte. Das Geheimnis ihrer Familiengeschichte aber hat sie mit ins Grab
genommen.
Die Enkelin wiederum wird mit der Frage nach der wahren
Identität ihrer Leni-Oma leben
müssen. Zumindest vom Ort und der Region, in der Leni-Oma ihre Kindheit verbrachte, konnte sie sich jetzt ein Bild
machen. Das Donauschwäbische Zentralmuseum in Ulm, Schillerstraße 1,
präsentiert die Sonderausstellung „Fromme
und tüchtige Leute ...“ – Die deutschen Siedlungen in Bessarabien 1814 - 1940.
Im Informationsblatt zu der Ausstellung heißt es einführend:
„Ein Name wie aus dem Märchen: Bessarabien heißt ein Gebiet am Schwarzen Meer,
das die Flüsse Pruth und Dnjestr begrenzen. Es hat etwa die Größe
Niedersachsens und gehört heute Teils zur Republik Moldau, teils zur Ukraine.“
Die Ausstellung kann bis zum 12. Januar 2014 besichtigt
werden. Öffnungszeiten: Dienstag – bis Sonntag 11 – 17 Uhr. Eintritt 3,50 Euro
/ ermäßigt 2,50 Euro..
Führungen: So. 8. Dez. – 14 Uhr / So. 22. Dez. - 14
Uhr / So. 12. Jan. 2014 – 14 Uhr.
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