Mittwoch, 27. November 2013

Ein Blick in Leni-Omas erste Heimat

Sie war still und immer zurückhaltend. Selten mischte sie sich ein: die Leni-Oma. Ihr wirklicher Mädchenname war Leontine. Und ihr Familienname … Das ist nicht ganz sicher: Münch, Mönch oder München. Sie war als 13- oder 14-jähriges Mädchen in unser Dorf in der Banater Hecke gekommen, als die Jüngste von drei Schwestern. Im Jahrmarkter Ortssippenbuch lebt sie fort als Leontina Magdalena Mänch, Tochter des August und der Justina Kerling, geboren in Tarutino / Bessarabien. Sie war aber nicht vom Weg des großen Heim-ins-Reich-Trosses abgekommen und bei uns gestrandet, sondern viel früher, in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts im Dorf aufgetaucht. Doch selbst dieses Datum ist nicht einwandfrei im Gedächtnis der Nachkommen verankert. War es 1923 oder ’24? Das muss etwas mit der verschwiegenen Natur der Leni-Oma zu tun haben. 

Die Münch-Schwestern -
noch in ihrer
bessarabischen Heimat
Ihre Kindheit in Tarutino blieb ein nie gelüftetes Geheimnis, wie auch ihre Familienverhältnisse. War es nur die Not, die sie und eine der zwei älteren Schwestern, deren Spuren sich in Warjasch – oder Bogarosch - verlieren, ins Banat verschlug? Die andere Schwester soll in Bessarabien geblieben sein. Oder steckt gar eine Familientragödie dahinter? Oder ein politischer Gewaltakt? Die Leni-Oma konnte oder wollte nie darüber reden. Haben wir unsere Kinderjahre noch so klar vor uns, um detailgetreu davon erzählen zu können?

Leni-Omas Enkelin erinnert sich vage an eine Pferdezucht aus Omas Erzählungen. Detlef Brandes berichtet in seinem Buch Von den Zaren adoptiert von einem Duma-Abgeordneten Münch, der bereits 1826 die Griechen in Bessarabien harsch kritisierte: „Sie gehen stutzerhaft gekleidet, saufen, arbeiten selbst nicht, sondern verpachten das Land an die Deutschen, geben das Geld leichtsinnig aus, und bereits die Hälfte ihres Landes ist in die Hände der Deutschen übergegangen.“ Damals war der Begriff Political Correctness noch nicht erfunden. Aus dem Jahre 1877 ist überliefert, dass „der Oberschulz Münch einen Schulgeldboykott initiierte“. Nur vier Jahre später „bat der Generalgouverneur den Zemstvo-Abgeordneten und Liebentaler Oberschulzen Johann Münch um ein Gutachten über den Einfluss der Juden auf die örtliche Bevölkerung. Münch schilderte deren Verhalten ‚in äußerst grellen Farben‘ und kam zu dem Urteil: Einen Nutzen gibt es von den Juden nicht, weshalb die Beschränkung ihrer Rechte und vollständige Aussiedlung in einige bestimmte Gouvernements erwünscht wäre.“ Da läuft es einem kalt den Buckel runter. Es hilft aber nichts. Die familiengeschichtlichen Fragen erscheinen berechtigt. Denn dass es sich um eine weitverzweigte und nicht gerade mittellose Sippe handeln könnte, beweist auch die Tatsache, dass „sich unter den am 26. März 1906 in die 1. Duma gewählten Oktobristen der langjährige bessarabische Zemstvo-Abgeordnete Andreas Widmer und der Großliebentaler Oberschulz Johann Münch befanden.“ War dieser Johann Münch vielleicht sogar Leni-Omas Großvater? Oder der Onkel, bei dem sie nach dem frühen Tod der Eltern untergekommen war? Dieser Aspekt ist immerhin im Familiengedächtnis erhalten geblieben. Verlor die Familie vielleicht ihren Besitz, nachdem Bessarabien zu Rumänien gefallen war und 1920 die Großgrundbesitzer mit mehr als 100 ha Land enteignet wurden?

Auf einer im Familienarchiv erhaltenen Declaraţie vamală pentru persoane care îşi stabilesc domiciliul în altă ţară fand ich nicht nur die 396 Artikel aufgelistet, die in einer Banater Aussiedlerkiste im Jahre 1987 die Reise in die Bundesrepublik Deutschland antraten, sondern auf den Rückseiten von drei Blättern (von insgesamt 8) auch folgenden handgeschriebenen Eintrag: „Leontina München, geb. am 21.02.1910, Cetatea Albă, Russland; Vater: August München, geb. am 24.03.1885 – gest. am 04.02.1918; Mutter: Justina München, geb. Gerling, geb. am 01.03.1886 – gest. am 12.06.1913.“ Klar ist hier nur die traurige Gewissheit, dass Leni-Oma drei Jahre alt war, als ihre Mutter starb und acht, als ihr Vater starb. Die Mutter wurde nur 27 Jahre alt und der Vater gerade mal 33. Was verbirgt sich hinter diesem Labyrinth von undeutlichen und deutbaren Informationen? In zwei rumänischen Urkunden, die im April 1956 und Juli des gleichen Jahres ausgestellt wurden, heißt die Leni-Oma einmal Mönch und einmal München. „Nein, ich bin keine geborene München. Die Behörden haben den Namen bei meiner Ausreise falsch geschrieben.“ Auf diese Aussage Leni-Omas schwört ihre Enkelin heute noch.

Geblieben sind die Erinnerung an eine liebenswürdige Großmutter, die noch in den 90er Jahren des verflossenen Jahrhunderts mit ihrer Urenkelin in Deutschland spielte. Das Geheimnis ihrer Familiengeschichte aber hat sie mit ins Grab genommen.

Die Enkelin wiederum wird mit der Frage nach der wahren Identität ihrer Leni-Oma leben müssen. Zumindest vom Ort und der Region, in der Leni-Oma ihre Kindheit verbrachte, konnte sie sich jetzt ein Bild machen. Das Donauschwäbische Zentralmuseum in Ulm, Schillerstraße 1, präsentiert die Sonderausstellung „Fromme und tüchtige Leute ...“ – Die deutschen Siedlungen in Bessarabien 1814 - 1940.

Im Informationsblatt zu der Ausstellung heißt es einführend: „Ein Name wie aus dem Märchen: Bessarabien heißt ein Gebiet am Schwarzen Meer, das die Flüsse Pruth und Dnjestr begrenzen. Es hat etwa die Größe Niedersachsens und gehört heute Teils zur Republik Moldau, teils zur Ukraine.“

Die Ausstellung kann bis zum 12. Januar 2014 besichtigt werden. Öffnungszeiten: Dienstag – bis Sonntag 11 – 17 Uhr. Eintritt 3,50 Euro / ermäßigt 2,50 Euro..
Führungen: So. 8. Dez. – 14 Uhr / So. 22. Dez. - 14 Uhr / So. 12. Jan. 2014 – 14 Uhr.

Anton Potche

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