Montag, 21. März 2016

BISS mit Biss – eine besondere Zeitschrift

BISS bedeutet eigentlich das Gegenteil von Biss. Und trotzdem, kann man sagen, hat BISS Biss. Es handelt sich nämlich um die Zeitschrift BÜRGER IN SOZIALEN SCHWIERIGKEITEN. Und sie wird von Bürgern in sozialen Schwierigkeiten verkauft - nicht in Buchhandlungen oder an Zeitungskiosken, sondern auf der Straße, allgemein an Orten mit viel Publikumsverkehr. Ich habe die hier vorgestellte Nummer (November 2015) in Ingolstadt erworben, von Günter Holzer, für 2,20 €, wovon der Verkäufer 1,10 € bekommt. Natürlich habe auch ich mir von drei Euro nichts mehr auszahlen lassen. Die Monatsschrift hat eine Druckauflage von 42.000 Exemplaren. Sie wird in München hergestellt und in mehreren Städten Bayerns vertrieben - von 100 Verkäufern, 45 fest angestellt.

Die Themen der November-BISS sind nicht neu, aber leider aktuell wie eh und je. Frauen auf der Flucht nennt sich die Artikelserie, die dieses Heft bestimmt. Drei Frauen aus dem Iran, aus Nigeria und Tschetschenien erzählen ihre Lebensgeschichten. 

Die Iranerin beging in ihrer Heimat ein Kapitalverbrechen und musste flüchten. Als Gymnasiallehrerin für Physik hatte sie nämlich mit ihren „älteren Schülerinnen über die Widersprüche zwischen Religion und Wissenschaft gesprochen sowie über Frauenrechte.“

Die Nigerianerin stammt eigentlich aus Lagos. Elternlos geblieben, zog sie zu Verwandten aufs Dorf, wo sie auf dem Heimweg von der Arbeit „von vier Männern angegriffen und vergewaltigt“ wurde. Das Resultat war eine Schwangerschaft, woraufhin die Leute im Dorf  sie verjagten. Über den Niger und Libyen landete sie auf Lampedusa. „In Italien ging ich wieder anschaffen, denn es gibt dort für die weiblichen Flüchtlinge aus meiner Sicht sonst keine Möglichkeit zu überleben.“ Jetzt ist sie in München und hofft auf einen positiv beschiedenen Asylantrag.

Die Tschetschenin – alle drei Frauen nennen ihre bürgerlichen Namen – kommt aus Dagestan und musste in Nürnberg erfahren, dass „die ganzen Beleidigungen und Nachstellungen, die [sie] als alleinstehende Frau mit Kind in Tschetschenien erlitten hatte, im Lager weiter gingen“. Nach einer Krebsbehandlung landete sie „in einer Art Reha-Unterkunft für Flüchtlinge, und dort fingen die Belästigungen von Neuem an. [...] Vier Jahre musste ich diese primitiven Männer ertragen und mich als Hure beschimpfen lassen.“ Jetzt wohnt sie mit ihrem siebenjährigen Sohn in einer Privatwohnung und hofft auf bessere Zeiten. Wieder mal.

Die weiteren Titel dieser BISS-Nummer gewähren einen Einblick in die Vielschichtigkeit der Probleme, mit denen Menschen am Rande der Gesellschaft konfrontiert sind: „Setz dein Kopftuch auf, du Schlampe!“ (Interview mit der Sozialpädagogin Anna Maya vom Internationalen Frauencafé in Nürnberg), „Sind wir Sinti weniger wert?“ (Interview mit Else & Hermann Höllenreiner, Ein Leben ohne Sicherheit (Artikel über Leiharbeiter, Mini- und Multi-Jobber und Scheinselbstständige), Die Kraken-Werkstatt (Bericht über ein Arbeitsbeschaffungsprojekt für Menschen, die lange Zeit keine Arbeit finden konnten) und Schreibwerkstatt (BISS-Verkäufer erzählen aus ihrem Leben).

Günter Holzer
Foto: Anton Potche
Auch Günter Holzer hat mir von seiner aktuellen Situation erzählt. Sein Schicksal ist im Verbreitungsgebiet des DONAUKURIER bekannt. Die Zeitung hat schon öfter von seinem Absturz aus der wirtschaftlichen Selbstständigkeit in die Obdachlosigkeit, flankiert von einigen familiären und gesundheitlichen Schicksalsschlägen, berichtet. Jetzt hat er endlich für sich und seinen treuen Hund Snoopy eine dauernde Bleibe gefunden – mit Heizung und Warmwasser. Er hoffe, erzählte er mir, die Winterfeiertage endlich in der eigenen Mietwohnung verbringen zu können. Hier sollte man anfügen, dass Herr Holzer wie auch seine Kollegen finanziell auf eigenen Füßen stehen und keinerlei staatliche Sozialleistungen in Anspruch nehmen.
Anton Potche

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