Johanna und Siegfried Jung als Gastsolisten beim
Ingolstädter
Kammerorchester
Und das soll ein Amateurorchester sein? Chapeau, Chapeau!
Ich meine das Ingolstädter Kammerorchester. Ein Klangkörper der auch höheren
klassischen und modernen Ansprüchen gerecht wird. Rein musikalisch natürlich.
Die 35 bis 40 Streicher werden nach Bedarf von Bläsern und Perkussionisten
unterstützt, so dass schnell aus dem Kammerorchester ein kleines
Symphonieorchester entsteht, das sich dadurch aus einer umfangreicheren
Musikliteratur bedienen kann.
All das war an diesem Konzertabend, 17. November 2018, auf
der Bühne des für Ingolstädter Verhältnisse mit seinem großen Angebot an
Musikveranstaltungen aller Genres gut besuchten Festsaales im Stadttheater zu
beobachten. Zwei Konzertteile bedeuten oft zwei musikalische Welten. So auch
hier. Im ersten Teil dirigierte Kathrin
Schiele-Kiehn die Symphonie Nr. 1 in
g-Moll von Ètienne Nicolas Méhul
(1763 -1817). Der Franzose hat 40 Opern und sechs Symphonien komponiert. Seine
erste hat den klassischen Aufbau. Die vier Sätze sind dreimal mit den
entsprechenden Tempi und einmal mit dem Typ des Satzes überschrieben: Allegro, Andante, Menuetto, Finale: Allegro agitato. Ein
ansprechendes und gleichsam anspruchsvolles Werk. Das Ingolstädter Kammerorchester
klang in allen vier Sätzen sehr ausgewogen, mit gut geschliffenen schwierigen
Passagen und mit sehr sicheren Übergängen. Man spürte regelrecht die viele
Probenarbeit, die in dieses Stück investiert wurde. Die Dirigentin Kathrin Schiele-Kiehn strahlte auch bei
kniffligen Stellen absolute Ruhe aus, was sich spürbar auf das Orchester
übertrug. Es hat sich auch diesmal als positiver Höreffekt ausgezahlt, den
Kopfsatz nicht so schnell anzugehen, um den Themen überhaupt eine
Wirkungschance zu geben. Im Andante
spürte man, dass die Musiker das Aufeinenderhören verinnerlicht haben. Das
körperlich ruhige Dirigat wirkte auch hier. Wunderschön das Aufsteigen des
Themas aus dem Nichts. Der mit Menuetto
gekennzeichnete dritte Satz beginnt mit einem flimmernden Fingerzupfen, dem die
Bläser mit schnellen Läufen Paroli bieten. Da schien das ganze Auditorium den
Atem anzuhalten. Nein, das war kein Streicher gegen Bläser sondern ein
herrlicher Dialog im ¾ Takt. Beim letzten Satz wird in Kritiken oft Rossini ins Spiel gebracht. Von
Epigonentum kann aber schon wegen des Altersunterschieds der zwei Komponisten
nicht die Rede sein. Da war der Franzose Méhul
halt etwas seiner Zeit voraus. Wie dieser Zeitvorsprung musikalisch umsetzbar
ist, hat Kathrin Schiele-Kiehn an
diesem Abend mit dem Ingolstädter Kammerorchester in
überzeugender Manier vorgemacht. Insofern war das alles ein angenehmer erster
Konzertteil, aber noch keine Überraschung.
Johanna (Harfe) und Siegfried Jung (Tuba) mit dem Ingolstädter Kammerorchester
Collage: Anton Potche
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Den folgenden Konzertpunkt könnte man mit „Rückkehr in die Heimat“ bezeichnen. Auf dem Programm stand das von Willi März (*1967) komponierte Divertimento für Harfe, Tuba und Orchester. Ingolstadts Konzertbühnen haben in ihrer mehr als hundertjährigen Geschichte quer durch alle Genres schon viel gesehen und gehört – aber das noch nicht: Harfe und Tuba gemeinsam als Soloinstrumente. An der Harfe spielte Johanna Jung, eine geborene Ingolstädterin, die in der Donaustadt auch ihre ersten musikalischen Gehversuche wagte, um danach, wie in diesem Geschäft fast schon üblich, in die Fremde gelockt oder getrieben – aus welcher Sicht man es eben sehen will – zu werden. Ihr Weg führte sie zu bekannten Professoren und namhaften Musikwettbewerben, in große Orchester und zum Schluss ans Philharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck, um dort die Stelle der Solo-Harfenistin zu übernehmen. Dass es sich bei diesem Konzert um eine „Heimkehr“ handelte, zeigten schon die Umarmungen, die man vor dem Konzert im Foyer des Festsaales beobachten konnte. Johanna war aber nicht allein gekommen. Sie hatte ihren Ehemann dabei, den ebenso umtriebigen wie virtuosen Tubisten Siegfried Jung vom Orchester des Nationaltheaters Mannheim. Gekommen war von München auch der Komponist Willi März, handelte es sich bei seinem Divertimento doch um eine Uraufführung. Es gibt zwar schon eine CD-Einspielung, aber bis dato keine Liveaufführung. Dass es gar nicht so einfach war, zwei Instrumente mit so unterschiedlichen Timbres auf Solistenebene zusammenzubringen, und das auch noch mit einem Ehepaar, wo man doch wisse, „wie schwierig es manchmal schon sein kann, wenn Mann & Frau in einem Auto unterwegs sind“, erzählte der Komponist dem amüsierten Publikum. Mit dem Spaß war es allerdings vorbei, als Kathrin Schiele-Kiehn den Dirigentenstab hob und das Orchester dem Aufruf der Tuba zum Mitmachen folgte. Was Willi März hier für Johanna & Siegfried Jung sowie großes Orchester, also mit Blasinstrumenten und Schlagzeug, geschrieben hat, ist alles andere als leichte Kost, vor allem für die Protagonisten. Die Zuhörer dürfen sich dabei ruhig zurücklehnen und schöne Musik, mit ansprechenden Harmonien und reicher Themenvielfalt, genießen. Toccatina giocosa, Paesaggio und Zwiefacher bilden den Inhalt dieses Musikwerkes. Wie wunderschön diese Musik ist, wie melodiös und vor allem leise die Tuba klingen kann und wie sie von der Harfe regelrecht umsponnen wird – wie in einem märchenhaften Liebesgarn -, das war in diesem Konzert allerdings nicht immer klar zu erkennen. Zumindest dort wo ich saß, kam die Harfe nicht zu der ihr zugeschriebenen Entfaltung, wie das in der CD-Einspielung mit dem Orchester des Nationaltheaters Mannheim vortrefflich gelungen ist. (Paesaggio – Works for Tuba and Orchestra kann über Amazon, eBay und andere Anbieter online bestellt werden.) Eine Überraschung war dieser Auftritt in Ingolstadt aber allemal. Das zeigte der anhaltende Applaus nach dieser Aufführung.
Johanna Jung in der Heimat
Foto: Ewald Streitmatter
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Und es sollte der Überraschungen noch nicht genug sein. Das
folgende Stück ermöglichte es der Harfensolistin, die bezaubernden Saitenklänge
ihres Instrumentes besser zur Geltung kommen zu lassen. Marcel Georges Lucien Grandjany (1891 – 1975), auch er Franzose, hat Aria
in Classic Style komponiert. Er war selbst Harfenist, Musiklehrer und
Dichter. Harfenmusik hat ja immer etwas Weihnachtliches an sich. Sie passt
hervorragend in die Adventszeit. Einen Vorgeschmack auf die kommenden Wochen konnte auch diese Interpretation vermitteln. Wie die Harfentöne die sachte
dahinziehenden Streicherwolken umperlten! Ja, das war ergreifend. So
ergreifend, dass der Dirigentin sogar der Taktstock entglitt, was aber bestimmt
so manchem Zuschauer entgangen sein dürfte, denn sie dirigierte mit gleicher
Hingabe, mit präzisem, aber nicht übertriebenem Gestus weiter.
Als letztes Konzertstück stand dann an diesem Abend, dem die
größte Überraschung noch bevorstehen sollte, Ionel Dumitrus (1915 – 1997) Rumänischer
Tanz Nr. 2 für Tuba und Orchester in einer Bearbeitung von Willi März auf dem Programm. Das von
dem virtuosen Tubazungenkünstler Siegfried
Jung vorgelegte Tempo war dann doch für den einen oder anderen Musiker im
Orchester etwas zu schnell. Ein Trompeter verpasste dabei sogar den
Schlussakkord und genehmigte sich einen Soloabschluss, was aber dem gelungenen
Gesamteindruck dieses Abends keinen Abbruch tun sollte. Im Gegenteil, live ist
live und kein Selbsterlebnisgefühl kann von einer noch so perfekten
Konserveneinspielung überboten werden. Von diesem Konzert wird man noch länger
in Ingolstadt reden. Dessen bin ich mir sicher.
Genauso wie über die letzte Überraschung dieses Abends. Und die ist wahrlich
keine unbedingt erfreuliche. Eine Sprecherin des Orchesters gab bekannt, dass Kathrin Schiele-Kiehn zum letzten Mal
am Dirigentenpult stand. Sie war seit dem Gründungsjahr 1964 die erste
Dirigentin, die dem Orchester vorstand. Vorher hatten vier Dirigenten den
Taktstock weitergereicht. Diese Ankündigung wirkte lähmend aufs Publikum. Das
Bedauern war greifbar. Angegebene Gründe sind wie in solchen Fällen immer
persönlicher Natur. Als Außenstehender kann man nur die Tatsachen in Kauf
nehmen und sowohl Orchester als auch Dirigentin für die Zukunft alles Gute
wünschen.
Kathrin Schiele-Kiehn, Johanna und Siegfried Jung (v.r.)
Foto: Ewald Streitmatter
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Um sich aber dann doch noch zumindest beschwingt, wenn auch
nicht unbedingt heiter auf den Heimweg machen zu können, spielten Siegfried Jung und das Ingolstädter
Kammerorchester noch einmal für das dankbare Publikum den rasanten
Schluss des Rumänischen Tanzes Nr. 2.
Und diesmal ganz ohne Trompetensoloschluss.
Anton Potche
Lieber Toni,
AntwortenLöschenschön das Ihr beim Konzert wart! Herzlichen Dank für die detaillierte Kritik. Deine Worte sind immer sehr treffend und lassen den Leser richtig teilhaben, als wäre er selbst dabei gewesen!
Herzliche Grüsse von Johanna und Siegfried