Sie sind allein im Bahnhofscafé des trostlosesten Bahnhofs einer deutschen Großstadt. Nur ich sitze an diesem Montagmorgen noch in einer Ecke und genieße meinen Kaffee. An mich sind die zwei mittlerweile schon gewöhnt. Dementsprechend laut sind sie auch.
- Do schau her! Des gibt's doch net.
- Na, was ist denn.
- Ein jeder Lebenslauf hat doch einen Anfang. Oder?
- Ja, irgendwo, würde ich sagen.
- Das scheinen heutige Journalisten aber nicht zu wissen. Auch Ingolstädter nicht. Da schau her! Drei Beispiele aus der vergangenen Woche. Der INGOLSTÄDTER ANZEIGER bringt ein Firmenporträt der Firma Mode Maltry. Und da steht: "Gegründet wurde das traditionsreiche Unternehmen im Jahre 1951 von Hans Maltry." Oder in der Glanzzeitschrift ESPRESSO: "Gegründet wurde das Unternehmen von den Brüdern Hans und Michael Maltry.
- Ist doch okay. Das war damals doch die Gründergeneration nach dem Krieg.
- Aber, dass die aus dem Banat stammen und erst nach dem Krieg Ingolstädter wurden, steht da nicht. Und es geht noch besser, das sage ich dir. Noch so eine Glamourzeitschrift. GLADDYS. Die bringen ein Familienporträt von dem Ehepaar Ludwig Seiverth und seine Frau. Wie die Gute heißt, erfährt der Leser nicht. Und hier, das Foto. Dazu schreibt die Journalistin: "An der Wand hängt ein tolles Bild von ihm, in seiner Heimattracht gekleidet. Das gefällt auch unserem Fotografen so sehr, dass er es kurzerhand abhängt und einpackt. So, da hätten wir was Tolles, dazu noch das alte schwarz-weiß Foto mit seiner geliebten Frau und seinem ersten Auto - es war ein Opel Olympia, Baujahr 1959. Bei dem Bild gerät er ins Schwärmen. Er taut auf und fängt an >von Früher< zu erzählen."
- Das ist bei 80-Jährigen mehr als normal.
- Aber das dieses Früher und seine Heimattracht alles etwas mit Siebenbürgen zu tun hat, wird unterschlagen.
- Oder auch nicht. Vielleicht wollten die betroffenen Personen das gar nicht, die Nachkommen der Gebrüder Maltry und die Seiverth-Eheleute.
- Aber da fehlt doch was in diesen Artikeln. Spürst du das nicht?
- Jetzt, wo du mich darauf aufmerksam gemacht hast, schon. Aber viele junge Leser werden dieses Manko nicht bemerken. Dass diese Tracht nicht hundertprozentig barthelmarktreif ist, wird vielleicht schon dem einen oder anderen auffallen. Aber ich würde trotzdem nicht gleich auf die Artikelschreiber losgehen.
Es gibt nämlich genug Menschen, die sich scheuen, ihre Abstammung in der Öffentlichkeit zu erwähnen. Besonders viele Rumäniendeutsche haben da ein angeknacktes Selbstwertgefühl.
- Das ist aber ein Schmarrn hoch drei, jeder Lebenslauf beginnt doch mit einem Anfang, einer Wiege und einer Landschaft, in der sie steht.
- Wie du aber siehst, gibt es auch noch Biografien ohne Anfang. Und jetzt bestell dir endlich einen Kaffee. Meiner ist schon gleich kalt.
Draußen zieht ein Gewitter auf. Bei der Schwüle ist das nicht zum Staunen.
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