Solche religiösen Sektierer hatten es in Diktaturen wesentlich schwerer als heute in demokratischen Ländern. Ich erinnere mich, dass es in den 70er Jahren, als ich in Großwardein/Oradea (Rumänien) meinen Militärdienst leistete, immer wieder hieß, in jener und jener Einheit wäre ein Soldat vom Militärgericht zu Gefängnisstrafe verurteilt worden, weil er sich geweigert habe, eine Waffe zu bedienen. Es hatte sich immer um pocăiţi, also Anhänger einer religiösen Sekte, gehandelt.
Noch schlimmer erging es Gerhard Liebold. Er "gehörte wie seine Eltern zur Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas. Sein Vater Kurt war bereits im Mai 1941 als Kriegsdienstverweigerer wegen >Zersetzung der Wehrkraft< hingerichtet worden. Vier Monate später erhielt Gerhard Liebold seine Einberufung zur Wehrmacht. Da ihm seine religiöse Überzeugung den Dienst an der Waffe nicht erlaubte, tauchte er in Berlin unter. Ende 1942 ergriff ihn die Gestapo. In einem Verfahren vor dem Reichskriegsgericht verurteilten die Richter ihn zum Tode. Das Urteil wurde im Mai 1943 im Zuchthaus Brandenburg-Görden vollstreckt."
Dieses und so manche ähnlich verlaufene Schicksale von jungen Menschen im Dritten Reich konnte man in der Ausstellung "Was damals Recht war ..." - Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht unter dem Kellergewölbe des Zeughauses am Bayerischen Armeemuseum in Ingolstadt auf gut bebilderten und beschrifteten Schautafeln verfolgen.
Der Ort kann für eine solche Ausstellung nicht treffender gewählt sein. Es fröstelt einen. Man steigt hinab in die Grauen des Dritten Reichs, liest von der ungeheuerlichen Mordlust deutscher Richter, die gegen Kriegsende schier unvorstellbare Ausmaße annahm. Dabei "hätte die Militärjustiz die Aufgabe gehabt, Übergriffe von Soldaten zu ahnden". Hingegen "drohte den Soldaten bereits bei kleinsten Verfehlungen der Ausschluss aus der propagierten >Volksgemeinschaft<. Zehntausende wurden hingerichtet, kamen durch einen mörderischen Strafvollzug in Gefängnissen, Straflagern und Zuchthäusern ums Leben oder starben in sogenannten Bewährungseinheiten."
Eine Ecke ist auch den Tätern vorbehalten, die da wären Gerichtsherren, Militärrechtsgelehrte, Fahnder, Divisionsrichter und was diese Mordjustiz noch so an Berufsbezeichnungen zu vergeben hatte. Und wenn der Schauer bisher noch nicht genug waren, so darf man hier erfahren, dass diese schrecklichen Figuren als ehrbare Bürger ihr Leben in einem demokratischen Deutschland unbestraft aushauchen durften, falls nicht noch einige von ihnen einen menschenwürdigen Lebensabend verbringen.
Diese Ausstellung wurde von der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas ins Leben gerufen. Sie erfüllt ihren Zweck des Hinweises auf die blutrünstige NS-Militärjustiz voll und ganz. Mehr als ein Hinweis kann eine Ausstellung auch nicht geben. Das ganze Ausmaß dieses von der Militärgerichtsbarkeit ausgelösten Unrechts kann man vielleicht nie ganz erfassen. Zu viel wurde in der Nachkriegszeit vertuscht, beschönigt oder schlicht und einfach nur ignoriert.
Umso erstaunlicher, ja kaum zu fassen ist der Beitrag den der DONAUKURIER in seiner heutigen Bayern-Ausgabe veröffentlicht. Da wird von einem Verein, der sich "Freunde des Bayerischen Armeemuseums" nennt, berichtet. Manfred Dumann, der Vorsitzende dieses Vereins, soll einen Rundbrief an Vereinsmitglieder, Schulen und Vereine geschickt haben, in dem er den Ausstellungsmachern "pauschale Diffamierung" der NS-Richter vorwirft.
Ja verdammt nochmal! Dieser junge Mann im Bild nebenan war hochdekoriert und wurde hingerichtet, weil er wie Millionen andere nicht an den Endsieg glaubte und zusätzlich noch den Mut hatte, das zu äußern. 30.000 ähnliche Todesurteile hat die NS-Justiz gefällt. Ja, war das denn ein Häuflein Ruchloser in Richterroben oder in NS-Uniform, die dieses Unheil angerichtet haben? Nein, das muss ein ganzer, gut funktionierender Justizapparat gewesen sein. Dass es da vielleicht auch die eine oder andere Ausnahme gab, darf man als Bestätigung der Regel natürlich stehen lassen. Alle Ehre vor diesen Herren.
Aber um sie geht es nicht in dieser Ausstellung, falls man sie überhaupt kennt. Hier geht es um die Justizmorde des Dritten Reichs. Ob Herr Dumann wirklich weiß, was Krieg ist, mag dahingestellt sein. Das wissen Bundeswehrsoldaten erst seit einigen Jahren, da war er wahrscheinlich schon außer Dienst. Was er aber mit Sicherheit nicht kennt, ist die unheilvolle Allianz Diktatur - Justiz. Sonst hätte er sich nicht so weit aus dem Fenster gelehnt.
Bleibt nur die Hoffnung, dass kein Schulleiter in Ingolstadt und Umgebung den Rundbrief des Vorsitzenden der Freunde des Bayerischen Armeemuseums seinen Schülern auch noch vorliest. Solche Rückschläge im Umgang mit unserer Geschichte sollten wir uns wahrlich nicht leisten.
Ein Besucher hat heute ins Besucherbuch geschrieben: "Diese Ausstellung ist immer noch und immer wieder notwendig." Der Mann hat vollkommen recht in Bezug auf "Was damals Recht war ...".
Anton Potche
Fotos: Anton Potche
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