Donnerstag, 15. November 2012

Jesus doch lieber in der Gemeinschaft der Menschen


Gerhart Hauptmann: Der Narr in Christo Emanuel Quint – Roman; Ullstein Taschenbuch, 1981; ISBN 3-548-37132-9; (bei Amazon gibt es mehrere Exemplare zwischen 4,98 € und 34,30 € - Stand 15.11.2012)

Emanuel Quint, ein Junge aus armen Verhältnissen, nimmt vieles aus der Bibel wortwörtlich und nacherlebbar. Er verlässt sein Elternhaus und durchstreift die Kreise Reichenbach und Hirschberg an der böhmisch-preußischen Grenze. Die Menschen, denen er in den einsamen Bergtälern begegnet, sind orientierungslose, suchende, zu Glaubensschwärmereien neigende Gestalten. „Es kommt von Zeit zu Zeit über die alte Welt ein Verjüngungsgefühl, verbunden mit einem neuen oder erneuten Glauben, und gerade zu jener Zeit, um das Jahr neunzig verwichenen Säkulums, schwamm neuer Glaube und Frühlingsgefühl in der deutschen Luft.“

1910 ist dieser Roman erschienen. Zwanzig Jahre soll Gerhart Hauptmann daran gearbeitet haben. Natürlich ist der Roman eine Auseinandersetzung mit dem Leben Jesus’, aber keine theologische, sondern eine rein literarische. Und sie gibt uns keine endgültigen Antworten über die Existenz eines Lebens jenseits unseres menschlichen Daseins, ja über die Gottheit schlechthin. Das ist vielleicht auch gar nicht das Wichtigste, dieses ewige Suchen (der Gläubigen) nach der Wahrheit. Emanuel Quint, hat sich um Zweifel wenig geschert. Er hat die Verlautbarungen der Bibel eben als schlichte Wahrheiten akzeptiert und mit ihnen wohl auch in Frieden schwärmen können. Wenn da nur nicht die Glaubenseiferer gewesen wären, die ihn wie Jünger umgaben und in ihm die Möglichkeit, selbst Christus zu sein, zur Überzeugung reifen ließen. Nun suchte der Narr in Christo aber um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert vergeblich nach dem Jesus-Martyrium. Die paar Steine, die ab und zu mal geworfen wurden, dürfen es ja wohl nicht gewesen sein. Gerhart Hauptmann lässt seinen Helden Emanuel Quint in den Schweizer Bergen erfrieren.

Allein dieses Ende rechtfertigt eine Frage nach der Glaubensstärke Hauptmanns. Es hat den Anschein, dass er Jesus doch lieber in der Gemeinschaft der Menschen ansiedelt, als in einem unangreifbaren, Furcht erregenden Reich absoluter Wahrheitsverkündigungen. Dass Zeitenwenden für solche Verkündigungen schon immer der günstigste Zeitpunkt waren, hat den schlesischen Nobelpreisträger wahrscheinlich dazu veranlasst, eine Jahrhundertwende als Zeitrahmen seines Romans zu wählen. Dass ihm dabei ein Begriff aus der Schreibfeder floss, der in seinen späten Lebensjahren zum größten Desaster der Geschichte führen sollte, ist wohl eher dem Zufall als seinen prophetischen Eigenschaften zuzuschreiben: „Die Nähe des Tausendjährigen Reiches, das die Erde zum Paradiese umwandeln sollte, beschäftigte sie , und es war zu merken, dass sie auf neue Leiden vor dem Eintritt des Millenniums der Glückseligkeit nicht mehr rechneten.“ Was das Tausendjährige Reich den Menschen dann wirklich brachte, ist hinlänglich bekannt.


Anton Potche

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