„Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“ oder „Wie der Vater
so der Sohn“. Zwei Redensarten mit gleichem Inhalt und auch wieder nicht.
Während die erste eine unanfechtbare Wahrheit transportiert, unterliegt die
zweite dem Gesetz der Relativität. Man könnte auch sagen: Es ist zum Glück
nicht immer so. Wo es zum Glück aber so ist, da handelt es sich in der Regel um
Erfolgsgeschichten, von denen die Protagonisten und manchmal sogar die
Gesellschaft profitieren. Einen solchen Fall erlebt zurzeit die Musikwelt in
Ingolstadt. Da ist ein Apfel gleich neben den Stamm gefallen und der Sohn ist (fast
schon) wie der Vater – in seiner künstlerischen Ausprägung. Die Protagonisten
sind Viktor Konjaev und sein Sohn Alexander – zwei Geiger höchsten künstlerischen
Formats.
Der Vater, Viktor
Konjaev (*1947) hat in seiner Heimatstadt Tiflis / Georgien die hohe Kunst
des Violinspielens erlernt. Er war Konzertmeister und zweiter Dirigent des Staatlichen
Georgischen Kammerorchesters, wirkte ebenfalls als Konzertmeister im Staatlichen
Georgischen Symphonieorchester und spielt zurzeit im Münchner
Kammerorchester. Der vielfach ausgezeichnete Musiker hat sein Talent
und seinen musikalischen Fleiß in der Familie weitergegeben. Sohn Alexander Konjaev (*1972, Tiflis) ist
bei vielen namhaften Professoren in die Lehre gegangen (Gottfried Schneider, Christian
Stier, Valery Klimov, Zakhar Bron, Igor Oistrach), bevor er in seiner Wahlheimat Ingolstadt die Stelle
des Stimmführers der zweiten Geigen im Georgischen Kammerorchester antrat
und an der Simon-Mayr-Musikschule zu unterrichten begann.
Zum Glück gibt es in Ingolstadt eine Konzertreihe, die es
ermöglicht, dass Musiker aus verschiedenen Orchestern sich zu Ensembles
zusammenfinden und dem Programm entsprechend in verschiedenen Besetzungen musizieren.
So kommen auch Vater & Sohn Konjaev
im AsamCollegium
zusammen, um nach höchsten musikalischen Maßstäben zu musizieren. Die
Konzertreihe OrgelMatinee um Zwölf in der Asamkirche Maria de Victoria ist die
ideale Bühne für solche Geschichten. Wie interessant und musikalisch spannend
diese ab und zu sein können, war mal wieder am 9. Juni 2013 ersichtlich.
Ludwig Schmidt |
Vier Stücke standen auf dem Programm. 1.) Johann Sebastian Bach (1685 -1750): Praeludium und Fuge G-Dur BWV 541. An
der Orgel saß Ludwig Schmid (*1985).
Der junge Mann spielt seit seinem sechsten Lebensjahr Klavier. Und dass er auch
das Orgelspiel beherrscht, war mehr als deutlich zu vernehmen. Gewaltige
Staccato-Stöße und aufbrausende Bässe haben das vorwärtsstürmende Thema zu
einem abrupten Halt getrieben. Die Fuge konnte beginnen. Nach Flucht hörte sich
das aber nicht an. Eher an ein friedliches Spiel zwischen dux (Führer) und comes
(Gefährte). Und so wird J.S. Bach es
sich wohl auch vorgestellt haben. Dem Auditorium hat’s gefallen. Der den Weg
des Organisten von der Orgel zum Cembalo begleitende Applaus war ein
untrüglicher Beleg dafür. Dort vor dem Altar warteten sie schon auf ihn: die Konjaevs und das AsamCollegium.
Viktor Konjaev spielt Romanze für Violine und Streicher von August Wilhelmj |
2.) August Wilhemj
(1845 – 1908): Romanze für Violine und
Streicher op. 26 (Bearbeitet von Viktor Konjaev). Und gespielt von Viktor Konjaev – Geigensolo. Kein
Dirigent. Blindes Verstehen zwischen Orchester (meist Georgier) und Solist. Und
ein Solovortrag, der dir fast den Atem nimmt. Diese Saiten erzählen eine
Geschichte. Nur der Komponist wird sie wirklich gekannt haben. Aber von Liebe
muss die Rede gewesen sein. Wenn der Ausdruck „filigran“ in der Musik eine
Berechtigung hat, dann in diesem Stück. August
Wilhemj war selber ein gefeierter
Geigenvirtuose. Er wusste sehr wohl,
wie man sich mit einem Instrument unterhält. Viktor Konjaev weiß es auch, und er muss auch wissen, warum
Romanzen immer zum Schluss, wenn sie ihre Seelen im wahrsten Sinne des Wortes
aushauchen, am schönsten sind. Sonst wäre ihm diese fantastische Spannung zum
Ende des Stückes nicht so gelungen.
3.) Max
Bruch (1838 – 1920): Romanze für
Violine und Streicher op. 85 (um 1912) (Bearbeitung von Viktor Konjaev).
Wieder eine Romanze. Mit Szenenwechsel. Alexander Konjaev (Video auf YouTube) übernimmt den Solopart für die Geige. Es wäre unanständig jetzt
Vergleiche zu bemühen. Der Vater dirigierte und der Sohn spielte. Gut, aber
anders als der Vater. Eine Romanze muss nun mal einer schmelzenden Melodik
geschuldet sein. Wie sonst könnten Ritter – wenn es sie denn noch geben würde –
von ihren Liebesabenteuern berichten? Vor mir saß eine Familie mit zwei
Kindern. Das Mädchen kuschelte sich am Hals des Vaters. Ob es was verstanden
hat, von der Geschichte, die diese Geige erzählte, oder sich etwas dabei
vorgestellt hat? Auf jeden Fall muss es etwas empfunden haben. Und das war
Liebe. Auch diese Romanze hat ihre Wirkung erreicht; nicht zuletzt – auch hier
– mit diesem grandiosen Abschied aus dem Reich der Töne.
4.) Antonio Vivaldi (1678 – 1741): Concerto a Moll für zwei Violinen, Streicher und Basso continuo op. 3/8 RV 356. Was für eine Musik. Und welch ein Schauspiel. Hier erübrigt sich die Gleichnisversuchung. Da erfährt die Redewendung ihre sicht- und spürbare Gültigkeit: „Wie der Vater so der Sohn“. Es gibt nichts zu vergleichen. Da musizierten zwei Künstler, die sich ihres Dienstes im Auftrag der Musik voll bewusst waren. Perfektion im Zusammenspiel, auch mit dem Orchester. Der Sohn kommunizierte mit der Geigenseite und der Vater mit der Cello-Contrabass-Seite. Während die temperamentvollen Allegro-Kopfsätze dazu führten, das Auditorium über die Virtuosität der zwei Geiger staunen zu lassen, so geriet der wirklich ergreifende Vortrag des Mittelsatzes im Lerghetto spiritoso zu einem lyrischen Dialog – fabelhaft die Zurückhaltung des Orchesters -, der spüren ließ, wie seelische Harmonie sich in Musik umwandelt.
4.) Antonio Vivaldi (1678 – 1741): Concerto a Moll für zwei Violinen, Streicher und Basso continuo op. 3/8 RV 356. Was für eine Musik. Und welch ein Schauspiel. Hier erübrigt sich die Gleichnisversuchung. Da erfährt die Redewendung ihre sicht- und spürbare Gültigkeit: „Wie der Vater so der Sohn“. Es gibt nichts zu vergleichen. Da musizierten zwei Künstler, die sich ihres Dienstes im Auftrag der Musik voll bewusst waren. Perfektion im Zusammenspiel, auch mit dem Orchester. Der Sohn kommunizierte mit der Geigenseite und der Vater mit der Cello-Contrabass-Seite. Während die temperamentvollen Allegro-Kopfsätze dazu führten, das Auditorium über die Virtuosität der zwei Geiger staunen zu lassen, so geriet der wirklich ergreifende Vortrag des Mittelsatzes im Lerghetto spiritoso zu einem lyrischen Dialog – fabelhaft die Zurückhaltung des Orchesters -, der spüren ließ, wie seelische Harmonie sich in Musik umwandelt.
Farbfotos: Anton Potche |
Langanhaltender Beifall und Bravorufe für die drei Solisten
und das Orchester.
Das Mädchen saß noch immer gebannt auf dem Schoß des Vaters.
Es hat soeben einem großen Musikereignis beigewohnt. Ob es sich als Erwachsene
noch daran erinnern wird?
Anton Potche
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