Die andere Heimat –
Film von Edgar Reitz (Regie); mit Jan
Dieter Schneider, Antonia Bill, Maximilian Scheidt, Marita Breuer u. a.
Ich war in Schabbach. Es war in den Jahren des Herrn 1842
bis 1844. Schreckliche Jahre. Es gab nur arme Ernten. Der Winter 43/44 war
einer der härtesten im Hunsrück. Dazu kam die Diphtherie. Der Tod hausierte
überall.
Und Jakob Simon (Jan Dieter Schneider) träumte sich hinaus aus dieser Welt, in ein
Land, in dem auch an Weihnachten Sommer ist. Und wo Indianer leben. Er wusste
Bescheid über diese Urvölker Lateinamerikas, weil er lesen konnte - und sogar schreiben.
Das konnten in jener Zeit bei Weitem nicht alle, auch in der Simon-Familie
nicht. Er war seiner Zeit weit voraus.
Das Buch war in den Augen seines Vaters ein Teufelszeug. Und
wer wie Jakobs Schwester einen Katholiken heiratete, wurde ausgeschlossen,
durfte nicht mehr zurück in die Familie. Protestanten tun so etwas nicht. Das
und vieles andere bedrückten den jungen Mann. Er träumte vom Auswandern.
Doch das Leben nahm seinen Lauf und es war nicht sein,
Jakobs, Lauf. Viele andere wanderten aus – schon mit dem Heimweh im Herzen -,
Jakob blieb. Er liebte ein Mädchen, Jettchen (Antonia Bill), sein Bruder Gustav (Maximilian Scheidt) nahm sie zur Frau. Alexander von Humboldt (Werner Herzog) bemühte sich nach Schabbach,
um den begabten Jakob Simon kennen zu lernen, doch der lief einfach weg.
Vier Stunden war ich in Schabbach, in den Jahren 1842 bis 1844. Und ich
war selten so bewegt. Wieso? Weil mein Urahn in zehnter Generation schon 70
Jahre früher Jakobs Traum träumte, doch ohne Indianer, aber mit
verheißungsvollen Versprechungen kaiserlicher Werber aus dem fernen Wien. Und weil
auch ich diese Sehnsucht Jakobs verspürte – 140 Jahre später. Aber in
umgekehrter Richtung: Die Mosel wollte ich sehen und den Rhein.
Das waren vier harte Stunden. So lebten meine Vorfahren, so
sprachen sie – mit allen mir so vertrauten Dialektidiomen -, so glaubten sie,
so starben sie. Und so gingen sie weg. Immer wieder. Im 18. Jahrhundert nach
Ungarn – vielleicht ein weiteres Reitz-Thema? - und im 19. nach Übersee. Wie
schwer das war, welche ungeheuren Überwindungen das Auswandern sie trotz der
großen Not kostete, zeigt dieser Film von Edgar
Reitz: Die andere Heimat.
Das hätte ein monumentaler Kinofilm werden können, wenn… ja
wenn diese Farbtupfer die Schwarzweißwelt nicht stören würden. Wenn man einen
Film in historischem Schwarzweiß dreht, sollte man die Geschichtsaura, die er
ausstrahlt, nicht mit Farbklecksen stören, selbst wenn es die schwarz-rot-goldene
Fahne ist. Mir zumindest wurde durch diese gekünstelten Farbtupfer während der
vier Stunden immer wieder in Erinnerung gerufen, dass ich eigentlich nur im
Kino und nicht in Schabbach bin. Aber gerade dort wollte ich bleiben, so schwer
das manchmal auch war, ungestört vom gegenwärtigen Zeitgeist, denn schließlich
weilte ich zu Besuch bei meinen Ahnen. Schade, jammerschade!
Anton Potche
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