Verlangt die Logik eigentlich nicht eine Umkehr dieser
Formulierung: Ein Autor und sein Übersetzer auf Lesereise? Natürlich. Aber hier
führt nun mal der Übersetzer die meiste Zeit das Wort. So war es auch bei ihrem
Auftritt in der Stadtbücherei Ingolstadt. Der Rumänische Freundeskreis
Ingolstadt e.V. hatte zur Lesung geladen und rund 40 Zuhörer wollten
den Schriftsteller, Journalisten und Übersetzer Jan Cornelius sowie den Autor Dan
Lungu bei ihrer gemeinsamen Lesung erleben. Und sie mussten ihr Kommen
nicht bereuen; das sei schon mal vorweggenommen.
Dass bei dieser Lesung der Übersetzer und nicht der Autor
überwiegend das Wort führte, ohne dass Letzterer dabei ins Hintertreffen geriet
– was wiederum auf ein eingespieltes Duo hindeutete -, ist der simplen Tatsache
zuzuschreiben, dass der Autor rumänisch schreibt, die Lesung aber in
Deutschland, also vor deutschem Publikum stattfand. Soweit die Theorie. Aber
die Veranstaltung verlief dann doch eher nach dem rumänischen Muster „teoria ca
teoria, dar practica ne omoară“ (Theorie wie Theorie, aber die Praxis bringt
uns um.)
Ramona Trufin,
die beherzte Dozentin für Deutsch als Fremdsprache an der Technischen
Hochschule Ingolstadt und Vorsitzende des Freundeskreises, sagte einführend,
der Schriftsteller und Conferencier für Soziologie an der Universität Alexandru Ioan Cuza
in Iași / Jassy, Dan Lungu, sei ihr
sogar als Fernsehstar bekannt, und Jan
Cornelius zählt ihn zu den „ersten vier, fünf Schriftstellern Rumäniens“.
Zum Einstieg in die Lesung, gab der Übersetzer dann auch zuerst dem Autor das
Wort, „um die Musikalität der rumänischen Sprache zu vermitteln“.
v .r.: Ramona Trufin, Dan Lungu, Jan Cornelius |
Dass die aber im Auditorium bestens bekannt war, zeigten
schon die Reaktionen nach den ersten Sätzen aus dem Roman Sînt o babă comunistă. Man hätte diesen Abend wahrscheinlich auch
ohne den Übersetzer bestreiten können. Obwohl die Theorie der Praxis mal wieder
eins ausgewischt hatte, kam niemand zu Schaden; im Gegenteil, die sich schnell
einstellende Heiterkeit hielt bis zu den anschließenden Diskussionen an. Das
war der geschickten Dramaturgie der Lesung zu verdanken. Nachdem das Publikum nämlich
bestens mit der Musikalität der rumänischen Sprache vertraut war, übernahm Jan Cornelius die Regie. Er las aus der
deutschen Fassung dieses Romans, für die er selber verantwortlich zeichnet und
die unter dem Titel Die rote Babuschka
2009 im Residenz Verlag erschienen ist. Dabei zog er den Autor immer wieder ins
Gespräch. Ramona Trufin übersetzte simultan
für Dan Lungu, der rumänisch antwortete,
was wiederum von Jan Cornelius deutsch
wiedergegeben und ab und zu auch ergänzt wurde. Das liest sich hier
komplizierter, als es in Wirklichkeit war. Diese Mischung aus Lesung und
zweisprachigem Dialog hatte eine erfrischende Kurzweiligkeit. Das war natürlich
auch dem Roman selber und der deutschen Übersetzung zu verdanken.
Das Buch ist in 29 kurze Kapitel eingeteilt, deren Aufeinanderfolgen
wie Filmszenenübergänge wirken. Und sie erzählen vom Leben im rumänischen
Kommunismus. Doch weder larmoyant, noch anklagend, aber auch nicht
verharmlosend oder gar beschönigend wie die hierzulande oft diskutierte
Ostalgie – und das obwohl die Hauptprotagonistin, Emilia Apostoae, von ihrem
Leben in der Ceaușescu-Zeit schwärmt. Die Art und Weise, wie sie es aber tut,
ist so ulkig, so unschuldig, dass man ihre Nostalgie nur schwer als
ernstzunehmendes Systemnachweinen wahrnehmen kann. Es ist eher eine auf
meisterhafter Tragikomik beruhende Lächerlichkeitsoffenbarung eines von innen
faulenden Gesellschaftssystems.
Was die belustigten Zuhörer – einige von ihnen hatten ihre
eigenen Erfahrungen im Rumänien jener Zeit gemacht – bei dieser Lesung in
Ingolstadt geboten bekamen, war natürlich ein krasses Kontrastprogramm zu Herta Müller, Richard Wagner, Johann
Lippet, Horst Samson, William Totok und einigen anderen.
Ein Zuhörer meinte dann auch, es wäre ein großes Verdienst
des Autors, die für viele so schreckliche Ceaușescu-Diktatur auf diese humorige
Art zu schildern. Dan Lungu erzählte
darauf sehr bildhaft, wie er als Student der Soziologie auf der Suche nach
einer Gewährsperson für ein Studienprojekt auf diese sympathische Moldowenerin
gestoßen war. Er wollte die miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen in den
rumänischen Fabriken der damaligen Zeit erforschen und war auf die schlimmsten
Aussagen vorbereitet. Zu seiner Überraschung erzählte die Frau ihm aber nur,
wie toll sie sich damals durch die Mangeljahre geschlagen hätte. Diese
Selbstdarstellung in einem immer rosiger werdenden Kommunismus hätte ihn damals
zuerst erzürnt, sei aber dann doch in der Gestalt der Emilia einem ganz anderen
Zweck, nämlich dem literarischen, zugeführt worden. „Ich schreibe keine
politischen, sondern psychologische Romane“, sagte er. Und das mit besonders
guten Dialogen, darf man schon bei einem flüchtigen Schmökern durch die Seiten
des hier zur Lesung gekommenen Romans sagen.
Wie viel Cornelius
in der deutschen Fassung denn wohl stecke, wollte ein Zuhörer wissen. Natürlich
sei immer etwas vom Übersetzer in einer anderssprachigen Fassung eines
literarischen Werkes, aber er, Cornelius,
habe sich alle Mühe gegeben, die Authentizität des Originals wo nur möglich zu
bewahren. Er glaube, das sei ihm gelungen, da er selber in Rumänien gelebt,
studiert und unterrichtet habe.
Eine gelungene Übersetzung – und das ist die hier
vorgestellte, nach den vorgelesenen Passagen und den Reaktionen des Publikums urteilend
– ist natürlich für nur deutsch Lesende besonders wichtig. Wer aber noch nicht
ganz aus dem Rumänischen heraus ist, der dürfte mit der Originalfassung noch
mehr Spaß haben. Da viele bei der Diskussionsrunde spontan in ihre rumänische
Muttersprache fielen, könnten auch so manche Exemplare von Sînt o babă comunistă über den reich bestückten Verkaufstisch –
auch mit deutschen Originaltiteln von Jan
Cornelius – gegangen sein. Dem Übersetzer und seinem Autor, Pardon (übrigens eine Romanfigur), dem Autor und seinem Übersetzer sei es gegönnt.
Mir in dieser Stadt und seinem Umland bekannte Siebenbürger
Sachsen oder Banater Schwaben – und das sind nicht wenige – habe ich bei diesem
deutsch-rumänischen, Pardon, rumänisch-deutschen Literaturabend nicht
gesichtet. Ob auch Personen ohne rumänische Wurzeln im Saal waren, ist mir auch
nicht bekannt. Auf jeden Fall hatte ich das Gefühl, dass man auch hier (wie bei
den rumäniendeutschen Aussiedlern seit Jahren) mehr unter sich war. Mit dieser
Situation wird der erst zwei Jahre alte Rumänische Freundeskreis Ingolstadt e.V. wohl
zurechtkommen müssen. Integration in Deutschland bedeutet auch nur ein
Nebeneinander und keineswegs ein Miteinander. Und das kennt die deutsche
Siedlungsgeschichte in Rumänien nicht anders.
Umso interessierter an dieser Lesung zeigte sich aber dann doch noch eine
waschechte Ingolstädterin: Marieluise
Fleißer (Foto: Hintergrund). Sie hörte schon aufmerksam hin, als die Protagonisten dieses Abends ihren Auftritt besprachen.
In der Erzählung Allibert von der Publikumspreisträgerin des Ingeborg-Bachmann-Preises 2014, Gertrud Klemm, fand ich diesen Satz: „Zita versucht, sich auf die
Lesung zu konzentrieren, viele sind nicht gekommen, die meisten verausgaben sich
bei den wahren Künstlern dieser Stadt, bei den Operettensängern und den
pensionierten Schauspielern und Politikern, bei den Blasmusikkapellen und
Musikschulkonzerten, bei all denen, die immer schon die Kulturlandschaft der
Stadt dominiert haben, […].“
Text & Fotos: Anton Potche
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