Dieses Stück hat niemand im Theater Ingolstadt von den
Stühlen gerissen – zumindest nicht, als ich es mir ansah. Wie sollte es auch?
Wenn sich eine Handvoll Angestellte einer Versicherungsgesellschaft zur
Geschäftsjahresabschlussfeier – war das früher nicht mal die Weihnachtsfeier? –
auf einem Schiff treffen, muss nicht unbedingt ein Mord geschehen wie in einem
Orientexpress, woraus sich dann eine spannende Kriminalgeschichte entwickeln
könnte. Nein in Sibylle Bergs
Theaterstück Hauptsache Arbeit! geht es viel zivilisierter zu. Es wird
philosophiert, angebiedert, geheuchelt, kopuliert, intrigiert und mit
steigendem Alkohohlpegel sogar gerauft. Oder sind die zwei schwul? Es passiert
öfter mal mehr zu gleicher Zeit auf der Bühne, da können sich Wahrnehmungen
etwas vermischen.
Wie auch immer, Auslöser dieser Verhaltensweisen der
Mitarbeiter ist eigentlich die Angst, die eigene Arbeit, wie sinnlos sie auch
sein mag, zu verlieren. Sie, die Angst, prägt auch die verschiedenen
Charaktere. Allerdings sind keine positiven zu erkennen. Diese biederen
Angestellten, Frauen wie Männer, werden noch zusätzlich von einem
Motivationstrainer mit abnehmbarem Rattenkopf (Ralf Lichtenberg) angestachelt, sich gegenseitig zu dezimieren, in
der jeweiligen Hoffnung, nicht weckrationalisiert zu werden. Und sie sind
eifrig bei der Sache, das muss man ihnen lassen, den Repräsentantinnen und
Repräsentanten unserer aktuellen bürgerlichen Gesellschaft.
Ralf Lichtenberg und Péter Polgár
Foto: Stadttheater Ingolstadt
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Sibylle Berg zeichnet
ein düsteres, unerfreuliches Bild dieser Gesellschaft im Angestelltenstatus.
Der Titel ihres Stückes deutet auf die Literatur der Arbeitswelt hin. Aber
nicht die Arbeiterliteratur der Gruppe 61
oder des Werkkreises der 60er und
70er Jahre des letzten Jahrhunderts ist damit gemeint, sondern eher die
„Königsebene der Planer, der Wirtschaftsingenieure und Intellektuellen“, auf
die Manfred Durzak schon 1981 in
einem Essay über den Wandel des Arbeiterliteraturfokus’ vom Proletarier hin zum
Angestellten aufmerksam gemacht hat. Hier sind es eben
Versicherungsangestellte. Und sie geben im wahrsten Sinne des Wortes kein gutes
Bild ab. Keine Auflehnung gegen das Unrecht. Im Gegenteil, nur charakterschwache Anbiederung, Unterwerfung bis hin zur sexuellen Selbsterniedrigung vor der
Geilheit des bumsfreudigen Chefs (Péter
Polgár). – Sinngemäß: „Ich finde
keine passenden Kleider, für meine Genitalien.“ – Es geht in diesem Stück nicht um Gut und Böse, um die ewige
Auseinandersetzung. Es gibt nur das Erbärmliche in verschiedenen Ausprägungen,
von pejorativ daherkommender Diktion bis zu abscheulichen Gebaren der
Protagonisten.
Der Ort des Nichtgeschehens – es passiert wirklich nichts
Bemerkenswertes – ist absolut zweitrangig. Das Interieur des Kreuzfahrtschiffes
(Ausstattung: Christoph Ernst) ist aber
eine passende Wahl, sinnbildlich gesehen sogar notwendig für die zwei Ratten,
die als erste die Bühne betreten und sie als letzte nüchtern verlassen; obwohl
Ratten auf einem Schiff sich sprichwörtlich anders verhalten. Sind die anderen
jetzt tot oder nur todbesoffen? War das letzte Getränk vielleicht sogar
Rattengift?
Ich habe dieses Stück von Sibylle Berg – sie hat bisher 12 Romane und 13 Theaterstücke
geschrieben, die in 20 Sprachen übersetzt wurden – nicht gelesen und kann daher
nicht sagen, wie Regisseur Markus
Heinzelmann in dieser Inszenierung Text & Regieanweisungen umgesetzt
hat, was er nicht berücksichtigt oder was er hinzugefügt hat. Es gab dazu im
DONAUKURIER ziemlich harsche Kritik. Was allerdings von der Moral in einem
gewissen Arbeitsumfeld – wer in der Arbeitswelt stand oder steht, weiß auch,
nicht nur dort - zu halten ist, kann man aber auf jeden Fall erkennen. Das
besudelte Sittenbild ist aussagekräftig genug. Das ist auch den sehr
überzeugenden Akteuren im Rampenlicht zu verdanken: Mira Fajfer, Renate
Knollmann, Simone Stahlecker, Peter Greif, Peter Reisser, Thomas
Schrimm und Enrico Spohn.
Und was denkt sich wohl ein im Publikum sitzender Band- und
Schichtarbeiter bei der ganzen Geschichte? Vielleicht empfindet er eine gewisse
Genugtuung: Die sind auch nicht besser als wir! Und klatscht dabei höflich
Beifall.
Die nächsten Aufführungen im Großen Haus des Ingolstädter
Stadttheaters sind für den 14. Februar (19:30 Uhr), 15. Februar (14:00 Uhr), 9.
März (19:30 Uhr), 24. März (19:30 Uhr) und 27. März (19:30 Uhr) vorgesehen.
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