Siegfried Jägendorf:
Das Wunder von Moghilev - Herausgegeben und kommentiert von Aron Hirt-Manheimer
– Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ulrike Döpfer; Transit Buchverlag,
Berlin, 2009; 220 Seiten, zahlreiche Dokumente und Abbildungen, gebunden mit
Schutzumschlag; ISBN 978-3-88747-241-2; 18,80 €
Um es gleich vorwegzunehmen: Man hält ein sowohl
erschütterndes als auch erbauliches Buch in der Hand. Erschütternd, weil es vom
gewaltsamen Tod tausender unschuldiger Menschen erzählt, und erbaulich, weil es
von der Rettung vor dem gewaltsamen Tod von etwa 10.000 Menschen berichtet. Ein
Buch, das von außerordentlichem Mut wie auch von Feigheit und Unmenschlichkeit
berichtet. Grund des Übels: die Nazischergen und ihre rumänischen
Helfershelfer. Das Aufbäumen dagegen: eine Handvoll jüdischer Intellektueller
unter der Führung von Siegfried
Jägendorf. Tatort: Moghilev, eine Stadt in Transnistrien.
Siegfried Jägendorf
(1885 – 1970) war ein in der Bukowina geborener Ingenieur, der im Rahmen der
Judenverfolgungen in Rumänien verschleppt wurde und in der Deportation die
Initiative zur Instandsetzung einer zerstörten Fabrik ergriff, in der viele
Juden eine Beschäftigung fanden und so von der Vernichtung verschont blieben.
Er schrieb ab 1956 an seinen Memoiren, die den Titel trugen: Jägendorf. Meine Geschichte des Zweiten
Weltkriegs – Der wahre Bericht darüber, wie 10.000 meines Volkes gerettet
wurden. Veröffentlicht wurde diese Niederschrift einer schier unglaublichen
Geschichte aber nicht. Erst 1988 nahm der amerikanische Publizist Aron Hirt-Manheimer sich des
Manuskriptes an, begann umfangreiche Recherchen zu betreiben – mit Befragungen
vieler Überlebender – und veröffentlichte Die
Rettung von zehntausend Juden vor dem rumänischen Holocaust (Untertitel)
1991 in den USA. Nach einer rumänischen Ausgabe (Minunea de la Moghilev: memorii 1941-1944, Editura Hasefer, 1997)
ist das Buch 2009 im Berliner Transit Verlag auch in Deutsch erschienen.
Wie es zu diesem Wunder kommen konnte, ist hier nicht nur
aus Sicht seines Verursachers, Siegfried
Jägendorf, sondern auch als Resultat umfangreicher Forschungsarbeit von Aron Hirt-Manheimer dokumentiert. Man
liest also eine Mischung aus Autobiografie und historischem Bericht, was
besonders zur Stärkung von Jägendorfs
Glaubwürdigkeit beiträgt. Und das, obwohl Hirt-Manheimer
keineswegs schonend, sondern sehr fakten- und zeugenaussagengetreu mit seinem
Protagonisten umgeht. Besonders Max
Schmidt, seines Zeichens Stellvertreter Jägendorfs und dem Hirt-Manheimer
ein hervorragendes Gedächtnis (mit 80 Jahren) bescheinigt, lässt auch kritische
Töne anklingen. Jägendorf hat am 7.
März 1944 nach Interventionen aus Bukarest Moghilev verlassen (wo er am 3.
November 1941 den folgeschweren Entschluss hinsichtlich der zerstörten Fabrik
gefasst hatte: „Wir werden sie wieder aufbauen!“), ohne sich von seinen
Weggefährten zu verabschieden. Max
Schmidts Kommentar: „Wir waren schockiert und verärgert, als wir erfahren
mussten, dass uns unser Anführer alleingelassen hatte in einer Zeit großer
Gefahr.“ Die angeschlagenen Deutschen waren auf dem Rückzug, was sie für die
Juden in Transnistrien natürlich umso gefährlicher machte.
Das Buch hat sieben je zweiteilige Kapitel. Den Aufzeichnungen
Siegfried Jägendorfs folgt jeweils
ein ausführlicher Kommentar von Aron
Hirt-Manheimer zur allgemeinen politischen Lage des betreffenden
Zeitabschnitts. Dem Leser öffnet sich so ein jüdisches Gesellschaftspanorama in
einer existenziellen Notlage. Man erfährt einiges über die
Organisationsstrukturen der jüdischen Gemeinschaft in Rumänien zur Zeit des
Zweiten Weltkrieges und darf erstaunt sein über den sogar in Pogromzeiten
vorhandenen Einfluss dieser Volksgruppe, Einfluss, den ihre Führungsmänner so
gut wie nur irgendwie möglich ausnutzten, um je mehr ihrer deportierten
Landsleute zu retten. Trotzdem konnte die Effizienz der nazistischen
Tötungsmaschinerie kaum eingedämpft werden. Dazu schreibt Hirt-Manheimer in der Einführung
zu diesem Buch: „Von den schätzungsweise 150.000 nach Transnistrien
deportierten Juden waren noch etwa 50.000 am Leben, als die Sowjets im März
1944 das Gebiet zurückeroberten. Sie hätten nicht überleben können ohne
Menschen wie Siegfried Jägendorf – einem Mann, der das Überlebensspiel
beherrschte in der Ausweglosigkeit der Verbannung.“ Am schlimmsten traf die
Mordorgie die Juden in Bessarabien. „Von geschätzten 207.000 zur Zeit der
Invasion der Achsenmächte überlebten nur ungefähr 20.000. Am 17. Juli 1941
stürmten deutsche und rumänische Truppen die bessarabische Stadt Chisinau [Chişinău, A.d.R.] und metzelten
über 10.000 Juden nieder. Ähnliche Gräueltaten löschten die jüdische
Landbevölkerung in den ersten Tagen der Okkupation aus.“
Damit sich so etwas nie mehr wiederholt, benötigt man Bücher
wie Das Wunder von Moghilev. Dass sie
aber viel zu wenig gelesen werden – es gibt sie ja zuhauf als Sach- und
Belletristikbände -, führte uns der Jugoslawienkonflikt in schmerzlicher
Klarheit vor Augen.
Anton Potche
Zu diesem Buch: Minunea de la Moghilev
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