Die in Ingolstadt längst zur Tradition gewordene Orgelmatinee um Zwölf ist vom Stapel.
Und die Liebhaber klassischer Musik im weiteren Sinn des Wortes und
Kirchenmusik im engeren Sinn pilgern Sonntag für Sonntag um die Mittagsstunde
in die Asamkirche Maria de Victoria in der Neubaustraße. So auch gestern, am
letzten Tag des langen Maiwochenendes. Werke von Nicolaus Bruhns (1665 – 1697), Petronio
Franceschini (1651 – 1680) und Carl
Stamitz (1745 – 1801) standen auf dem Programm. Die Ausführenden waren für
Kenner der regionalen Musikszene weitgehend bekannte Namen.
Quasi als Einleitung erklang – auch das schon Tradition –
ein Orgelwerk von der Empore. Georg
Staudacher konnte im Praeludium G-Dur
von Nicolaus Bruhns seine gute
Beinarbeit unter Beweis stellen. Von Bruhns
selber erzählt man, dass er als hervorragender Geiger und Organist eine
Violinstimme auf dem Orgelpedal so virtuos begleiten konnte, dass Zuhörer
annahmen, es wären mehrere Musiker im Einsatz. So hat der Mann auch komponiert.
Und der Organist Georg Staudacher,
zurzeit Stipendiat der Begabtenförderung der Hanns-Seidel-Stiftung, scheint ihn
verstanden zu haben.
Als zweites Stück dieses Konzertes erklang die Sonate D-Dur für zwei Trompeten, Streicher
und Basso continuo von Petronio
Franceschini. Vier kurze Sätze, die den zwei Trompetern einiges
abverlangten. Es zeigte sich auch hier wieder, wie schwierig, ja fast unmöglich
es ist, ein reines Bläserstück ohne jegliche Tonschwankung oder angetastete
Technikhürde über die Runde zu bringen. (Wir reden von Live- und nicht
Konservenmusik.) Das war auch hier nicht anders, was den Gesamteindruck der
Darbietung aber kaum beeinträchtigen konnte. Profis wie Hans Jürgen Huber, Kulturpreisträger der Stadt Geisenfeld, und Michael Morgott,
Kulturförderpreisträger des Landkreises Rosenheim, überspielen knifflige
Momente, von vielen Zuhörern vielleicht gar nicht wahrgenommen, absolut
souverän. Ich hatte beim Adagio den
Blick kurz ins Programmheft gesenkt und musste beim Aufschauen feststellten,
dass jetzt der beim Einsetzen des Themas pausierende Trompeter spielte. So
etwas nennt man wohl eine perfekte Übernahme. Und als Konzertbesucher sollte
man die Akteure nie aus den Augen verlieren, denn das Entstehen von Musik kann
visuell ebenso spannend sein wie die auditive Teilhabe.
Den Bläsern folgten zwei Streicher. Alexander Konjaev (und nicht Sascha wie im Programmheft) ist
Stimmführer der zweiten Violinen im Georgischen Kammerorchester und Vadim Makhovskiy begleitet die gleiche
Funktion bei den Bratschisten der Georgier. Eine der Stärken dieser
Ingolstädter Konzertreihe liegt auch darin, dass sich hier immer wieder Musiker
als Solisten präsentieren können, die in ihrem Berufsleben überwiegend mehr
oder weniger anonym in Orchestern agieren. Den Beweis ihrer Solistenqualitäten erbrachten
die zwei Musiker in Carl Stamitz’ Sinfonia concertante D-Dur für Violine,
Viola und Orchester. Zwischen einem etwas längeren Allegro moderato mit einem wunderschönen Thema – das Auditorium
klatschte spontan nach dem Ende des Satzes – und einem Rondeau in beschwingtem ¾-Takt liegt eine Gänsehaut hervorrufende Romance. Eine an Perfektion grenzende
Darbietung. Während man Bläsern zu Recht mögliche
Interpretationsschwierigkeiten zugesteht (Lippen, Atmung, Fingertechnik) so ist
man bei Streichern schnell zur Meinung verleitet, die hätten bei ihren
Liveauftritten ein kleineres Risikopotential zu bewältigen. Musiker wissen
aber, dass dem nicht so ist. Die Schriftstellerin Kristina Bilkau hat das „Zittern“ in der Hand einer Cellistin erst
kürzlich in ihrem Roman Die Glücklichen
thematisiert. Alexander Konjaev und Vadim Makhovskiy zitterten an diesem
Sonntagmittag nicht – zumindest fürs Publikum nicht wahrnehmbar. Entsprechend
begeistert war auch der nach einer Zugabe lechzende Applaus.
Und die gab es dann auch, was in dieser Konzertreihe gar nicht
üblich ist, diesmal aber stark nach einer im Vorfeld vorbereiteten Geschichte
roch. Hans Jürgen Huber trat nämlich
vor das Orchester und tat in seiner unvergleichlich kecken, mit etwas Sarkasmus
unterlegten Art kund, dass er mit seiner im Raum Ingolstadt sehr beliebten
Bläsergruppe Schutzblech für das Konzertjahr 2015 vom Kulturamt der Stadt
nicht berücksichtigt wurde. Sofort schwebte ein abwertendes Oh durchs Kirchenschiff.
Der im Umgang mit Publikum erfahrene Huber ließ das ruhig abklingen und
erwähnte dann, eher wie beiläufig, die Begründung des Kulturamtes laute: „Bei
den Konzerten des Schutzblechs war die Kirche Maria de Victoria immer zu
überfüllt.“ Allgemeine Heiterkeit in der auch diesmal vollen Kirche. (Ich fand
zehn Minuten vor Konzertbeginn keinen Sitzplatz mehr.)
Die in bester Stimmung, sowohl im wortwörtlichen als auch im
übertragenen Sinn, erklingende Zugabe war ein Beweis dafür, dass ein gutes
Konzert sich bis zum letzten verklungenen Ton steigern kann. Hans Jürgen Huber hatte seinen Platz am
Trompetenpult wieder eingenommen und Alexander
Konjaev & Vadim Makhovskiy stimmten eine Bach-Kantate an. Welch herrliche
Musik! Sogar das bisher als sehr sicher und einfühlsam begleitende AsamCollegium
brachte mit seinem rhythmisch und harmonisch perfekten Pizzicato-Toncluster
eine Steigerung zustande. Nicht enden wollender Applaus verabschiedete die
Künstler.
Anton Potche
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