Der 39. Bachmann-Literaturwettbewerb, für die Österreicher
ist es ein Bewerb, ist nach vier spannenden und durchaus auch unterhaltsamen
Tagen in Klagenfurt zu Ende gegangen. Am letzten dieser Tage der deutschsprachigen
Literatur 2015 wurden die Preise vergeben: Den mit 25.000 Euro
dotierten Bachmannpreis sprach die siebenköpfige Jury, bestehend aus Kritikern
beiderlei Geschlechts aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, der
Dichterin Nora Gomringer zu – für
einen sehr poetischen Prosatext -, Valerie
Fritsch bekam sowohl den Kelag-Preis (10.000 €) als auch den BKS-Publikumspreis
(7000 €) und Dana Grigorcea freute
sich über den 3sat-Preis (7500 €). Alle drei Preise (außer dem Publikumspreis)
wurden von der Jury in einer sehr spannenden öffentlichen Kür vergeben.
Dana Grigorcea
ist die erste rumänische oder aus Rumänien stammende Autorin, die einen Preis
bei diesem begehrten Wettbewerb gewonnen hat. 1990 hat Franz Hodjak (Klausenburg) mit seinem Text Die Jacke den Preis des Landes Kärnten (75.000 Schilling)
zugesprochen bekommen. Es gab in der 39-jährigen Geschichte des Bachmannpreises
weitere Teilnehmer mit Bezug zu Rumänien: 1977 – Vintilă Ivănceanu aus Wien, 1982 – Irina Zaharescu-Spira aus Innsbruck, 1985 – Peter Grosz aus Mainz und1999 – Aglaja Veteranyi aus Zürich.
Dana Grigorcea
ist gebürtige Bukaresterin. Sie hat in ihrer sehr saloppen, einnehmenden Art
den Text Das primäre Gefühl der
Schuldlosigkeit vorgetragen: ein leicht verdauliches Häppchen gut erzählter
Prosa aus einem Romanmanuskript. (Der Roman soll im Herbst erscheinen.) Der
vorgetragene Text – es war wirklich ein Vortrag -, kam im Vergleich zu anderen
Texten dieses Wettbewerbs ziemlich anspruchslos daher, fesselte, ja, unterhielt
teilweise das Publikum daher umso mehr. Er ist in drei Teile gegliedert. Im
ersten Teil lebt die Ceauşescu-Epoche durch den Blick eines Mädchens, Victoria,
auf. Und siehe da: Es gibt nicht nur die zerstörerische Form der Diktatur wie
bei Herta Müller. Zum Glück, muss
man heute nach 25 Jahren sagen dürfen, sonst wäre sie ja nicht erträglich
gewesen. Dana Grigorceas Securitate-Oberst Dobrescu ist ein ziemlich harmloser Typ, der eben auch die damalige Zeit
verkörpert. Ein so lockerer, immer wieder Schmunzeln hervorrufender Text
verträgt auch gar keine Schergen. Im zweiten Teil mündet die Erzählung in die
für manche Rumänen ewig währende Transformationszeit der 1990er Jahre.
Literatur kann so einfach und so köstlich sein. Wenn es etwa zu einem Konzert Michael Jacksons in Bukarest heißt:
„Zwei große Bildschirme flackerten auf in der Nacht und zeigten je einen übergroßen Michael Jackson in
rot-blauer Offiziersuniform der königlichen Garde mit goldener Schnur. [...] ‚Hello, Budapest!‘,
rief Michael Jackson.“ Erheiterung im Publikum und am Jury-Tisch. Mir fiel
sofort ein: Hat nicht George W. Bush
auch mal in dieses Fettnäpfchen getreten. Aber es blieb zum Nachsinnen keine
Zeit, denn die sehr fließend lesende Dana
Grigorcea war schon im dritten Teil ihres Textes angelangt. Und damit in
der Gegenwart. Die ist nicht weniger skurril als ihre vorhergegangenen Epochen.
Preisfrage: Worüber unterhalten sich aus dem Ausland heimgekehrte junge Rumänen
und Rumäninnen bei einem Besuch im Haus des Volkes, in dem heute das rumänische
Parlament tagt? Hier kommt die Auflösung: <„Meinst du, die beiden hatten vor,
hier jemals Sex zu haben?“, fragte mich die junge Moinescu. – „Wer?“ – „Die Ceauşescus, wer sonst.“ „Ich glaube nicht. Das Haus sollte ja keine
Wohnung werden, sondern ein Parlamentsgebäude.“ – „Na und, kann man in einem Parlamentsgebäude
keinen Sex haben? “ – „Ich glaube nicht, denn sie
waren ja immer in offizieller Begleitung. “ – „Sie hätten sich aber kurz
davonschleichen und schnell Sex auf der Toilette haben können, um es allen zu
zeigen, insgeheim. “ - „Ich denke nicht, dass sie allein bleiben wollten, sie
hatten ja Angst vor Anschlägen.“> Man kann aus solchen harmlosen Dialogen viele
Schlüsse ziehen, viel hinein- und ebenso viel herausinterpretieren.
Die sieben Literaturkritiker hatten auf jeden Fall ihre
helle Freude an diesen Möglichkeiten und haben auch fleißig Gebrauch davon
gemacht. Das hat mir wieder mal gezeigt, wie fantastisch anmutend diese Welt,
in der auch ich aufwuchs und pubertierte, für Menschen – es müssen nicht
unbedingt Literaturkritiker sein – westlich des ehemaligen Eisernen Vorhangs
sein muss. Was wir dort unten als normalen Alltag empfanden, mit all den unzähligen
Witzen über den Diktator und seinen Clan, empfinden Betrachter aus heutiger
zeitlicher und örtlicher Distanz als Geschichten aus Absurdistan. So oder so
ähnlich muss es auch den Juroren ergangen sein.
Hubert Winkels,
der ab heuer den Vorsitz der Jury innehat, fand den Text „sehr witzig“ und
„sehr gut gelesen“, eben „eine herrliche Satire in drei Etappen über die
Geschichte Rumäniens“. Wie ein Märchen hörte sich für Sandra Kegel diese Lesung an, und sie musste an „alte
osteuropäische Filme denken“. Für Meike
Feßmann ist dieser Text eine Burleske, die ihr sehr gut gefallen hat. Der
österreichische Kritiker Klaus
Kastberger ist überzeugt, dass dieses
Stück Prosa das Potenzial für ein größeres Werk hat. Stefan Gmünder sprach in seiner Kurzanalyse von einer „große[n]
Komödie“ und gleichzeitig einer „große[n] Tragödie“, „wahnsinnig gut“ und
„wahnsinnig schön gemacht“. Hildegard E.
Keller, die nach den Regularien dieses Wettbewerbs Dana Grigorcea als Teilnehmerin vorgeschlagen hatte, sieht in
dieser Erzählung eine gelungene „Heimkehrergeschichte“. Und nicht zuletzt hat
der Schweizer Juri Steiner sich so
begeistert in eine Theorie des Absurden in Bezug auf Rumänien verstrickt, dass
er zur Heiterkeit des Publikums und seiner Jurorenkolleginnen und –kollegen
sogar den Faden verlor.
Wie jede Medaille hat auch dieser literarische Erfolg zwei
Seiten: Die deutsche Literatur hat eine leicht schwebende, nie moralisierende,
aber trotzdem eindringliche, fantasie- und facettenreiche Stimme gewonnen,
während die rumänische Literatur einem solchen Verlust nur nachtrauern kann –
vorausgesetzt, man hätte Grigorceas
Talent auch entdeckt, worauf Einiges hindeutet. Jetzt lebt diese sprachgewandte
Schriftstellerin aber mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Perikles Monioudis, ein Schweizer griechischer Herkunft, und ihren
zwei Kindern in Zürich und schreibt deutsch. 2011 hat sie den Roman Baba
Rada. Das Leben ist vergänglich wie die Kopfhaare veröffentlicht.
In rumänischen
Literaturzeitschriften sind vereinzelt auch Texte von Dana Grigorcea erschienen. Der rumänische Kritiker Constantin Ţoiu schrieb schon 2002 in der
Literaturzeitschrift ROMÂNIA LITERARĂ zu Grigorceas
Erzählung Musca (Die Fliege): „bündiger Stil, plastisch, mit Geistesblitzen,
fesselnd, ergänzt von einer persönlichen Sicht der Dinge, komisch-grotesk,
wie auch einem perfekten Kennen der Vorstadt“.
Ach ja, und was
die rumänische Literaturszene noch missen muss: ein vereinnahmendes,
immerwährendes Lächeln in einem Gesicht mit immer wachen, dich direkt
anblickenden Augen.
Anton Potche
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