Das gibt’s nicht nur bei Open-Air-Konzerten. In Ingolstadt
stehen seit mehr als zwei Jahrzehnten die OrgelMatinee um Zwölf für derartige
Geschenkkonzerte und seit einigen Jahren auch die Konzerte im Klenzepark im
Rahmen der Audi-Sommerkonzerte. Deren hervorragende Resonanz beim Publikum
ist längst Normalität in der Stadt an der Donau. Dass der Nulltarif auch dafür
verantwortlich ist, wird wohl niemand bezweifeln. Wichtig aber ist, dass das
musikalische Niveau, man könnte auch sagen die Seriosität dieser Darbietungen,
nicht leidet.
Foto: Andi Frank |
An diese Tradition hat das GKO - Georgisches
Kammerorchester Ingolstadt (Foto) angeknüpft und ein Gratiskonzert für
seine Fans und andere Klassikliebhaber gegeben. Anlass dazu gab die
Heimatfindung dieses georgischen Klangkörpers in der Donaustadt. Nur für eine
Übergangszeit wollten die Georgier in Ingolstadt eine Bleibe finden. In ihrer
Heimat tobte ein Bürgerkrieg. Mittlerweile sind 25 Jahre ins Land gegangen und
die Georgier sind immer noch da. Nicht alle. Einige haben das Orchester
altersbedingt verlassen und sind heimgekehrt. Dafür sind jüngere Musiker zum
Orchester gestoßen. Heute gibt es einen Freundeskreis des GKO und die
Musiker sind fester Bestandteil des städtischen und regionalen Musiklebens.
Grund genug, Jubiläum zu feiern für gelungene Integration.
Dass die Kulturseite des DONAUKURIER dann gerade am Tag
dieses Jubiläumskonzertes von einem wohl „lieblos absolvierten Pflichttermin“ schrieb und die Ingolstädter Jahre des GKO mit dem „Abstieg in die
Zweitklassigkeit“ apostrophierte, schien dann doch dem einen oder anderen
bitter aufgestoßen zu sein. Das klang am Abend vor Konzertbeginn ziemlich
deutlich in der Ansprache des Freundeskreisvorsitzenden Manfred Schumann an. Wie auch immer, der Saal war voll und die
Worte des Altoberbürgermeisters Peter
Schnell, in dessen Amtszeit die Sesshaftwerdung der Georgier eingeläutet
wurde, und die kurzen Statements der Musiker Igor Loboda (Foto: 8. v. l.)und Alexander Konjaev (Foto: 9. v. l.) ließen das Publikum die
emotionale Seite dieses Konzertes spüren. Schließlich waren diese verklungenen
25 Jahre nicht nur eine Erfolgsgeschichte. Das zeigt schon die Anzahl der
Dirigenten. Der jetzige, Ruben Gazarian (Foto:
10. v. l.), ist der sechste. Sein Vorgänger, Benjamin Shwartz, stand an diesem Abend am Pult. Diesen Platz
nahmen vor ihm als Chefdirigenten des GKO noch Lavard Skou Larsen (eine ziemlich lieblose Geschichte), Ariel Zuckermann, Markus Poschner und nicht zuletzt die weltberühmte Geigerin und
Dirigentin Liana Issakadze, auf
deren Initiative die Georgier im Sommer 1990 nicht mehr die Heimreise antraten,
sondern nach Vermittlung des damaligen Audi-PR-Chefs Karl-Heinz Rumpf in Ingolstadt strandeten, ein.
Emotionalität. Die ist bei den georgischen Musikern sowieso
immer angesagt und ihrem Temperament geschuldet. Das spürt man nicht nur,
sondern sieht es, wie sie ihre Instrumente regelrecht liebkosen, um schon im
nächsten Augenblick auf sie einzudreschen wie Besessene. Musikbesessene. Das
sind wohl auch die meisten von ihnen. Von „Zweitklassigkeit“ war an diesem
Abend nichts zu spüren und zu hören. Dass es sich bei der mangelnden Rezeption
des Orchesters vielleicht um ein Managementproblem handelt, wie auch der
DONAUKURIER anklingen ließ, konnte mit diesem Konzert nicht beantwortet werden. Deutliche war aber erkennbar, dass es nicht an der Qualität des Orchesters liegen kann. Und dass man dazu „kein
wirkliches Hauptwerk und keinen namhaften Solisten“ benötigt, wie im gleichen
Artikel bemängelt, umso mehr.
Dem Publikum war dieser eher politische Aspekt des Jubiläums
spätestens bei den ersten Tönen von Franz
Schuberts (1797 – 1828) Streichquartett
Nr. 12 „Quartettsatz“ in c-Moll D 703 sowieso schnuppe. Ein leiser
Einstieg. Pianissimo. Die ersten zwei Takte – sechzehntel im 6/8 Takt, Allegro
assai - gehören den ersten Geigen, dann kommen die zweiten Geigen, nach
weiteren zwei Takten die Violen und nach ebenso vielen die Celli. Es baut sich
ein Tremolo-Fundament auf, das fast beängstigend klingt. Aber Symmetrie führt
zu Harmonie. Benjamin Shwartz dirigierte
eine Bearbeitung für Streichorchester. Der Kontrabass tut dem 1820 komponierten
Stück gut, ohne dass er den lyrischen Gesamtklang der hohen Streicher
beeinträchtigt. Die sich auf diesem Untergrund aufbauenden Themen haben die Gabe, zu entführen, hinaus aus dem Alltag.
Was folgte, war eine angenehme Überraschung, zumindest für
mich. Konzert für Violine und
Kammerorchester op. 126, I In modo di recitativo, II Largo man non troppo, III
Allegro agitato. Der Komponist sitzt im Orchester und ist derselbe, der
zuvor von seinem Vater und dessen Haft in Dachau eine Gänsehautgeschichte
erzählte: Igor Loboda (*1956). Den
Solopart hatte Irakli Tsadaia (Foto:
3. v. l.), Konzertmeister des GKO, übernommen. Sein Vater, David Tsadaia (Foto: 1. v. l.), zupft
den Kontrabass, also sprechen wir schon von der zweiten Generation Georgier in
Ingolstadt. Und wie der Filius spielte! Das Konzert ist sehr anspruchsvoll,
technisch schwierig, mit langen Solos und trotzdem ansprechenden (schon fast
ohrwurmtauglichen) Melodien. Das Zusammenspiel mit dem Orchester grenzte an
Perfektion, falls es so etwas in der Musik überhaupt gibt. Die folgende Pause
hatten sich Solist und Orchester wohlverdient.
Es folgten im zweiten Teil des Abends das Divertimento D-Dur KV 136 von Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791)
und von Felix Mendelssohn Bartholdy
(1881 – 1847) die Sinfonia I C-Dur.
Klar, die Georgier spielten bei ihrem Jubiläumskonzert nur Stücke, die ihnen
liegen, die sie gerne spielen. Jeder, der schon einmal in einem Orchester
musiziert hat, wird das nachvollziehen können. Das gerade solche Werke dann CD-reif
sind, ist der positive Nebeneffekt dieses Verhaltensmusters. So war es auch
diesmal. Die zwei kurzen Dreisatzstücke klangen aus den Resonanzkästen wie aus
einer hochkarätigen Musikanlage, ja besser, denn Livemusik ist und bleibt
unersetzbar. Salzburger Symphonie Nr. 1 (es
gibt noch zwei weitere) nannte Mozart
sein nur etwa 12 Minuten dauerndes Stück für zwei Violinen, Viola und Bass. Er
war gerade mal 16 Jahre alt, als er es schrieb. Dementsprechend leicht, ja
beflügelt klingt es auch. F. M. Bartholdy war sogar noch ein Jahr
jünger, als er seine hier gespielte Komposition zu Papier brachte. Vielleicht war diese
Programmfolge ja auch eine Hommage an jugendliche Genialität. Angekommen ist
sie beim Publikum auf jeden Fall.
Das kann man getrost auch vom letzten Stück sagen: Rumänische Tänze von Béla Bartók (1881 – 1945). Diese
Tanzminiaturen zünden in der Regel nicht nur sofort beim Publikum sondern auch
bei den Musikern. Und bei den Georgiern anscheinend ganz besonders. Das mag an
der Charakterähnlichkeit mit der Musik ihrer Heimat Georgien liegen. Von dieser
Nähe konnte man sich überzeugen, als die Musiker als frenetisch geforderte
Zugabe die Georgischen Miniaturen von
Sulkhan Tsintsadze (1925 – 1991)
anstimmten. Dieses kleine Tonwunder ist in Ingolstadt schon ein Schlager. Ja,
auch das gibt es in der Klassik. Benjamin
Shwartz hat bei diesem Stück das Dirigentenpodest verlassen und dem
Orchester abseits stehend zugehört. Bestimmt auch ein Genuss für ihn. Die dann noch
als Rausschmeißer dargebotene Zugabe mit Rufeinlagen der Musiker machte die
Lockerheit, die den ganzen Abend über diesem Konzert schwebte, nur noch
deutlicher. Dass der Bär steppte, wäre vielleicht ein bisschen übertrieben,
aber dass ein Glücksgefühl vielen Konzertbesuchern beim verlassen des Saales im
Gesicht geschrieben stand, war nur schwer zu übersehen. Das war auch den ganzen
Abend über keine schwer verdauliche musikalische Kost gewesen, aber dafür umso schönere
klassische Musik. Ob allerdings damit der Weg zurück in die klassische „Erstklassigkeit“
bewältigt werden kann, mag ich nicht zu prognostizieren.
Anton Potche
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