Maria und Herbert
Eisenreich (Hg.): Liebesgeschichten aus Österreich; Diogenes Verlag AG, Zürich,
1978; ISBN 3 257 00970 4; 410 Seiten; 8,10 € plus 2,00 € Versandkosten bei www.buchfreund.de (Stand vom 09.01.2016)
18 Liebesgeschichten von 17 Autoren haben Maria und Herbert Eisenreich (1925 – 1986) in einer Anthologie gesammelt. Es
geht los mit Brigitta von Adalbert Stifter (1805 – 1868). Und
diese Geschichte spielt nicht in Österreich, sondern in einem Land mit
Bächlein, Bächen und Flüssen, Hirten und zottigen Hunden, einsamen
„Haidebrunnen […], die mit dem furchtbar hohen Stangenwinkel zum Himmel sehen“,
Sackpfeifer, Rosshirten und Rohrdächern. Wo anders könnte das sein als in
Ungarn? Die Geschichte selber scheint mühsam konstruiert worden zu sein. Man
hat das Gefühl, dass Stifter in der
Mitte nicht mehr weiter wusste und wieder von vorne begonnen hat. Wie auch
immer: Am Ende wird wieder alles gut.
Auch die zweite Erzählung schildert eine Begebenheit aus
Siebenbürgen, also eher vom Rande der Monarchie. Dort gab’s schon damals nicht
viel zu holen: „Das Gut der Tante (es hieß Folt, lag an der Grenze des Banats
und war viel wert) kriegt die Kleine nicht, das hat die Tante einem Kloster
verschrieben, in das sie eintreten will, sobald die Nichte angebracht sein
wird.“ Marie von Ebner-Eschenbach
(1830 – 1916) hat mit Der gute Mond
eine zwar tragisch ausgehende Dorfgeschichte geschrieben, befleißigte sich
dabei aber einer sehr lockeren, ja fröhlich daherkommenden Sprache.
Ferdinand von Saar
(1833- 1906) ist mit einer Herzschmerzgeschichte vertreten. Eine Redewendung
weiß, dass man sich oft zweimal im Leben trifft. In dieser Erzählung begegnen Der »Exzellenzherr« und seine Angebetete
Hermine sich sogar dreimal. Vergebens. Und weil das Reich der Habsburger nun
mal so groß war, verwundert es nicht, dass der Exzellenzherr im Laufe seiner
politischen Laufbahn auch „mit bereits ziemlich hohem Range in Ungarn
verwendet“ wurde. Die Liebe allerdings blieb … unglücklich - wie so oft in Saars Novellen und Erzählungen.
Dass die von den Außengrenzen der Monarchie kommenden
Literaten ein wahrer Segen für die österreichische bzw. deutsche Literatur
waren, ist längst kein Geheimnis mehr. Auch Karl Emil Franzos (1848 – 1904) gehört zu ihnen. Natürlich kommen
in den Werken dieser Autoren ihre jeweiligen Abstammungsgebiete nicht zu kurz.
Die Novelle Nach dem höheren Gesetz ermöglicht
mit ihrem dramatischen Verlauf einen Einblick in das standesbedingte Leben
einer jüdischen Gemeinde in Galizien. Das immerhin glimpfliche Ende einer
jüdischen Ehe, die bis zu jener „Wendung der Geschichte, dieser Punkt, von
welchem aus sie sich unerwartet völlig umkehrt“, ohne die laut Ludwig Tieck (1773 – 1853) eine gute
Novelle nicht auskommt, eine glückliche (im Sinne von Anpassung) war, wirft
auch ein Licht auf den schmerzlichen Assimilierungsprozess des Judentums. Das
ist auch heute noch große Literatur, gar keine Frage.
Warum Arthur
Schnitzler (1862 – 1931) diese Erzählung Die Frau des Weisen genannt hat, wird erst zum Schluss klar. Bis
dahin lesen wir eine Wiederbegegnungsgeschichte mit bei Schnitzler nicht untypischen Durchleuchtungen verspielter
erotischer Situationen, ohne dass es allerdings zu entscheidenden
Schlusshandlungen kommt. Der Ich-Erzähler verschwindet hier, bevor es zu
weiteren Komplikationen kommt, weil er mehr über den „Weisen“ weiß, als seine
Angehimmelte von anno dazumal.
Die kurze Erzählung Lucidor
mit dem Untertitel Figuren zu einer ungeschriebenen
Komödie ist eine klassische Verwechslungsgeschichte, aus der man wirklich
eine Komödie schreiben könnte. Hugo von
Hofmannsthal (1874 – 1929) hat sie aber so geschrieben, dass sie auch in
eine Tragödie hätte münden können. Dass es die Hauptfiguren der Erzählung von
einem „Familiengut im russischen Teil Polens“ ins Machtzentrum der
Donaumonarchie verschlagen hat, passt zu dem soziologischen Hintergrund aller
bisher in diesem Buch veröffentlichten Prosastücke.
Stefan Zweig
(1881 – 1942) ist mit einer Sommernovellette
vertreten. Man soll ja nicht böswillig sein. Aber Leser sind das nun mal ab
und zu. Ich habe mich zum Beispiel ganz böse während dem Lesen gefragt, ob Stefan Zweig nicht vielleicht Hugo von Hofmannsthals Lucidor kannte. Auf jeden Fall wird hier
wie dort fleißig geschrieben, Briefe, Zettel, Gedichte etc., und das immer mit
gut gemeinter Hinterlist.
Eine Geschichte, die von zu viel Liebe – gibt es das
überhaupt? – warnt, hat Franz Nabl
(1883 – 1974) verfasst. Der Teufel an der
Wand ist nichts anderes als ein gequältes Festhalten an traditionellen
Werten, selbst wenn sie einem ein Leben lang die Hölle bescheren.
Wie große Liebe – wie so oft ist es auch in Oskar Jellineks (1886 – 1949) Novelle
die verbotene, aber im Verborgenen umso leidenschaftlichere – in ein Drama
mündet, erfährt Der Bauernrichter am
eigenen Leibe und besonders an seiner vom Ehrgeiz angefressenen Seele. Und wir
sind auch in dieser österreichischen Liebesgeschichte weit weg vom Zentrum
Wien, irgendwo „auf dieser weiten, fruchtbaren mährischen Erde“. Man liest
diese Dorfnovelle in einem Atemzug und wäre zum Schluss froh, sie nicht bis zur
letzten Seite gelesen zu haben. Aber das ist nun mal das Schicksal des Partei
ergreifenden Lesers.
Kein Wunder, dass die Nazis Autoren wie Hermann Broch (1886 – 1951) nicht mochten. Eine literarisch so fein
ziselierte Liebesbeziehung zu einer Kommunistin, zu Barbara, war in den Augen der braunen Literaturbanausen nicht mehr
und nicht weniger als ein Verbrechen. Sie konnten den Autor demzufolge auch ins
Exil schicken, seiner die deutsche Sprache so sehr bereichernde Schreibweise
konnten sie aber nichts anhaben. Sie lebt in Wörtern wie „hohlsausend“,
„erntemüde“, „abendfriedlich“, Wahrwerden“, „Seinsvertrauen“ und vielen mehr
weiter. Freilich muss man Barbara von
Anfang bis Ende, und das bitte hellwach, lesen, um solche Sätze zu verstehen:
„Denn dreht es sich einmal um die letzten Erkenntnisse des Ichs und seines
Schicksals, dann wird die marionettenhafte Gespenstigkeit, mit der das Abgestorbene
in der Eifersucht weiterlebt, vom Humanen her befreit.“ Deutsche Literatur,
psychologisch durchdrängt, vom Feinsten.
Eine kurze Liebesgeschichte, nur drei Seiten lang, ist Cave veritatem von Albert Paris Gütersloh (1887 – 1974). Den Titel deutend und den
Text lesend, kann man schlussfolgern: Hüte dich vor dem Altenjungfernschicksal.
Es reicht aber dann doch, in schlichter Erzählweise dem Zufall eine Chance als
Glücksbringer in Sachen Liebe einzuräumen.
Auch Franz Werfel
(1890 – 1945) fasst sich kurz in Par
l’amour. Aber es geht trotzdem nicht gut aus für den 44-jährigen Bertrand:
„Ich habe mich verliebt, habe geheiratet, habe eine Ehe geführt und schließlich
einen langwierigen Scheidungsprozess verloren.“ Und das alles im Vorortszug
zwischen den Pariser Stationen Le Vesinet und St. Lazare.
Junggesellenphantasien eben.
Wir wissen: Joseph
Roth (1894 – 1939) ist einer der ganz Großen der österreichischen
Literatur, obzwar er nicht alt wurde. Dass er auch sehr böse schreiben konnte,
erfahren wir in der Novelle Triumph der
Schönheit. Das Gegenteil von Alice
Schwarzer, könnte man heute sagen, wenn man solche Sätze liest: „Als eine
Art von aufgebesserten Gipsfiguren sinken die einstmals schönen Frauen ins
Grab. Die Männer aber, die weise genug waren, nicht an ihnen zu sterben, werden
von der Natur belohnt: bekleidet mit der Würde des Silbers und der nicht
minderen Würde der Gebrechlichkeit gehen sie in den Schoß Gottes ein.“ Welches
ist das Antonym von Feminismus? Maskulinismus, wenn ich mich nicht irre, würde
Sam Hawkens sagen. (Natürlich schreibt
manchmal auch der Fusel mit. Und wie!) Und trotzdem lesenswert, sprachlich
hochwertig, mit feinem, hintersinnigem Humor, hie und da auch Sarkasmus
bestückt.
Morgen fahr’ ich heim ist
eine Geschichte, die das Leben fast so schreiben könnte. Denn wahrscheinlich
ist nichts spannender und von Individuum zu Individuum unterschiedlicher als
die Pubertät. Und trotzdem gibt es da diese Wendung im Handlungsstrang, die man
sich, obzwar es sich um einen novellenspezifischen Bausatz handelt, etwas
glaubwürdiger gewünscht hätte. Es sei denn, es handelt sich um ein späteres
Werk Johannes Urzidils (1896 –
1970). Da ging die Zeit der Prüderie nämlich schon langsam zur Neige und es gab
endlich Sex vor den weit (teilweise sogar vor Angst) geöffneten Augen eines
kleinen Spanners.
Wer kennt sie nicht, diese überaus geschwätzigen Menschen,
die sich derart in erfundene Geschichten hineinsteigern, dass sie selbst von
dem gutmeinendsten Zuhörer nicht mehr ernst genommen werden. Ja nicht einmal
von einem Werber, wie Hemito von Doderer
(1896 – 1966) das köstlich mit dezentem Witz Im Irrgarten erzählt.
Eine Liebesgeschichte
aus der Zeit der Napoleonischen Kriege entpuppt sich in Alexander Lernet-Holenias (1897 – 1976)
kurzer Erzählung als eine Intrige, wie sie an herzöglichen Höfen wohl möglich
waren, in diesem Fall aber „zugunsten der Menschen [ausging], mit deren
Schicksalen – und wäre es sogar das Los der eigenen Tochter – man glaubt,
spielen zu dürfen.“
Diese Landstreicher-Geschichte
tut echt weh. Das Leben kann so brutal sein. Die Brutalität mit einer so
schönen, lyrischen Sprache zu beschreiben, ist aber gute Literatur. Karl Heinrich Waggerl (1897 – 1973)
beherrschte sein Handwerk, wenn er auch nicht zu den bekanntesten österreichischen
Autoren gehört.
Erich Landgrebe
(1908 – 1979) ist der Letzte der in dieser Blumenlese versammelten
österreichischen Liebesgeschichtenerzähler. Was er geschrieben hat über Das kleine Fräulein Annemarie, ist auf
den ersten Blick verstörend, entwickelt sich aber von Zeile zu Zeile zu einer
aus der Einsamkeit geborenen Fantasiegeschichte, die von der Vorstellungskraft
des Menschen, hier des Fräuleins Annemarie, erzählt. Es ist spannend zu lesen,
wie der Autor verschiedene Zeitebenen übereinanderschiebt, um klar zu machen,
dass Liebe auch rein geistiger Natur, ohne jegliche Körperlichkeit sein
kann.
Die in dieser Anthologie versammelten Autoren weilen alle
nicht mehr unter den Lebenden. Als sie schrieben, galten noch andere
Gesellschaftswerte. Die Liebe war nicht so frei wie heute. Nur das Glück und
der Schmerz, den sie verursachte, waren um nichts größer oder kleiner als
heute. Und daran werden auch die zukünftigen Wandlungsprozesse in der
Gesellschaft – wie immer sie auch aussehen werden – nichts ändern.
Anton Potche
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