Catalin Dorian
Florescu: Der blinde Masseur, Roman; Pendo Verlag, München und Zürich, 2006;
ISBN 3-86612-079-6; 272 Seiten, Hardcover; € 17,90 [D], € 18,40 [A]
Wie ein solches Unterfangen in eine verheerende Sackgasse
führen kann, erzählt Catalin Dorian
Florescu, der 1967 in Temeswar (Rumänien) und seit 1982 in der Schweiz
lebende Schriftsteller. Sein Roman Der
blinde Masseur ist eine gelungene Mischung aus Gesellschafts-, Bildungs-
und magischem Realismusroman.
Der Luftkurort Moneasa, in dem sogar Kaiserin Maria Theresia geweilt haben soll, ist
ein von der Welt vergessenes Nest mit einem Sanatorium, in dem die Opfer des
real existierenden Sozialismus ihre Leiden über die Tage retten; viele von
ihnen unter den Händen des blinden Masseurs, der sich vorstellt als „Ion
Palatinus, Masseur und Philosoph, Besitzer einer Hündin, eines Blindenstocks
und von dreißigtausend Büchern darunter viele Perlen.“
Alles was dem Heimkehrer aus der Schweiz widerfährt, scheint
aus der Zeit gefallen zu sein. Und doch ist alles so real, aber so, wie es eben
nur in einer postkommunistischen Gesellschaft Südosteuropas sein kann. Vieles in
diesem Buch wird einem Westeuropäer fantastisch, aus den Hirngespinsten eines
literarischen Magiers geboren, vorkommen. Wer aber aus dieser Welt kommt, wird
sich immer wieder mittels seiner eigenen Kopfgeburten an die eigene Vergangenheit
erinnern. So funktioniert nun mal der magische Realismus.
Catalin Dorian Florescu arbeitet mit Rückblenden, Einschüben
von Wörtern und kurzen Sätzen aus dem Rumänischen und flüchtigen Andeutungen.
Das Ganze ist in einem gleichmäßigen Erzählfluss untergebracht und mäandert von
Höhepunkt zu Höhepunkt wie ein bereits im Tal angekommener Strom. Man hat das
Gefühl, dass dieser Stil sehr gut zu einer Rückkehrgeschichte passt. Zumal der
Autor wirklich sprachgewandt ist, nicht nur in der Schrift – das können
Besucher seiner Lesungen bestätigen -, aber besonders dort: „Ich war einer von
dort und zugleich einer von hier. Ich trug die Fremdheit an mir. Sie kleidete
meinen Körper, füllte meine Geldbörse, gab mir das gewisse Extra. Aber die
Fremdheit sprach ihre Sprache.“
So schön und trotzdem schmerzlich kann man über
nichterfüllte Erwartungen schreiben. Der blinde Masseur, der sich seine Bücher
von seinen Patienten auf Tonband vorlesen lässt, hält mehrere dieser
fundamentalen Lebensweisheiten parat. Das tat nämlich Teodor in seiner Jugend
auch: Erzählungen von Leuten aus der Einsamkeit der Berge auf Tonspuren bannen.
Kann man so die Zeit in ihrem unermüdlichen Lauf bannen? Oder ist alles nur
Selbstbetrug? Auch dieser hervorragende Roman liefert keine Antwort auf diese
Fragen. Fest steht nur, dass er mit einem großen Betrug endet.
Doch nicht, bevor ein letztes Abendmahl, sprich, Fress- und
Sauforgie, in der Ruine der Villa Nufărul (die Seerose) über die Bühne geht.
Über eben diese Villa schrieb vor sechs Jahren eine rumänische Zeitung, dass
sie zu ihrer Blütezeit im Besitz eines Grafen Weincheim (wahrscheinlich
Weinheim) gewesen sein soll und dessen Nachkommen jetzt über eine Restaurierung
nachdenken.
Sollte es eines Tages doch noch einen Weg aus C. D. Florescus Roman in eine andere,
geordnetere, sauberere Welt, mit weniger Korruption, Lug und Betrug geben? Das
allerdings impliziert auch die Frage: Worüber soll oder kann man dann noch gute
Romane schreiben?
Anton Potche
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