Im vergangenen Dezember (2015) veröffentlichte Pfarrer Uwe Seidner aus Wolkendorf / Vulcan
(Siebenbürgen) in der KARPATENRUNDSCHAU einen dreiteiligen Reisebericht unter
dem Titel Die versprengten
Glaubensgeschwister im Kaukasus – Auf Entdeckungsreise am Rande Europas.
Mit einer Gruppe von Jugendlichen reiste er auf den Spuren der evangelischen
Kirche durch Georgien, Aserbaidschan, Armenien und Bergkarabach - ein mutiges
Unterfangen angesichts der instabilen politischen Lage in dieser Region. Aber
es ging alles gut und das Resultat kann sich sehen lassen.
Lutheranische Kirche in Helenendorf
Quelle: https://de.wikivoyage.org
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Ein Abschnitt aus dem dritten Teil (KR vom 10. Dezember
2015) brachte mich ein wenig ins Grübeln: „In Aserbaidschan besuchten wir noch
die ehemaligen schwäbischen Dörfer Helenendorf (Gyögöl) und Annenfeld
(Shemkir). Anders als in Georgien waren die Kirchen in einem sehr guten Zustand
und sie sind zugänglich. Sie werden vom Rathaus verwaltet. In Helenendorf dient
die Kirche als Ausstellungsraum. Rechter Hand ist ganz ausführlich auf
Schautafeln dargestellt die deutsche Vergangenheit der Siedlung; und linker Hand
stehen Gedenktafeln für die Söhne der Ortschaft, die im blutigen
Bergkarabach-Konflikt ihr Leben gelassen haben. Erstaunt mussten wir
feststellen, dass sich die Aseris [Azeris: Einwohner Aserbaidschans, A.d.V.]
stolz auf die deutsche Vergangenheit ihrer Ortschaften berufen. Dementsprechend
bemühen sie sich auch das schwäbische Dorfbild zu erhalten, doch bei so vielem Bemühen
schleicht sich leider auch etwas Kitsch ein. Sehr gut gepflegt war auch der
Friedhof für deutsche Kriegsgefangene in Helenendorf.“
Helenendorf ... Helenendorf. Wo bin ich diesem Namen schon
mal begegnet? Er muss irgendwo in meinem Bücherregal schlummern. Helenendorf
... Es muss einen Zusammenhang zwischen Jahrmarkt im Banat und Helenendorf in
Aserbaidschan geben, das schwebte mir schleierhaft vor. Tatsächlich: Der
Jahrmarkter Tischlermeister Peter Oberle
(1924 - 2001) war in Helenendorf
lange vor Pfarrer Uwe Seidner und
seinen Schützlingen. Und auch er, der Banater Schwabe, war angetan, von dem,
was er vorfand. Zum Unterschied zu der Siebenbürger Reisegruppe war er aber
nicht als freier Mensch vor Ort, sondern als russischer Kriegsgefangener.
Helenendorf
Foto: Haerdle
Quelle: http://www.eurasischesmagazin.de
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Am 8. Mai 1945 geriet der zwanzigjährige Peter Oberle als Soldat der Waffen SS bei Breslau in russische Gefangenschaft, während deren sechsjährigen Dauer er mehr erlebte als unsereins ein ganzes Leben lang.
Seine Erinnerungen an jene Zeit sind
in einem Buch erhalten geblieben. Darin kann man auch folgende Zeilen lesen:
„Wir glaubten, wir fahren jetzt nach Hause, es waren lauter Rumänendeutsche.
Wir wurden mit den Autos abgeholt, so ca. 40 Personen, die wir uns ja
inzwischen schon alle kannten. In der Hoffnung, vielleicht klappt es doch mit
der Heimfahrt!! Es ging los, wir fuhren eine Stunde nur durch Steppen, alles
kahl und trocken, bis wir auf eine schöne breite Straße kamen. Links und rechts
der Straße waren Wassergräben, daneben große Nussbäume, deren Äste von beiden
Seiten über die Straße hingen, es sah aus wie ein langer Tunnel; das ging so 12
km, bis wir an ein Dorf kamen. Aber vorher kamen große Weingärten. Überall gab
es Schleusen zum Bewässern der Gärten. Gegen die Straße waren dicke, weiße
Mauern, mit Steinen gemauert, und Tor und Türeingang versehen mit der deutschen
Aufschrift „Willkommen“ bei Fam. so und so oder „Grüß Gott“. Wir trauten
unseren Augen nicht, denn so etwas mitten in der Steppe, wo alles ausgetrocknet
war. Wir kamen an den Ortsrand, die Einfahrt ins Dorf, da stand die Tafel mit
dem Namen Hanlar auf Russisch [gemeint ist Xanlar, russisch Ханлар (Chanlar), A.d.V.]. Es war die
Gemeinde Helenendorf auf Deutsch, eine Gemeinde so schön gebaut, wie ich sie
weder im Banat noch in Deutschland gesehen hatte. [...] Die Häuser waren lang,
mit Giebel und Balkon zur Straße. Alles war einmal gut gepflegt und gestrichen.
[...] Es waren keine deutschen Bewohner mehr da. [...] Im Jahre 1938 [laut
Geschichtsquellen: 1941, A.d.V.] wurde das Dorf umstellt und in sechs Stunden
war es menschenleer, nur noch ein paar Alte, die man in der Wirtschaft
brauchte, hatte man zurückgelassen. [...] Ein alter Russe, der mit einer
deutschen Frau verheiratet war, hat uns erzählt, wie das alles ging mit der
Verschleppung der Deutschen aus Helenendorf. Er sagte uns auch, dass ab diesem
Tag kein einziger der Verschleppten oder seiner Familie sich noch mal gemeldet
hatte.“
Während Peter Oberle
zwangsläufig den Kaukasus kennenlernte, weilte seine zukünftige Frau Anna als Verschleppte des gleichen
kommunistischen Sowjetregimes in einem Zwangsarbeitslager im Donbass. Dort wo
auch heute Bürgerkriegszustände herrschen.
Pfarrer Uwe Seidner wandelte
mit seinen Schützlingen nicht nur auf Kirchenspuren, sondern auch auf den
Spuren der großen kriegerischen Auseinandersetzungen des 20. Jahrhunderts und der
daraus resultierenden Folgen, von denen auch das Ehepaar Oberle betroffen war. Weder Peter
noch Anna Oberle haben nämlich ihre
letzte Ruhestätte in dem Dorf ihrer Kindheit, Jahrmarkt, gefunden, sondern auf
einem Friedhof in Südwestdeutschland. Was bleibt, sind Erinnerungen vom Rande
Europas. Die noch brühwarmen des siebenbürgersächsischen Pfarrers wandern
in diesen lauen Wintertagen des eben beginnenden Jahres 2016 sorgfältig
zusammengefaltet in jene längst Geschichte gewordenen des banatschwäbischen
Tischlermeisters – und so gemeinsam zurück in mein Bücherregal. Wer weiß,
vielleicht wird in ferner Zukunft mal ein wissbegieriger oder einfach nur
neugieriger Mensch danach greifen und sich ob der Zusammenhänge zwischen
Zeitungs- und Buchinhalt wundern.
Anton Potche
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