„Ein Potpourri
ist in der Musik eine Komposition, die aus bereits bestehenden Kompositionen
zusammengesetzt wird und nachträglich eine neue, mehr oder weniger harmonische
musikalische Einheit bildet.“ Diese Definition bietet Wikipedia an. Und sie ist
so jedem Volksmusikhörer bekannt. Ob sie auch in der Klassik Geltung findet,
dürfte umstritten sein. Fakt ist, dass es Komponisten gibt, die dieses Metier
des Zusammensetzens bestehender Musikfragmente zu einem neuen Werk für sich
entdeckt haben. Friedmann Dreßler
ist einer dieser Erneuerer in der klassischen Musik. Der in Dresden geborene
Musiker spielt seit 1987 als stellvertretender Solocellist bei den Duisburger
Philharmonikern und gastiert seit 1994 regelmäßig im Festspielorchester
von Bayreuth – auch 2015.
Der symphonische Ring wurde
im Juni 2011vom Nationaltheater-Orchester Mannheim an zwei Abenden aufgeführt
und kann als Livemitschnitt auf einer Doppel-CD angehört werden. Was Dan Ettinger, ein weitgereister und
sehr vielseitig agierender Dirigent, mit seinem Orchester dargeboten hat, kann
nicht nur für Wagner-Fans eine interessante musikalische Erfahrung sein. Die
Partitur dieses Symphonischen Rings
trägt die Werkpräzisierung Ein
orchestrales Drama in zwei Teilen. Das heißt, dass man
Teile des Rings des Nibelungen ganz
ohne Gesang erleben kann. Was man von Ouvertüren und diversen Vorspielen der
Gattung Oper kennt, erfährt hier eine neue Dimension, die, wie im Titel
angekündigt, wahrlich symphonische Ausmaße annimmt.
Ein vielversprechendes Experiment, und wer sich darauf
einlässt, wird wahrlich nicht enttäuscht. Man darf sich dieses zweiteilige Werk
aber nicht als Melodienfolge instrumental vorgetragener bekannter Arien
vorstellen, wie man es von Konzerten großer Bläserphilharmonien kennt. Friedmann Dreßler hat die Begleitmusik
des Bühnengeschehens im Ring des
Nibelungen zu einem neuen symphonischen Gebilde verschmolzen. Entstanden
ist eine Symphonie des Rings, ein
Werk das zwar nicht von Ohrwürmern strotzt, aber dafür mit etwas mehr
thematischen Höhepunkten als eine Symphonie in genrespezifischer Form
aufwartet.
Das Gefühl, einer neuen Komposition zu lauschen, kommt schon
nach den ersten Übergängen im Rheingold auf, um sich dann vom Vorspiel zum Gesang der Rheintöchter und weiter zu Alberichs Liebesfluch, der Götterburg
Walhall, über Das Schmieden bis
zu Donners Ruf zu verfestigen. Unterliegt man
als Zuhörer mit dem Booklet in der Hand bei diesem orchestralen Anfang des Symphonischen Rings noch dem
Gewohnheitsimpetus, jeden Einzeltitel als selbstständige Komposition
wahrzunehmen, so ändert sich das spätestens bei den Orchesterteilen der Walküre. Ich hatte das
Inhaltsverzeichnis längst beiseitegelegt und mich dem Lauschen hingegeben. Es
spielte auch keine Rolle mehr, ob ich die Übergänge von Siegmund und Sieglinde zu Die
Winterstürme oder Wotans Abschied
zu Feuerzauber und andere bewusst
erlebte. Ich lauschte längst einem neuen Werk, das für mich überhaupt nichts
Epigonales ausstrahlte.
Der Symphonische Ring
war in Mannheim auf zwei Abende angelegt. Man könnte auch von zwei Symphonien
sprechen. In der ersten wurde Wagners Orchestermusik in neuer Bearbeitung (oder
als neue Komposition) aus Rheingold
und Walküre gespielt und in der
zweiten erklangen Themen aus Siegfried
und Götterdämmerung. In dieser Einteilung sind die zwei Konzerte auch auf CD 1 und CD 2 aufgenommen.
Die Musik auf der zweiten CD – also Der Symphonische Ring Teil 2 – entwickelt sich im Vorspiel zum 2. Aufzug des Siegfried regelrecht aus der
Lautlosigkeit. In einem Opernführer aus dem Jahre 1948 kann man zu dieser
Ring-Oper lesen: „In dem von Tragik umwitterten Ablauf des Ringes bildet der Siegfried
ein Idyll. Dieses Werk ist wohl die schönste künstlerische Gestaltung deutschen
Naturempfindens.“ Leider, leider auch schändlich missbraucht! Über die
Grundstimmung dieser Ring-Oper (Uraufführung am 16. August 1876 in Bayreuth)
besteht aber Konsens über die geschichtlichen Epochen hinaus. Im Booklet dieser
Doppel-CD kann man nämlich lesen: „Die hier zu Klang gewordene Naturpoesie gehört
wohl zum Schönsten, was die abendländische Musik hervorgebracht hat.“
Natur kommt ohne feine Nuancierungen nicht aus. Das weiß
jeder, der ein Auge für sie hat. Das trifft auch
auf die Musik zu. Und sie können auch düster sein,
die Natur wie die Musik Richard
Wagners und hier jene Friedmann
Dreßlers. In den Tiefen der über tremolierenden Bratschen und Celli
erklingenden Tuba (hier gespielt von Siegfried
Jung) schlummert das Dunkel der Neidhöhle. Aber in ihrem langsam
anschwellenden Ton bis hin zum Fortissimo deutet sich schon Siegfrieds Kampf mit dem Drachen an. Viel
Pathos und viel Tragik liegen in der Luft. Das spürt man auch ohne Gesang und
Bühnenhandlung.
Aber auch wie viel Schönheit! (Und sie kommt
dankenswerterweise vor dem Kampfgetöse, für das Wagner sogar vierfache
Bläserbesetzung vorgeschrieben hat.) Waldweben.
Diese Klarinette. Zart deutet sie das Wälsungenwehmotiv an. Und diese Flöte.
Ist das nicht ein Vöglein? Und das alles über einem leisen Raunen der
Streicher. Morgensonne eben, die ihre ersten Strahlen durch das Dickicht wirft.
Und so geht es mit gespaltenen Gefühlen – Liebhaber von Bläsermusik können sich
wohl kaum satt hören - weiter durch den Siegfried
auf die Götterdämmerung zu.
Das ist Schicksalsmusik schlechthin. Alles bisher Gehörte
verdichtet sich noch einmal und steuert im Duett
Siegfried-Brünnhilde auf einen hellen Hornruf Siegfrieds hin, der nahtlos
in Siegfrieds Rheinfahrt übergeht. In
diesem Orchesterzwischenspiel klingen mehrere Hauptmotive des Rings an.
Die Hornrufe im Vorspiel
zum 3. Aufzug gehören zu den schönsten Momenten dieser Doppel-CD obwohl sie
auf die Ermordung Siegfrieds durch
Hagens Speer zusteuern. Siegfried stirbt, doch nicht ohne seine letzten Gedanken
Brünnhilde zu widmen. Wie sehen die letzten Gedanken an einen geliebten Menschen
aus? Das weiß wohl niemand. Aber so könnten sie sich anhören: wie bereits aus dem Jenseits stammende Harfenklänge und eine weinende
Geige. (Siegfrieds Erinnerung an Brünnhilde).Was bleibt, ist irdisch: Siegfrieds
Tod und Trauermarsch. Und die Musik dazu ist eine Andeutung aller
musikalischen Motive, die den toten Helden durch den Ring begleitet haben.
Nun mag man Wagners Musik anderen Sphären zuschreiben, auch
die oder besonders die des Rings,
letztendlich bleibt sie aber doch geerdet. Auch wenn alle entschwinden, bleibt
der Mensch zurück. Das Schmerz tragende und aushaltende Individuum. Brünnhildes Schlussgesang ist von vielen
hohen, ja schrillen Tönen durchzogen. Aber auch von herrlichen Motiven, die wir
kennen und die uns Mut zum Weiterleben geben – nach der Götterdämmerung.
Die letzten Akkorde sind der reinste Sonnenschein. Das ist
wirklich eine hörenswerte Symphonie in zwei Teilen, die Friedmann Dreßler hier geschaffen hat, eine
Richard-Wagner-Symphonie. Dieser unbestimmte Artikel ist mit Absicht gewählt,
denn der große Opernkomponist Richard
Wagner war sich der symphonischen Qualitäten seiner Kompositionen
anscheinend voll bewusst. Nicht umsonst hat er seiner Frau Cosima das Siegfried-Idyll,
ein symphonischer Satz für kleines Orchester, in dem Motive aus der Nibelungen
–Trilogie zu einem neuen Werk verarbeitet wurden, gewidmet.
Der Symphonische Ring
kann bei Amazon als MP3-Version zum Preis von 16,39 € erworben werden. Als Audio-CD
ist er zurzeit im Handel leider nicht auffindbar.
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