John Williams: Stoner – Roman; Deutscher Taschenbuch
Verlag, München, 2013; ISBN – 10:3423280158, ISBN-13:978-3423280150; 352
Seiten; 9,90 € bis 15,99 € bei Amazon
Stoner ist ein sehr
distanziert geschriebenes Buch. Als ob John
Williams aus weiter Ferne auf das dahinplätschernde Leben des William
Stoner geschaut hätte, so kommt diese Prosa daher. Absolut schnörkellos ist die
Sprache des Amerikaners.Vielleicht liegt gerade darin der Schlüssel zu
Stoners Geist, der nach der Meinung von
Angela Schader in der NEUEN ZÜRCHER
ZEITUNG vom 10. September 2013 „zumindest in der Erinnerung des Lesers so rasch
nicht zur Ruhe kommen wird“.
Auf mich trifft das voll und ganz
zu. Diese Sachlichkeit in John Williams
Erzählstil ist umso erstaunlicher, je konträrer sie wirkt. Wo man erwartet,
dass sich anbahnende Konflikte und aufkommende Gefühlswallungen den Autor zu
tiefgründigen Charakterisierungen verleiten könnten, bleibt er auf Distanz zu
allen Figuren, ja, scheint sich von ihnen noch mehr zu entfernen. So eröffnen
sich dem Leser größere Annäherungsspielräume. Er darf selbst Partei ergreifen,
darf urteilen und sich wie ein Personalchef für ein Für oder Wider entscheiden,
ist der ganze Roman doch tatsächlich wie ein Bewerbungsschreiben aufgebaut,
aber nicht in Stichworten, sondern in Taten und noch mehr in Geschehnissen,
denn William Stoner war zeit seines Lebens mehr ein Reagierender als ein
Agierender.
Schon in den ersten Zeilen ist
sein Leben klar abgesteckt: „Er wurde 1891 auf einer kleinen Farm im tiefsten
Missouri unweit des Dorfes Booneville geboren, etwa sechzig Kilometer außerhalb
der Universitätsstadt Columbia“ und er „begann 1910, im Alter von neunzehn
Jahren, an der Universität von Missouri zu studieren. Acht Jahre später, gegen
Ende des Ersten Weltkriegs, machte er seinen Doktor der Philosophie und
übernahm einen Lehrauftrag an jenem Institut, an dem er bis zu seinem Tode im
Jahre 1956 unterrichten sollte.“
Geht es noch geradliniger? Nach
den ersten zwei Seiten kennt man den Lebenslauf des William Stoner. Also kann
man das Buch weglegen ... und verpasst dabei so viel: das Miterleben eines
dahinplätschernden Alltags, der nur sehr, sehr wenige Glücksmomente für den
Hauptprotagonisten bereithält. Und der ist ein Mensch der Scholle, tief
verwurzelt im Gründergeist seines Landes. John
Williams bringt immer – wie einen roten Faden – die Jahreszeiten mit ins
Geschehen ein.
Stoner fuhr „im Herbst nach Columbia und
schrieb sich am Kolleg für Agrarwirtschaft ein“, in der „leichten Kühle des
späten Herbsttages“ wurde ihm bewusst, dass ihm „Philosophie und
Frühgeschichte“ sowie „englische Literatur“ mehr lagen, und nachdem er sein
Studium abgeschlossen hatte, „wurde in Sarajewo Erzherzog Franz Ferdinand von
einem serbischen Nationalisten erschossen, und noch vor dem Herbst herrschte
überall in Europa Krieg“. So reihen sich die Jahreszeiten für Stoner – nicht
nur der Herbst - immer wiederkehrend aneinander und bringen eine Ehe, die man
nur bedingt so bezeichnen kann, einen schwelenden und nicht enden wollenden
Arbeitskonflikt, einen Seitensprung, der mehr als das war, ein Kind aus der Ehe
und das Alter mit sich.
„In der Stille des
Sommernachmittags“ ließ der Mann, der den Weg von der Scholle zu den Büchern
ging, sein Leben ein letztes Mal vor seinem geistigen Auge vorbeiziehen. Und
dieses Auge ruhte auf dem Bücherstapel auf dem Nachtschränkchen. Mit letzter Lebenskraft
kramte er nach einem Buch in dem Durcheinander. „Es war sein eigenes Buch, das
er suchte, und als er es in den Händen hielt, lächelte er angesichts des
vertrauten roten Einbandes, der seit so vielen Jahren schon verblasst und abgegriffen
war. [...] Das Sonnenlicht wanderte übers Fenster und fiel auf die Seiten, aber
er konnte nicht lesen, was da geschrieben stand.“ Als das Buch, Stoners Buch,
„langsam und dann immer rascher über den reglosen Leib“ glitt und „in die
Stille des Zimmers“ fiel, war Stoner nicht mehr. Wie wir vom Anfang des Romans
wissen, schrieb man das Jahr 1956.
Und mir wurde bewusst, wie viel
ich versäumt hätte, wenn ich diesen Roman nicht bis zum letzten Atemzug Stoners
gelesen hätte: ein Leben ohne Helden, ohne Sieger, nur Verlierer, Normalität
von der ersten bis zur letzten Seite.
Bernhard Robben,
freier Journalist und Übersetzer, Träger des Übersetzerpreises der Kunststiftung NRW und des Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preises,
hat diesen lebensnahen Roman aus dem Amerikanischen für die deutschen Leser
übersetzt. Viele von ihnen werden es ihm dankend als eine verdienstvolle
Leistung anerkennen.
Anton Potche
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