Foto: Anton Potche |
Henry Eccles ist
ein unbekanntes Wesen, wahrscheinlich genauso unbekannt wie die Masse der
Brexit-Befürworter. Auch er war Engländer, lebte zwischen 1675 (oder 1685) und 1735 (oder 1745) und … Das war’s dann auch
schon. Man vermutet, dass er der Bruder des Komponisten John Eccles (1668 – 1735) war. Eine Gewissheit scheinen Biografen
dann aber doch noch in seiner Vita gefunden zu haben. Er reiste nämlich 1713 nach
Paris und lebte als Violinist am Hofe Ludwigs XV. Zum Unterschied zu seinen europaabstinenten Landsleuten des Jahres
2016, deren Verunsicherung nach ihrem EU-Austritts-Votum förmlich in der Luft
liegt, wusste Henry Eccles anscheinend
genau, was er wollte: Musik wollte er machen, in einer Tonsprache komponieren
und musizieren, die sowohl in England als auch auf dem Kontinent Anklang finden kann. 25 Werke von ihm sind bis
heute erhalten geblieben. Eins von ihnen, Sonate
g-Moll für Violoncello und Basso continuo, eingerahmt von Johann Sebastian Bachs (1685 – 1750) Pièce d’orgue BWV 572 und Georg Philipp Telemanns (1681 - 1767) Sonate a-Moll für Oboe und Basso continuo
stand auf dem Programm der OrgelMatinee um Zwölf in der
Ingolstädter Asamkirche Maria de Victoria. Ob Bach und Telemann jemals
von Eccles gehört hatten, ist nicht
bekannt. Sicher aber ist nach diesem Konzert am ersten Sonntag nach dem Brexit,
dass die drei Herren eine allgemein verständliche und ins Gemüt gehende
Tonsprache beherrschten, die auch heute noch berührt - vorausgesetzt, sie wird
von den richtigen Leuten gesprochen.
Und das war am 26. Juni 2016 um die sonntägliche
Mittagsstunde der Fall. Drei Menschen, aus drei Nationen unterhielten sich in
der Tonsprache Bachs, Eccles und Telemanns. Und zwar so, dass alle Konzertbesucher sie verstanden. Evi Weichenrieder an der Orgel und dem
Cembalo, Andrea Riemer am
Violoncello und George Kobulashvili
mit der Oboe erzählten auf ihren Instrumenten aus einer Welt, von der uns nicht
viel mehr als Archivalien, Bauten und eben die Musik erhalten geblieben sind. Evi Weichenrieder ist Deutsche, Andrea Riemer eine in Ingolstadt
beheimatete Engländerin und George
Kobulashvili ein ebenfalls im Raum Ingolstadt lebender Georgier. Und ihre
Musik ist deutsch, englisch, französisch … europäisch. So mancher der Zuhörer
in der vollen Kirche wird vielleicht besonders in den getragenen Teilen der
gespielten Stücke auch einen Gedanken an die segensreiche Ruhe, den Frieden,
der uns seit vielen Jahrzehnten in Europa beschert ist, verwendet haben. Er ist
einzig und allein der politischen Gemeinschaft (trotz aller Unterschiede) auf diesem Kontinent zu verdanken.
Foto: Anton Potche |
Das war in dem Konzert in der Asam-Kirche wirklich sichtbar, spürbar,
hörbar. Und zwar besonders zum Schluss, als der Applaus nicht abebben wollte und die
Künstler zu einer Zugabe bewegte, was eigentlich in dieser Konzertreihe nicht
üblich ist. Evi Weichenrieder kündigte
sie mit der Bemerkung an, man spiele sie für die Schwester Andrea Riemers, die „für dieses Konzert trotz Brexit aus England
angereist“ sei. Der aufbrausende Beifall schon während der Worte Evi Weichenrieders sprach Bände.
Vielleicht wäre es nicht verkehrt, wenn auch Boris Johnson, Nigel Farage, Michael Gove und
Konsorten – nicht nur die von der Insel - öfter mal in ein Konzert gehen
würden. Damit sie sehen und hören, was dabei herauskommt, wenn Menschen
aufeinander hören, sich selbst zurücknehmen, dem anderen den Vortritt gewähren,
um dann freudig in Ton und Gestik zu jubilieren, wenn man einen Solopart im
Interesse der Gemeinschaft interpretieren kann, und zwar so, dass alles
Vorangegangene und Nachfolgende zu einem Werk verschmilzt.
Anton Potche
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