Wer will es mir verdenken, dass ich von meinem Thema
abgekommen bin? Diese Abschweifung war ich meinem Zeichenlehrer Petru Umanschi schuldig. Schon wegen
unserer gemeinsamen großen Liebe: der Musik.
Aber nun zurück zu den Anknüpfungen an die deutsche Kultur
und besonders Literatur in der rumänischen Literaturzeitschrift ORIZONT. Immer
wieder begegnet man in den Spalten dieser Publikation deutschen Literaten,
Philosophen, Geisteswissenschaftlern, Musikern, Künstlern, Politikern: Thomas Mann, Franz Kafka, Heinrich Heine,
Arthur und Albert Schott,
Ingrid Bachmann, Karl Marx, Papst Benedict XVI., Ludwig van Beethoven, Wolfgang Amadeus Mozart,
Franz Schubert, Sigmund Freud, Friedrich Nietzsche, Hannah Arendt und vielen,
vielen anderen.
Und die deutschen zeitgenössischen Schriftsteller oder
deutsch schreibenden Rumänen, die Rumänien verlassen haben und in Deutschland,
Österreich, Italien, England, der Schweiz oder anderswo leben, sind so präsent,
als wären sie nie aus Rumänien ausgewandert. Ihre Bücher werden vorgestellt und
teilweise auch ausführlich besprochen. Man begegnet immer wieder Namen wie Richard Wagner, Gerhard Csejka, Hans Dama,
Paul Celan, Dieter Schlesak, Ilse Hehn,
Helmut Britz, um nur
einige stellvertretend für viele zu nennen. Aber auch die deutschen Autoren,
die in Rumänien geblieben sind, werden bei ORIZONT nicht vergessen: Eginald Schlattner etwa oder Annemarie Podlypni-Hehn, Balthasar Waitz und Erika Scharf (1929 – 2008).
Literatur hat auch immer ihre Geschichte und Geschichten. Dem trägt man in
ORIZONT wie selbstverständlich Rechnung. Dabei denkt man natürlich an die
Lektüre der erbaulichen Securitate-Akten und schreibt darüber. Die siebenbürger
Schriftsteller der 1950er Jahre und der ihnen aufgehalste Prozess wurde auch in
dieser Zeitschrift thematisiert.
Man
liest immer wieder Glossen, Artikel aber auch längere Essays, die in
Deutschland verfasst wurden. Adriana
Cârcu lebt (oder lebte) zum Beispiel in Düsseldorf und kein Weg scheint ihr
zu weit zu sein, um der rumänischen Kunst und Literatur zu dienen. Im Jahre
2007 reiste sie zum Beispiel bis Singapur, um den Maler Valeriu Sepi zu interviewen. (Der war übrigens auch Mitglied der
Gruppe Phoenix.) Um weitere 14 künstlerisch tätige Personen mit biografischem
Bezug zu Temeswar treffen zu können, fuhr sie durch Deutschland, Holland,
Spanien, die Schweiz, Frankreich und Ungarn. Ein sehr schöner,
emotionsgeladener Essay zum Nobelpreis für Herta
Müller stammt auch aus ihrer Feder. Sie hat ihn am 28. Oktober 2009 in
Heidelberg verfasst und ihm den Titel Zăpada
din Banat (Der Schnee aus dem Banat)
gegeben. Erschienen ist er im November 2009 in ORIZONT.
Deutschen Kulturschaffenden, die das Land verlassen
haben, werden manchmal auch mehrere Seiten gewidmet. So führte Alina Mazilu im September 2008 ein
zweieinhalb Seiten umfassendes Interview mit Nicky Wolcz. Er erzählt von seinem Leben auf Koffern, also von der
faszinierenden Welt des Theaters. Im September 2012 zierte er dann mit einem
alten Wecker in der Hand die Titelseite von ORIZONT. Überschrift: Wolcz in den Niederungen. Das Heft enthält
zwei Seiten hochinteressante Theaterwelt. Einen Monat später wird die
Inszenierung des Stückes Die Niederungen
nach einer Erzählung von Herta Müller besprochen. Dramatisiert wurde der Stoff von Niky Wolcz, Ulla Wolcz und Valerie
Seufert. Die Aufführung fand am DEUTSCHEN STAATSTHEATER TEMESWAR statt.
Im ausklingenden Jahr 2009 stand Herta Müller im Fokus der literarischen Öffentlichkeit. Ihr
Konterfei zierte auch das Oktober-Heft von ORIZONT. Im Inneren konnte man dann
Beiträge über die Nobelpreisträgerin 2009 lesen. Verfasst wurden sie von Rodica Binder, Radu Pavel Gheo, Roxana
Nubert, Gabriela Glăvan, Elena Craşovan und Pia Brînzeu (ein Artikel vom Juni 1983 aus dem Archiv). Gekrönt wurde diese Serie von der Transkription eines Interviews, das Robert Şerban mit Herta
Müller am 12. März 2005 beim Fernsehsender TELEVIZIUNEA ANALOG TIMIŞOARA
führte. Bei ORIZONT ging das im Jahr 2010 mit
abnehmender Intensität so weiter. Im Januar wurde ein ausführliches Interview
mit Eginald Schlattner abgedruckt.
Darin wird auch über Herta Müller
und ihren Nobelpreis gesprochen. Im ersten Teil eines langen Essays legt Radu Pavel Gheo seine ganz persönliche
Sicht auf diese Nobelpreisvergabe und ihre Protagonistin dar. (Vielleicht
sollte man hier erwähnen, dass es in Rumänien keine einhellige Freude über
diese Nachricht gab.) Der ORIZONT-Essayist gehört eindeutig zu den positiv
gesinnten. In seiner Einschätzung gibt es viele schöne Sätze. In einem heißt
es: „Die Anwesenheit einer aus Rumänien stammenden Schriftstellerin (obwohl
Herta Müller mehr als das ist) auf der Liste der Nobelpreisträger – man verzeihe mir meine Pathetik – stellt
einen Silbernagel in der Wand der Ewigkeit dar.“ Im Februar 2010 erschien der
zweite und im März der dritte Teil dieser sehr emotionalen Würdigung. Es folgen
auch in den folgenden Monaten und Jahren immer wieder Beiträge, die sich mit
der Person und dem Werk Herta Müllers
befassen. Stolz titelte man in der September-Nummer 2013: Herta Müller debütiert in ORIZONT. Der Temeswarer Literaturkritiker
Cornel Ungureanu erinnerte sich
nämlich, dass da mal was in dieser Zeitschrift von Herta Müller veröffentlicht wurde. Die Recherche im Archiv hat dann
ergeben, dass in der Juni-Ausgabe 1972 tatsächlich ein Gedicht der heutigen
Nobelpreisträgerin zu lesen war: Flori
căzute. Ein netter Zehnzeiler, kann man heute noch feststellen.
Über
die Jahre verteilt wird auch immer wieder über die Aktionsgruppe Banat
geschrieben. Und das nicht nur im Zusammenhang mit Herta Müller, die ja oft fälschlicherweise als Mitglied dieser
Autorengruppe genannt wird. Man hat die Schikanen der Securitate in der
literarischen Szene des Banats nicht vergessen. Und bei der Aufarbeitung dieses
kommunistischen Phänomens wird die Gruppe der (damals) jungen Schriftsteller
immer wieder erwähnt.
Die
Themenvielfalt in ORIZONT ist sehr breit gefächert. Spricht man von Literatur,
kann das Theater natürlich nicht fehlen. Hier bleibt das DEUTSCHE STAATSTHEATER TEMESWAR nicht links liegen. Viele Aufführungen in diesem Haus werden von der
rumänischen Literaturzeitschrift mit kritischem Kennerblick besprochen.
Man
kann auch immer wieder sehr lehrreiche kultuthistorische Beiträge lesen. In der
Juni-Ausgabe 2013 beschäftigt sich zum Beispiel Mihai A. Panu mit der deutschen Schule im rumänischen Banat. Der
Verfasser gibt als benutzte Quellen Arbeiten von Kaspar Hügel, Hans Weresch
und Anton Valentin an.
Die Geschichte der Deutschen in diesem Teil Europas findet
auch heute noch Eingang in die Literatur und andere Kunstsparten. Im August
2014 stellt Christina Chevereşan den
Roman Lindenfeld von Ioan T. Morar auf zwei Spalten vor. Lindenfeld revizitat (Lindenfeld
wiederbesucht) überschreibt sie ihre Kritik. Die zwei anderen Spalten derselben Seite tragen die Überschrift Apfelstrudel fără
aluat (Apfelstrudel ohne Teig)
und beinhalten eine Kritik des Films O
poveste de dragoste – Lindenfeld (Eine
Liebesgeschichte - Lindenfeld), den Radu
Gabrea mit Victor Rebengiuc und Victoria Cociaş in den Hauptrollen
gedreht hat. Eine ergreifende Geschichte des Verschwindens. Aber auch der
Wiederkehr und des Weiterlebens auf unbestimmte Zeit in der Literatur und
Filmkunst.
Anton Potche
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