„Der seichteste Hohn journalistischer Weltweisheit gilt der
Enthüllung, daß der Kulissenzauber eigentlich ein fauler Zauber sei, daß die
Heroen der Bretter bei Tageslicht menschlicher aussehen, daß nicht alles Gold
ist was glänzt, daß der Schein trügt und ehrlich am längsten währt. Literaten, die mehr aus Neigung als aus Begabung Satiriker
sind, pflegen sich das Theatergetriebe, die Eitelkeit des Bühnenglücks, den
Schauspielerkultus, den von Claque und Gärtner besorgten Ruhm als Spottrevier
zu wählen. Ist die humoristische Wirkung als das Lustgefühl zu definieren, das
durch die Aufdeckung eines Kontrastes ausgelöst wird, so wird es naturgemäß auf
einem Gebiete, wo schon der Hervorruf eines toten Helden eine Welt von Kontrasten eröffnet, schwer sein, keine Satire zu schreiben. Der
Geschmackvolle wählt das Schwerere. Flachköpfe, auf deren Antlitz
Temperamentmangel kaum eine Hohnfalte erzeugen kann, haben von jeher ihrer
Ernüchterungstendenz keinen bessern Spielraum gewußt als die Bretter, die, wie
sie sagen würden, nicht die Welt, sondern die Halbwelt bedeuten. Das Theater
ist die satirische Gehschule, in der sie mit schüchternen Gänsefüßchen die
ersten Schritte wagen. Aber wahrlich, mir ist der Bauer, der dem Franz Moor von Temesvar nach der Vorstellung
aufgelauert hat, mir ist der Mann, der kürzlich in Berlin dem alten Miller beim
Hinauswurf des Präsidenten »Bravo! So ist’s recht!« zurief, und jener andere,
der irgendwo anders dem Wachtmeister im »Zapfenstreich«, da er auf die Tochter
losdrücken will, ein angstvolles »Thu’s nit!« entgegenschrie, mir ist sogar der
Lebegreis, der einmal in »Ös Budavár« bei der Schaustellung der sich
entkleidenden Pariserin dem im spannungsvollsten Moment sinkenden Vorhang mit
ausgestreckten Armen wehren wollte, sympathischer als die kühlen Beobachter,
welche die Schminke abkratzen, die Kränze zerpflücken und den Applaus auf seine
Bestandteile von Begeisterung und Bezahlung analysieren …“
Da war einer nicht gut auf die Theaterkritiker zu sprechen.
Und das war kein Geringerer als Karl
Kraus (1874 - 1936) höchst persönlich. Seinem Unmut ließ er in der FACKEL
Nr. 164 freien Lauf. Es ist allerdings schon ein Weilchen her. Im
Juni 1904 war das gewesen. Dass Kraus
in dieser Schmähschrift auch eine Anspielung auf eine Anekdote zu Schillers Die Räuber macht, dürfte heute niemand
mehr wundern, wo man doch weiß, dass dieses Stück schon immer gut für
Geschichten rund ums Theater war. Auch lange nach Karl Kraus. Und das sogar in der Gegend um Temeswar, wo jener Bauer
sich anscheinend so richtig über Franz Moor geärgert hatte. Zu Recht, war der
Franz doch ein echter Schurke.
Die emotionale Anteilnahme an dem Geschehen auf der Bühne hielt
im Banat bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts an, als auch das
Deutsche Staatstheater Temeswar mit Schillers
Die Räuber die Dorfbühnen bespielte. Stefan Heinz-Kehrer (1913 - 2009)
konnte aus der Neuzeit des deutschen Theaters im Banat schon immer viele
Anekdoten erzählen. In seiner Autobiographie Im Zangengriff der Zeiten fasst er das schon von Karl Kraus erwähnte Phänomen so
zusammen: „Irgendwo steht zu lesen, dass die Schiller’schen Dramen im
allgemeinen und unter ihnen die Werke seiner Jugend im besonderen auf ein
einfaches und unverbildetes Publikum heftig und mitreißend einwirken. Von der
Richtigkeit dieser Behauptung konnten wir uns oft überzeugen.“
Der von Kraus
erwähnte Bauer, muss sich über Franz Moor allerdings schon vor der vorletzten
Jahrhundertwende geärgert haben, denn das deutsche Theater in Temeswar stellte
bereits am 27. März 1899 mit Raimunds Verschwender
seinen Betrieb ein. Und das für sage und schreibe 54 Jahre. Wie auch immer, die
Banater Schwaben und auch die Siebenbürger Sachsen hatten ihre Herzen stets auf
dem rechten Fleck, zumindest wenn sie ins Theater gingen. Und der Bösewicht
Franz Moor hatte dabei keinen leichten Stand, weder im Banat noch in
Siebenbürgen, wie man bei Karl Kraus
und Stefan Heinz-Kehrer nachlesen
kann. In Maldorf / Siebenbürgen rief einer im Saal „Bravo!“, als Amalia dem
aufdringlichen Franz Moor eine schallende Ohrfeige verabreichte. Heinz-Kehrer hält dazu fest: „Niemand
lachte über den selbstvergessenen Rufer! Er hatte allen aus dem Herzen
gesprochen.“ (DONAUSCHWABEN KALENDER, 1996).
Anton Potche
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen